Eine Mauer aus Watte
Unfassbar, wenn einem ein plötzlicher Schicksalsschlag den geliebten Menschen nimmt. Doch wie verzweifelt mag man sein, wenn man mit ansehen muss, wie unbeirrbar die eigene Tochter dem Tod entgegengeht? Über Jahre hinweg. Und auf eine erschütternde Art zielstrebig, die einen schaudern lässt. Wenn kein Zureden hilft. Wenn sich das Kind jeder Vernunft verschließt. Wenn man gegen eine Mauer rennt. Eine Mauer aus Watte. Weich, aber undurchdringlich.
Die Hinterbliebenen der ehemaligen Miss Sachsen, Henriette Hömke, durchleiden solch eine Tragödie. Die junge Frau starb an den Folgen ihrer Magersucht. Eine Tragödie, die durch den Tod einen traurigen Höhepunkt erreicht hat. Eine Tragödie, die Familie und Freunde wahrscheinlich nie wieder ganz loslässt.
Quälend die Selbstvorwürfe. Haben wir diese Krankheit vielleicht mit unbedachtem Verhalten ausgelöst? Hätten wir helfen können? Haben wir wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft? Doch gegen das Selbstzerstörerische der Magersucht kommt niemand an.
Magersüchtige sind gefangen in einer verzerrten Selbstwahrnehmung. Sie sehen Speckröllchen, wo keine existieren. Sie treiben exzessiv Sport, um zu beweisen, dass ihr ausgezehrter Körper ungemindert leistungsfähig ist. Sie fühlen sich hässlich und wertlos, obwohl sie es nicht sind.
Für Henriette begann der Selbsthass bei der Wahl zur Miss Germany. Sie kam nicht unter die ersten Zehn. Sie gab sich selbst die Schuld daran. Sie fühlte sich nicht schön genug. Ausgerechnet dieses bildschöne, kluge Mädchen, liiert mit einem erfolgreichen BundesligaTorhüter, verlor nach einem Schönheitswettbewerb ihre Selbstachtung.
Jetzt, zehn Jahre später, war Henriette in den Urlaub nach Ägypten gereist. Familie und Freunde hatten sie dringend davor gewarnt. Zu schlecht sei dort die medizinische Versorgung. Am zweiten Ferientag starb sie. Tausende Kilometer von zu Hause entfernt. So, als wollte sie niemandem zur Last fallen. Dabei hätten sich alle so sehr gewünscht, sie noch einmal in den Arm zu nehmen. Der Schmerz bricht die Schale auf, die das Verstehen allzu oft umschließt.