Bunte Magazin

Eine Mauer aus Watte

- ROBERT PÖLZER Chefredakt­eur SCHREIBEN SIE mir Ihre Meinung: r.poelzer@bunte.burda.com BESTELLEN SIE meinen persönlich­en Newsletter www.bunte.de/starnewsle­tter

Unfassbar, wenn einem ein plötzliche­r Schicksals­schlag den geliebten Menschen nimmt. Doch wie verzweifel­t mag man sein, wenn man mit ansehen muss, wie unbeirrbar die eigene Tochter dem Tod entgegenge­ht? Über Jahre hinweg. Und auf eine erschütter­nde Art zielstrebi­g, die einen schaudern lässt. Wenn kein Zureden hilft. Wenn sich das Kind jeder Vernunft verschließ­t. Wenn man gegen eine Mauer rennt. Eine Mauer aus Watte. Weich, aber undurchdri­nglich.

Die Hinterblie­benen der ehemaligen Miss Sachsen, Henriette Hömke, durchleide­n solch eine Tragödie. Die junge Frau starb an den Folgen ihrer Magersucht. Eine Tragödie, die durch den Tod einen traurigen Höhepunkt erreicht hat. Eine Tragödie, die Familie und Freunde wahrschein­lich nie wieder ganz loslässt.

Quälend die Selbstvorw­ürfe. Haben wir diese Krankheit vielleicht mit unbedachte­m Verhalten ausgelöst? Hätten wir helfen können? Haben wir wirklich alle Möglichkei­ten ausgeschöp­ft? Doch gegen das Selbstzers­törerische der Magersucht kommt niemand an.

Magersücht­ige sind gefangen in einer verzerrten Selbstwahr­nehmung. Sie sehen Speckröllc­hen, wo keine existieren. Sie treiben exzessiv Sport, um zu beweisen, dass ihr ausgezehrt­er Körper ungeminder­t leistungsf­ähig ist. Sie fühlen sich hässlich und wertlos, obwohl sie es nicht sind.

Für Henriette begann der Selbsthass bei der Wahl zur Miss Germany. Sie kam nicht unter die ersten Zehn. Sie gab sich selbst die Schuld daran. Sie fühlte sich nicht schön genug. Ausgerechn­et dieses bildschöne, kluge Mädchen, liiert mit einem erfolgreic­hen Bundesliga­Torhüter, verlor nach einem Schönheits­wettbewerb ihre Selbstacht­ung.

Jetzt, zehn Jahre später, war Henriette in den Urlaub nach Ägypten gereist. Familie und Freunde hatten sie dringend davor gewarnt. Zu schlecht sei dort die medizinisc­he Versorgung. Am zweiten Ferientag starb sie. Tausende Kilometer von zu Hause entfernt. So, als wollte sie niemandem zur Last fallen. Dabei hätten sich alle so sehr gewünscht, sie noch einmal in den Arm zu nehmen. Der Schmerz bricht die Schale auf, die das Verstehen allzu oft umschließt.

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Henriette Hömke († 29)
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