Michael & Simon Verhoeven:
Vater und Sohn über Filmemachen und Familie
Fast vier Millionen Kinozuschauer lachten über „Willkommen bei den Hartmanns“. Mit seiner Flüchtlingskomödie schuf Autor und Regisseur Simon Verhoeven, 44, den Kinohit des Jahres und seinen ganz persönlichen Familienfilm. Denn seine Mutter Senta Berger, 76, spielt eine der Hauptrollen. Sein Vater Michael, 78, selbst Regisseur (u. a. „Die weiße Rose“), war gemeinsam mit ihm als Produzent verantwortlich.
Wie war ich als Vater?
SV: Du hast nicht besonders viel davon mitbekommen, habe ich das Gefühl, als ich in der Schule Probleme hatte. MV: Eltern kriegen das ja nie richtig mit. SV: In dem Jahr, als ich mein Abitur gemacht habe, hat mich mein Vater gefragt, in welche Klasse ich eigentlich gehe. Er kreist eben um seine Arbeit. Trotzdem ist er auch der, zu dem ich gehe, wenn ich ein Problem habe. Er ist nicht gleich so emotional wie meine Mutter. Aber er war bei keinem einzigen Elternabend dabei. MV: Dafür ist eben deine Mutter da gewesen. Meine beiden Eltern waren nie bei einem Elternabend.
Wie war ich als Sohn?
MV: Wir haben uns schon große Sorgen gemacht. SV: Die konnte man sich auch machen. Ich war in der Pubertät sehr leichtsinnig unterwegs. Mit 16 hatte ich mit der Vespa einen schweren Unfall und habe dabei fast mein Leben verloren. MV: Wir sind nicht sehr autoritär gewesen und haben beiden Kindern große Freiheiten gelassen.
SV: Gemischt mit Strenge. Da hat man auch mal eine Watschn bekommen. MV: Einmal. SV: Nee, schon mehrmals. Aber viele meiner Freunde sind so aufgewachsen. Antiautoritär, aber es hat auch passieren können … MV: …dass einem die Hand ausrutscht. SV: Dass man reflexartig eine Watschn bekommt, wenn man’s übertrieben hat. Das war schon okay. Generell haben mich meine Eltern mit einer großen Dankbarkeit fürs Leben ausgestattet.
Was würden Sie heute anders machen?
MV: Ich wäre definitiv strenger mit ihm. Ich wollte ihn aufs Internat schicken, aber das war nicht durchzusetzen gegen Senta und Oma. Wochenlang ohne den Simon? Unmöglich! SV: Ich war in der Pubertät sehr hart zu meinen Eltern, das tut mir leid. Ich war ein frecher Hund. MV: Ist doch schön, herrlich, war ich auch! SV: Das Aufbrausende, Verletzende hat ihn nicht so sehr getroffen wie meine Mutter. Ich hatte ein wahnsinnig inniges Verhältnis zu ihr, der Abbruch während der Pubertät war schade. Meine Mutter war sehr enttäuscht. MV: Das habe ich nicht so erlebt. Vielleicht bin ich in der Familie doch der, der ein bisserl weiter weg ist von den Kindern. Ich habe immer gedacht, na, der kommt schon wieder zu uns. SV: Durch meinen eigenen Sohn ahne ich, wie weh so ein Verlust mir selbst tun würde. Mein Sohn ist das Zentrum meines Lebens geworden. Ich liebe ihn so sehr, wir haben so viel Spaß, wir machen so viel Quatsch. Ich sag immer zu ihm: „Wenn du in die Pubertät kommst, dann versprich, dass du immer noch so nett zu mir und zu deiner Mama bist und uns alles erzählst! Erinnere dich an meine Worte!“
Sagen Sie sich, welche Partei Sie wählen?
MV: Ich denke, Simon wählt im Herbst anders als wir. SV: Ich weiß es noch nicht. Wenn ich damals gelebt hätte, wäre ich auch 68er geworden. Vieles ist nun freier und toleranter. Mir ist es mitunter zu tolerant, ich bin in mancher Hinsicht vielleicht konservativer. MV: Viele, die Frau Merkel gut fanden, tun das durch die Flüchtlingsproblematik nicht mehr. SV: Du hast sie ja nie gewählt. MV: Ich würde gern mit ihr ein Glas Wein trinken, aber wählen würde ich sie nicht. SV: Früher war für mich klar: SPD, Grüne et cetera. MV: Welches Etcetera, bitte? Da gibt’s keines. SV: Wie du meinst. Die linksliberalen Werte, für die meine Eltern stehen, sind schon auch meine. Ich habe nur das Gefühl, die Linken kritisieren den Faschismus leider nur, wenn er deutsch oder westlich ist. MV: Da stimme ich sofort zu. Unsere Kritik an den Rechten macht halt an der Grenze. SV: Und an der Kultur. MV: Richtig. Diejenigen, die die Rechten bekämpfen, weil die gegen fremde Kulturen sind, nehmen nicht wahr, dass diese fremden Kulturen, die zu uns kommen, ebenso rechtsextreme Haltungen mit sich bringen… SV: …Islamismus, meinst du… MV: …Genau. Dass es im Islam leider ebenso viel Hass, Fanatismus, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus et cetera gibt wie bei unseren Rechten. SV: Wie ich erstaunt feststelle, sind wir da doch einer Meinung.
Wann haben Sie für sich erkannt, dass Sie das Filmemachen besser können als Ihr Vater?
MV: Kann er ja gar nicht! SV: Ich kann nix besser, ich mach’s anders. MV: Er hat ein sehr gutes Auge, kann toll Dialoge schreiben und die Dinge umsetzen. Aber wenn er vor die Aufgabe gestellt würde, meinen Film „Das schreckliche Mädchen“zu machen, wüsste ich nicht, ob er das so gut könnte. SV: Dein Film ist für mich ein Meisterwerk. Ich glaube aber auch nicht, dass mein Vater die „Hartmanns“so gut inszenieren könnte wie ich. Wir sind schon sehr verschieden und machen recht unterschiedliche Filme. Und trotzdem haben wir einen ähnlichen Blick auf Menschen und auf das Leben.
Gibt es eine Fortsetzung von „Willkommen bei den Hartmanns“?
MV: Für mich ist die Geschichte zu Ende erzählt. Lieber nicht. SV: Ich überlege noch. Wenn mich eine Idee für eine weitere Story mit den Hartmanns überzeugt, mach ich es.
„ICH DENKE, SIMON WÄHLT IM HERBST ANDERS ALS WIR“– „ICH WEISS ES NOCH NICHT“