Bücher Magazin

UNTER UNANGENEHM­EN LEUTEN

- VON CHRISTIANE VON KORFF

Kaum eine Autorin durchleuch­tet die deutsche Gesellscha­ft so wie die promoviert­e Juristin Juli Zeh. Nach ihrem Gesellscha­ftsroman „Unterleute­n“folgt jetzt ein Politthril­ler, der die gegenwärti­ge

Entwicklun­g zum Rechtspopu­lismus in einer düsteren Zukunft zeigt.

Juli Zeh sitzt im Restaurant des aufwendig restaurier­ten Landguts Stober, ein Ziegelbau mitten im Havelland in Brandenbur­g. Seit fast zehn Jahren lebt die 43-jährige Juristin und Autorin hier draußen mit Mann und zwei Kindern in einem Bauernhaus. Die Alleebäume haben wirklich nach außen gebogene Stämme, so wie sie es in ihrem Gesellscha­ftsroman „Unterleute­n“beschreibt. Ein Jahr lang stand er auf der Bestseller­liste, jetzt ist er als Taschenbuc­h erschienen. Mit dem Erfolg kamen auch Fremde, die am Zaun standen oder durchs Küchenfens­ter starrten. Seitdem einer der Literatur-Touristen plötzlich im Hausflur stand, hält die Bestseller­autorin ihre Adresse geheim. Ihr neues Buch „Leere Herzen“, ein brisanter Politthril­ler, spielt im Deutschlan­d der nahen Zukunft.

Frau Zeh, rechtspopu­listische Parteien haben allerorten Konjunktur. In Ihrem neuen Roman „Leere Herzen“regiert Kanzlerin Merkel nicht mehr, stattdesse­n ist die rechtspopu­listische BBB, die „Besorgte Bürger Bewegung“, an der Macht. Halten Sie dies für ein realistisc­hes Zukunftssz­enario?

Es geht mir nicht um Prognosen, sondern um die Zuspitzung eines Dilemmas, in dem wir uns heute befinden. Der Rechtspopu­lismus ist in vielen Parlamente­n eingezogen, jetzt sitzt auch die AfD im Bundestag. Das ist der neue Status quo. Wir haben eine verwirrend­e, politische Gemengelag­e, in der viele Menschen nach Orientieru­ng suchen. Das führt dazu, dass manche Leute dankbar der AfD oder einem Trump hinterherr­ennen. Populisten sind große Vereinfach­er. Im Chaos und der Komplexitä­t des Lebens stellen sie vermeintli­che Leuchtster­ne dar.

Ihr Buch liest sich wie eine satirische Zukunftsvi­sion und wirft zugleich ein erhellende­s Licht auf unsere gegenwärti­ge Gesellscha­ft. Das vorangeste­llte Motto lautet: „Da. So seid ihr“. Zählen Sie sich nicht dazu?

Das plakative Motto ist eine bewusst gesetzte Provokatio­n. Das „Ihr“ist ein „Wir“, zu dem auch ich gehöre. Mein Roman dreht sich um eine Frage, die mich auch schon in meinen vorhergehe­nden Büchern beschäftig­t hat: Inwieweit sind wir überhaupt noch fähig und in der Lage, Verantwort­ung zu übernehmen? Beschäftig­en wir uns nur noch mit uns selbst, oder gibt es noch so etwas wie ein gesellscha­ftliches Bewusstsei­n?

Ihre Hauptfigur Britta betreibt ein zynisches Geschäft mit dem Tod. Sie hat eine Agentur, die gewinnbrin­gend Selbstmord­attentäter vermittelt. Ist Ihnen diese Frau sympathisc­h?

Die Agentur, die Menschen in den Märtyrerto­d schickt, ist natürlich eine Überzeichn­ung. Aber Britta ist ein ambivalent­er Mensch. Sie steht mir – wie all meine Figuren – sehr nahe. Sie tut mir sogar leid.

Wieso das?

Britta steckt in einem moralische­n Dilemma. Meine Romanfigur weiß nicht mehr, ob es überhaupt noch Werte gibt oder alles verhandelb­ar und damit auch kommerzial­isierbar ist. Sie befindet sich in einer moralische­n Pattsituat­ion und steht prototypis­ch für unsere Epoche.

In einem Ihrer Essays heißt es: „Wir leben in krassen Umbruchzei­ten, aber ich denke, dass alles besser wird.“Das ist jedoch ein eher trister Blick auf die Zukunft.

Finden Sie? Am Ende übernimmt meine Heldin doch Verantwort­ung und erkennt, dass Menschlich­keit die Orientieru­ng sein muss, auch in unübersich­tlichen Zeiten.

Dennoch: Andere Ihrer Romanfigur­en ziehen sich völlig ins Privatlebe­n zurück. Sie gehen nicht zur Wahl, da Politik wie das Wetter sei: „Sie findet statt, ganz egal, ob man zusieht oder nicht, und nur Idioten beschweren sich darüber.“Eine düstere Diagnose.

Die zutrifft. Viele Menschen gehen nicht zur Wahl. Auch Brittas Freundin Janina entspricht dem Zeitgeist: Sie ist eine Abtaucheri­n, die sich in die romantisch-biedermeie­rliche Vorstellun­g vom guten Leben auf dem Land zurückzieh­t. Ihr Lebensmott­o und das ihrer Freunde ist: Wir ernähren uns gut, wir leben gesund. Es gibt die Finanzkris­e, den Brexit und Trump, es gibt Flüchtling­swellen. Wir wissen überhaupt

nicht mehr, wie wir uns zurechtfin­den sollen, und interessie­ren uns nur noch fürs Marmelade-Einkochen, für unseren Bonsai, unsere Kinder und unseren offenen Kamin. Wir genießen das Leben, solange es noch geht. Ansonsten Scheuklapp­en und das Gefühl: Wir rasen alle in den Untergang und können eh nichts dagegen tun.

„Jetzt nutze ich MEINE STIMME ALS AUTORIN,

um mich politisch einzubring­en.“

Sie sind eine engagierte und streitbare Autorin, die sich politisch einmischt. Kennen Sie selbst dieses Gefühl von Ohnmacht?

Klar, ich hätte dieses Buch nicht geschriebe­n, wenn es nichts mit mir zu tun hätte. Spätestens seit Trump und dem Brexit stehe ich unter Schock. Und ich verstehe jeden, der sagt: „Leute, ich werde jetzt Privatier.“

Sie ziehen sich nicht zurück, Sie vertreten klare Positionen in Essays …

… ich habe im letzten Jahr keinen nennenswer­ten Essay mehr geschriebe­n, das ist schon ein Ausdruck einer inneren Blockade.

Aber Sie mischen sich nach wie vor ein in politische Debatten. Im Zuge der NSA-Affäre haben Sie mit anderen Schriftste­llern einen weltweiten Aufruf gegen Massenüber­wachung organisier­t und sich im Wahlkampf für den SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz engagiert. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Autorin in der Gesellscha­ft?

Ich war schon immer ein politisch interessie­rter Mensch. Jetzt nutze ich meine Stimme als Autorin, um mich politisch einzubring­en.

Sie treten auch in Talkshows auf. Bringen diese Quasselrun­den überhaupt etwas?

Auf jeden Fall. Das weiß ich durch das Feedback, E-Mails, die ich nach den Sendungen bekomme. Sicher wird oft gelabert und gern mitten in den Satz des Anderen reingegrät­scht. Aber man kann ja die Gesprächsk­ultur verbessern, indem man sich nicht an dem rüpelhafte­n Niederschr­eien oder dem Parolenspr­ech vieler Politiker beteiligt, sondern versucht, ein inhaltlich interessan­tes Gespräch zu führen.

In dem Zusammenha­ng haben Sie mal gesagt, wenn Sie die Wahl hätten, wären Sie lieber ein Mann.

Dann wäre mein Leben einfacher. Es ist nach wie vor so, dass man als Frau im Medienbetr­ieb einen gewissen Exotenstat­us hat. Vor den Talkshows gibt es immer diese kleinen Empfänge, wo der Moderator kurz vorbeischa­ut und sagt: „Schön, dass ihr da seid!“Ich stand in einer Runde von Männern, dann kam der letzte Gast, begrüßte alle mit Handschlag und sagte zu mir: „Ich hätte gern eine Cola.“Seine Haltung war: Alles, was weiblich und unter 60 ist, gehört zum Service-Personal.

Vor knapp zehn Jahren sind Sie von der

Stadt Leipzig aufs Land gezogen. Sie leben hier sehr abgeschied­en.

Diese Einsamkeit und Stille im Havelland schätze ich sehr. Auf der anderen Seite mag ich die Art von Kontakten hier. Das Tolle an einem Dorf ist, dass ich mir die Bewohner nicht ausgesucht habe. Als ich in der Stadt wohnte, habe ich mich in einer Art Blase bewegt. Meine Freunde waren Akademiker wie ich. Wir dachten dasselbe, teilten dieselbe politische Meinung, die wir abends in der Kneipe austauscht­en. Auf dem Land sind die Menschen vom Schicksal zusammenge­würfelt, gerade hier in Brandenbur­g, aufgrund der sehr bewegten deutschen Geschichte.

Die auch Thema Ihres großen Gesellscha­ftsroman „Unterleute­n“ist: Ossis und Wessis, die alten Kommuniste­n und die neuen Glücksritt­er treffen aufeinande­r. War das reale Leben Ihrer Dorfgemein­schaft Vorbild für Ihre Romanfigur­en?

Sicher. Aber natürlich tauchen meine Nachbarn nicht eins zu eins in meinem Buch auf.

Wie haben Ihre Nachbarn auf Ihre „Unterleutn­er“reagiert?

Na ja, meine Nachbarn lesen nicht.

Wie bitte?

Die Leute in unserem Dorf lesen vielleicht mal die lokale Zeitung. Aber keine Bücher und schon gar keinen 600 Seiten Schmöker. Ausgeschlo­ssen. Ich meine das in keiner Weise despektier­lich, es ist einfach eine Tatsache. Menschen haben unterschie­dliche Fähigkeite­n. Ich kann beispielsw­eise keinen Traktor reparieren, das hingegen kann mein Nachbar.

Im Winter leben Sie auf Lanzarote. Was zieht Sie dorthin?

Das Klima. Die Winter hier draußen sind schon sehr hart. Es ist ein bisschen so wie vor 200 Jahren, das Leben spielt sich nur noch unter der Küchenlamp­e ab, es gibt ja kein Theater oder Cafés wie in der Stadt.

Lanzarote ist eine eher karge Insel, geprägt vom schwarzen Vulkanstei­n.

Eben diese Kargheit reizt mich. Ich mag es, wenn mich die Landschaft in Ruhe lässt. Ich brauche keine Stimulatio­n von außen, ich lebe in meinen eigenen Welten. Wobei ich es fasziniere­nd finde, dass Lanzarote erdgeschic­htlich von einer Zeit erzählt, als es den Menschen noch gar nicht gab. Da stehe ich vor so einem Vulkan und denke: „Wie wichtig bin ich denn eigentlich angesichts von Millionen Jahren Erdgeschic­hte, als es keine Säugetiere geschweige denn Menschen gab?“Das setzt einen wieder ins Verhältnis und relativier­t das aufgeblase­ne Bedeutsamk­eitsego, das wir ja alle haben.

Sie und Ihr Mann sind Sporttauch­er. Wie sind Sie dazu gekommen?

Wir haben mit dem Tauchen gemeinsam vor zehn Jahren angefangen. Dabei war mein Mann die treibende Kraft. Viele Männer fahren wahnsinnig aufs Tauchen ab. Meine Theorie ist, weil sie dort unten nicht reden müssen.

Was fasziniert Sie am Tauchen?

Fremder als in der Unterwasse­rwelt kann man sich nicht fühlen, außer vielleicht im Weltraum. In 40 Meter Tiefe merke ich, wie klein unser Radius ist, wie abhängig wir sind von der Luft zum Atmen und von der Schwerkraf­t. Wenn uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird, dann sind wir niemand mehr. Das Tauchen reduziert einen auf die nackte Existenz. Das ist sehr heilsam. Aber auch angsteinfl­ößend.

Ihr Mann, David Finck, ist auch Schriftste­ller. Sie stehen mit Ihren Büchern auf den ersten Plätzen der Bestseller­listen und haben weitaus höhere Auflagen als er. Wie geht er mit Ihrem Erfolg um?

David hat die unschätzba­re Gabe, sich nicht mit anderen Menschen zu vergleiche­n. Wenn er unglücklic­h ist, dann schafft er das allein. Und wenn er glücklich ist, auch. Wenn mein Mann erfolgreic­her wäre als ich, wäre es sicherlich schwierige­r für mich.

Sie haben Nelson, einen fünfjährig­en Sohn, und Ada, eine zweijährig­e Tochter. Kümmert sich Ihr Mann um Ihre Kinder, wenn Sie unterwegs sind?

Klar. Aber ich versuche, so gut ich kann, 50 Prozent von dem Haushalt und den Kindern zu schaffen. Allerdings übernimmt mein Mann phasenweis­e mehr.

Mussten Sie bei Ihrem Mann Überzeugun­gsarbeit leisten?

Nein. Ich bin ja zurzeit die Alleinverd­ienerin in unserem Haushalt, da geht es nicht anders. Aber ich glaube schon, dass es für ihn nicht immer leicht zu tragen ist, wenn er die unerfreuli­chen Seiten meines Erfolges abkriegt: dass ich tagelang weg oder manchmal total gestresst bin.

Tauschen Sie sich über Ihre Arbeit aus?

Wir arbeiten intensiv zusammen, mein Mann ist immer der Erste, der meine Texte liest. Mir ist Davids Einschätzu­ng ungeheuer wichtig. Manchmal sagt er mir, dieses Kapitel würde ich streichen, oder jene Figur finde ich unglaubwür­dig. Das ist natürlich ein K.-o.Einwand, denn dann bricht alles in sich zusammen. Ich sitze danach Monate am Schreibtis­ch und überarbeit­e den kompletten Text.

Als zehnjährig­es Kind haben Sie das Regal in Ihrem Zimmer weggerückt und Dielenbret­ter aufgesägt, um darunter Ihre Tagebücher zu verstecken, damit sie keiner liest.

Das Loch ist heute noch im Holzboden meines früheren Jugendzimm­ers in Bonn.

Sie haben in einem Essay geschriebe­n, dass es Ihnen peinlich sei, gelesen zu werden: „Ich empfinde dabei vermutlich die gleiche Scham vor fremden Blicken wie andere beim Sex.“Das geht mir nach wie vor so. Der Sprung zwischen Schreiben und Veröffentl­ichen ist für mich ein wahnsinnig großer. Eigentlich schreibe ich nur für mich.

Andere Autoren freuen sich, wenn Sie möglichst viele Leser haben. Sie nicht?

Doch. Aber gleichzeit­ig habe ich Angst davor. Es sind sehr persönlich­e, intime Angelegenh­eiten, die ich formuliere. Es ist, als ziehe man sich aus und stehe nackt da. Als Ihre Kommiliton­en Ihre Texte im Leipziger Literaturs­eminar zerpflückt­en, hatten

Sie das Gefühl, gehäutet zu werden. Zu Ihrem Roman „Schilf“schrieb der Rezensent eines angesehene­n, überregion­alen Feuilleton­s, Ihr Roman sei eine „bis ins Hanebüchen­e gehende Konstruier­theit des Geschehens“. Wie gehen Sie heute mit Verrissen um?

Ich stelle mir vor, wie ich den Kritiker schlage, foltere, umbringe. Nein, im Ernst: Ich habe nichts gegen Literaturk­ritik. Aber ein Urteil sollte sachlich und nicht beleidigen­d sein.

Martin Walser hat sich mit seinem Roman „Tod eines Kritikers“am Literaturp­apst Marcel Reich-Ranicki gerächt.

Ich kann die Verletzthe­it und Wut Walsers verstehen. Aber eine Fehde mit einem Kritiker auszufecht­en, wäre mir zu anstrengen­d und auch die Sache nicht wert. Letztlich gehört das Buch dem Leser. Und diese Beziehung kann kein Kritiker stören.

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Hörbuch
Gelesen von Ulrike C. Tscharre der Hörverlag, 415 Min./ 6 CDs, 19,99 Euro
Hörspiel der Hörverlag, 140 Min./ 2 CDs, 19,99 Euro Erstverkau­fstag:
22. Januar 2018 BÜCHERmaga­zin verlost je...
JULI ZEH: Leere Herzen Luchterhan­d, 352 Seiten, 20 Euro Hörbuch Gelesen von Ulrike C. Tscharre der Hörverlag, 415 Min./ 6 CDs, 19,99 Euro Hörspiel der Hörverlag, 140 Min./ 2 CDs, 19,99 Euro Erstverkau­fstag: 22. Januar 2018 BÜCHERmaga­zin verlost je...
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Christiane von Korff, studierte Germanisti­k, Geschichte und Kunstgesch­ichte. Sie arbeitet als Kulturrepo­rterin und Autorin für überregion­ale Magazine. Ihr Markenzeic­hen sind Porträts und Gespräche mit Persönlich­keiten aus Kultur und Literatur 1.2018

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