ANTHONY DOERR
Die Tiefe
Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence
C. H. BECK, 267 Seiten, 22 Euro
In jeder einzelnen der sechs Storys des Pulitzerpresiträgers Anthony Doerr steckt so viel Welthaltigkeit, wie man sie in manchem Roman lange suchen kann. So unterschiedlich die Geschichten um den herzkranken Tom in Detroit der 1920er-Jahre, das Kinderwunsch hinterherjagende Paar Imogene und Herb, Davis und seinem in Südkorea stationierten Sohn, die chinesische Samenhüterin im entvölkerten Dorf im Drei-Schluchten-Staudamm, die 14-jährige Waise Allison, die aus Kansas zu ihrem Großvater nach Litauen zieht, und die Shoa-Überlebende Esther Gramm und ihrem Enkelsohn Robert auch sind – sie alle eint das Reflektieren über die Erinnerung als Essenz des Lebens. „Jede Stunde, denkt Robert, verschwindet auf dem ganzen Erdball eine unendliche Menge Erinnerungen (…). Aber während eben dieser Stunde laufen auch Kinder herum und erkunden Territorien, die ihnen völlig neu erscheinen. Sie verdrängen die Dunkelheit und streuen Erinnerungen wie Brotkrumen hinter sich. Die Welt wird neu erschaffen.“Es ist faszinierend, wie Doerr für jedes Schicksal eine eigene
Stimme und Stimmung findet, die auch lange nach der Lektüre im Gedächtnis des Lesers verankert bleibt. (ts)
Anthony Doerrs Storys erzählen von der Kraft der Erinnerung, die unsere Welt immer wieder neu erfindet.