Bunte Magazin

Ich bin so STOLZ auf meine Schwester MARC MARSHALL TONY

ist wie sein Vater ein berühmter Sänger. Hier stellt er zum ersten Mal Schwester STELLA vor, die mit einer Behinderun­g auf die Welt kam

- Interview: Christiane Soyke

Die Fans von Marc Marshall, 54, wissen schon lange, dass er eine behinderte Schwester hat, aber bisher hat sich Stella, 38, selbst noch nie in der Öffentlich­keit geäußert. BUNTE traf die Geschwis‑ ter zusammen mit ihrer Mutter Gaby, 78, bei der „Lebenshilf­e“in Baden‑Baden. Hier erzählen sie zum ersten Mal ihre Familienge­schichte, denn sie möchten auf diese Weise ein wenig die Grenzen zwischen Behinderte­n und Nichtbehin­derten einreißen, sagen sie.

Wann haben Sie gemerkt, dass Stella ein Handicap hat? Marc: Meine Schwester war ein sehr zartes Baby und wir haben gleich diese kleine Delle auf ihrer Stirn gesehen. Außerdem waren ihre Augen geschlosse­n, das kam uns komisch vor. Wir wussten nicht, was los sein könnte, aber wir hatten einen Verdacht. Gaby: Der Arzt hatte bei mir in der zehnten Woche eine Blind‑ punktion gemacht, sprich: eine Fruchtwass­eruntersuc­hung ohne Überwachun­g durch den Ultraschal­l. Er hat zweimal mit der Na‑ del in meinen Bauch gestochen. Ich war damals noch sehr unbe‑ darft und habe dem Arzt vollkommen vertraut. Sechs Wochen später kam das Schreiben von der Klinik, dass ich eine gesunde Tochter bekomme, und ich war beruhigt. Doch Stel‑ la konnte von Anfang an ihre Augen nicht öffnen, das kam mir komisch vor. Nach und nach kam dann raus, dass sie durch die Amniozente­se verletzt wurde und dadurch eine Nervenlähm­ung am linken Auge hat.

Wie gut sehen Sie heute mit diesem Auge, Stella? Stella: Ich kann Umrisse wahrnehmen, aber mein rechtes Auge ist mein „Guck‑Auge“, wie ich immer sage. Ich bin zwar sehr stark kurzsichti­g, aber mit mei‑ ner Brille kann ich lesen, fernsehen und mich auch gut in der Welt orientiere­n. Mein Gehör ist sehr gut und das hilft natürlich auch. Schwer ist es nur nachts, da habe ich ein bisschen Angst, weil ich mich in der Dunkelheit schlech‑ ter orientiere­n kann. Wenn ich also ausgehen möchte, brauche ich immer jemanden, der mich abholt und wieder nach Hause bringt. Manchmal wünschte ich mir, dass meine Freunde das öfter machen würden, denn ich gehe gern aus. Gaby: Stellas Herausford­erung ist vor allem ihre Körperbehi­nde‑ rung. Sie fing erst mit fünf Jahren zu laufen an und damals wur‑ de auch noch bei ihr eine Krampf‑Spastik im linken Fuß und in der rechten Hand diagnostiz­iert. Stella: Der Einstich hat den Augen‑Nerv getroffen, ging bis in die rechte Gehirnhälf­te und hat dadurch viele Motorik‑Zentren ver‑ letzt. Wenn ich laufe, sieht man das, aber dank jahrelange­r Kran‑ kengymnast­ik stehe ich heute auf meinen zwei Beinen.

Wie haben Sie diese Zeit erlebt, Marc? Marc: Ich war 15, als Stella auf die Welt kam und habe lange gar nicht realisiert, welche Dramen sich bei uns zu Hause abspielten. Ich war voll in der Pubertät, habe nach Mädchen geschaut, war mit meinen Kumpels weg. Ich hatte völlig andere Themen als die Sorge um meine Schwester. Ich bewundere meine Mutter unendlich dafür, welche Kraft sie damals in sich gefunden hat, um uns allen gerecht zu werden, ihrem Ehemann, ihren beiden Söhnen – und ihrer Tochter.

Wir Männer fühlten nie irgendeine Einschränk­ung in unserem Familienle­ben. Stella war unsere kleine Schwester, aber sie hatte keine Sonderstel­lung in der Familie. Sie war so, wie sie war. Gaby: Heute bereue ich es manchmal, dass ich euch nicht mehr eingebunde­n habe. Ich wollte damals allen gerecht werden und auch meine Söhne nicht wegen meiner Tochter vernachläs­sigen. Marc: Dadurch hatten wir ein normales Familienle­ben, obwohl die Realität natürlich anders war. Und: Du hast Stella von der ersten Sekunde an als ein ganz besonderes Geschenk gesehen. Ich war damals noch zu jung, aber ich weiß heute dass meine Schwester mein Leben unendlich bereichert hat – ich bin so stolz auf sie! Und wundere mich, dass behinderte Menschen in unserer Gesellscha­ft noch immer stigmatisi­ert werden, statt dass wir alle ihnen unsere Unterstütz­ung anbieten. Ich bin ja auch Botschafte­r für die Organisati­on „Wir sind eins“, die sich mit der Beziehung zwischen Behinderte­n und Nicht-Behinderte­n beschäftig­t.

Wann fingen Sie denn an, sich dafür zu interessie­ren? Als ich selbst Vater wurde und meine Eltern den Arzt verklagten, der diese Untersuchu­ng durchgefüh­rt hatte. Meine Eltern wollten Aufmerksam­keit schaffen für die gesamte Problemati­k. Gaby: Wir hatten keine Chance gegen den Arzt, weil ich mich vorher mit der Untersuchu­ng schriftlic­h einverstan­den erklärt hatte. Vor drei Jahren passierte dann etwas ganz Ungewöhnli­ches. Bei einem Konzert meines zweiten Sohnes Pascal kam ein älterer Herr auf ihn zu und sagte: „Ich bin der Arzt, der damals Ihre Schwester im Mutterleib verletzt hat. Ich möchte mich gern bei ihr entschuldi­gen.“Stella: Pascal hat mich am nächsten Tag gefragt, ob ich den Mann kennenlern­en möchte, und heute im Rückblick muss ich leider sagen, dass es mein größter Fehler war, dass ich da zugestimmt habe. Pascal meinte, dass ich so vielleicht mit dem Thema abschließe­n könnte, aber ich kenne ja kein anderes Leben. Ich hatte mir bis dato nie darüber Gedanken gemacht, dass ich ohne diesen Mann ein völlig anderes, normales Leben hätte führen können. Doch seither stelle ich mir oft diese Fragen.

Sie sind dann zu dem Treffen gegangen? Ja. Leider. Der Arzt hatte uns zu einem Fest eingeladen und hat die ganze Zeit in der dritten Person über mich geredet, obwohl ich danebensta­nd. Das kommt leider oft vor und ärgert mich immer sehr. Den ganzen Abend kam es zu keinem richtigen Gespräch und danach hat er sich nie mehr bei mir gemeldet. Das hat mich sehr verletzt und aufgewühlt. Aber inzwischen geht es mir wieder besser. Ich führe ein glückliche­s Leben trotz meiner Grenzen, die mir sehr bewusst sind. Ich war in einer integrativ­en Schule, habe drei Jahre in Karlsruhe eine Ausbildung gemacht und arbeite jetzt in Baden-Baden bei der Lebenshilf­e. Mir geht es gut. Marc: Stella lebt seit 15 Jahren schon allein in ihrer Wohnung, hat einen Job, bei dem sie sehr beliebt ist und den sie großartig macht. Sie ist eine selbststän­dige, junge Frau und das macht mich glücklich. Ich bewundere meine Schwester sehr für ihre positive, fröhliche Lebenseins­tellung.

Fehlt Ihnen trotzdem noch etwas, Stella? Stella: Ich muss mich noch ein bisschen mehr von meiner Mutter abnabeln, das ist mein nächstes Projekt. Außerdem bin ich jetzt 38 Jahre alt und wünsche mir natürlich auch einen Partner, aber wo soll ich denn jemanden kennenlern­en? Man lebt als Behinderte­r irgendwie hinter einer unsichtbar­en Mauer. Ich habe im Frühling Urlaub gemacht in den USA, da wurde mir ganz offen und freundlich begegnet und keiner hat nach meiner Behinderun­g gefragt. Da durfte ich mich wie eine ganz normale, junge Frau fühlen. Das fand ich wunderbar.

VOR EIN PAAR JAHREN TRAF SIE DEN ARZT: „MEIN GRÖSSTER FEHLER“

 ??  ??
 ??  ?? Die neue CD von Marc Marshall heißt „Herzschlag“– so wie seineTourn­ee (ab 8.9. bis November). marcmarsha­ll.de
Die neue CD von Marc Marshall heißt „Herzschlag“– so wie seineTourn­ee (ab 8.9. bis November). marcmarsha­ll.de
 ??  ?? IM KURPARK von BadenBaden: Marc Marshall mit seiner Schwester Stella und seiner Mutter Gaby
IM KURPARK von BadenBaden: Marc Marshall mit seiner Schwester Stella und seiner Mutter Gaby
 ??  ?? MIT PAPA Tony Marshall stand Marc auch schon auf der Bühne. Die ganze Familie musiziert – auch Stella – und engagiert sich für die Lebenshilf­e (lebenshilf­ebba.de)
MIT PAPA Tony Marshall stand Marc auch schon auf der Bühne. Die ganze Familie musiziert – auch Stella – und engagiert sich für die Lebenshilf­e (lebenshilf­ebba.de)

Newspapers in German

Newspapers from Germany