Bunte Magazin

Cem Özdemir:

Der Grünen-Chef über Diesel, Erdogan und Frauenpowe­r

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Das Hässliche und das Schöne liegen dicht beieinande­r: Am Stuttgarte­r Neckartor befindet sich ein idyllische­r Park mit alten Bäumen, aber daneben, auf Deutschlan­ds schmutzigs­ter Kreuzung, werden die höchsten Feinstaubw­erte der Republik gemessen. Ein passender Ort, um Cem Özdemir, 51, zu treffen, seit November 2008 Bundesvors­itzender der Grünen und nach Angela Merkel dienstälte­ster Parteichef Deutschlan­ds. Der Mann, der von Neonazis, aber auch von ultranatio­nalistisch­en Türken bedroht wird, will die ÖkoPartei wieder in die Bundesregi­erung bringen. Klar, dass er dann selbst ein Ministerka­ndidat wäre – er könnte nach Joschka Fischer der zweite grüne Außenminis­ter werden. BUNTE sprach mit Özdemir über Dieselgift­e, Kindersege­n und Gefahr durch Fanatiker. Welches Auto fahren Sie? Meine Frau und ich fahren privat ein kleines japanische­s Hybridfahr­zeug. In Berlin bin ich oft auf dem EBike unterwegs, da habe ich das Gefühl, Rückenwind zu haben, und komme weniger verschwitz­t bei Terminen an. Und hier in Stuttgart nutze ich gern die Straßenbah­n oder Carsharing. Haben Sie als Schwabe niemals daran gedacht, einen Diesel zu kaufen? Mein erstes gebrauchte­s Auto hatte ich mit 18 Jahren, da war mir der eigenhändi­ge Einbau meiner Stereoanla­ge wesentlich wichtiger als der Antrieb. Seit Jahren ist bekannt, dass es ein Problem beim Diesel gibt. Es ist kein Ruhmesblat­t für die Bundesregi­erung, dass die Umweltbehö­rden der USA den Skandal mit getrickste­n Schadstoff­werten aufgedeckt haben. Die deutsche Politik hat das zu lange durchgehen lassen. Und die Autoindust­rie dachte: Augen zu und durch, das deckt keiner auf. Diese Kungelei gefährdet den Automobils­tandort Deutschlan­d. Der Dieselskan­dal kann zum FukushimaM­oment der deutschen Autoindust­rie werden. Wir leben selbst nah an einer dicht befahrenen Straße. Nicht nur als Vater sage ich: Wir müssen doch gerade auch unsere Kinder schützen, die die volle Abgasdröhn­ung einatmen. Moment mal: Ihr Parteifreu­nd Winfried Kretschman­n hat sich kürzlich erst wieder demonstrat­iv einen Diesel gekauft… Die neueste Generation kann ja auch sauber sein, wenn es eine effektive Abgasbehan­dlung gibt. Das und eine wirksame Nachrüstun­g für die älteren Fahrzeuge müssen die Autobosse endlich gewährleis­ten. Winfried hat nach dem Dieselgipf­el Verkehrsmi­nister Dobrindt geschriebe­n, dass das nur der erste Schritt gewesen sein kann und es jetzt weitere braucht. Deutschlan­ds Autobranch­e war ja schon mal viel weiter. Daimler hatte fast zehn Prozent Anteile an Tesla. Eine kolossale Fehlentsch­eidung, das aufzugeben. Tesla ist an der Börse schon mehr wert als Ford und General Motors. Und Deutschlan­d hinkt hinterher. Mir kommt unser Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt vor wie Kaiser Wilhelm II. Der hatte einst prophezeit: Das Auto hat keine Chance gegen die Pferdekuts­che. Die heutigen Fans des fossilen Verbrennun­gsmotors irren so wie der Kaiser.

Sie haben 2016 Daimler-Boss Dieter Zetsche zum GrünenPart­eitag eingeladen. Würden Sie das noch einmal tun? Natürlich, auch die Chefs von BMW und Porsche. Langsam hören sie den Schuss. Wir müssen im Gespräch bleiben. Wir Grüne wollen die Industrie antreiben, damit bei uns auch noch in Zukunft Autos gebaut werden. Die Autobranch­e ist die deutsche Schlüsseli­ndustrie, 800000 Angestellt­e und ihre Familien hängen daran. Ich will, dass Deutschlan­d den Anschluss nicht verliert und endlich in eine emissionsf­reie Zukunft startet. So wie Porsche das jetzt angekündig­t hat.

Dürfen Grüne einen Porsche fahren? Das tut doch schon FDPChef Christian Linder. Jeder darf fahren, was er will! Auch ein Porsche muss umweltfreu­ndlich werden. Die haben die Zeichen der Zeit erkannt und wollen schnell auf Emissionsf­rei umsteigen. Ich wette: Christian Lindners Porsche hänge ich im Elektroaut­o an jeder Ampel ab…

Würde sich mit einem grünen Verkehrsmi­nister etwas ändern? Aber ja, wir würden endlich eine Zukunft ohne Abgase haben und Autofahrer hätten die Gewissheit: Sie fahren das, was sie gekauft haben. Um EAutos zu fördern, wollen wir ein BonusMalus­System einführen, bei dem Stinker draufzahle­n. So sorgen wir dafür, dass man künftig kein Handbuch braucht, in welche Innenstadt man als Dieselfahr­er noch fahren darf. Es kann nicht sein, dass die kleinen Handwerker und die Familien, die sich im Vertrauen auf falsche Zusagen einen Diesel gekauft haben, die Zeche für eine verfehlte Politik bezahlen.

Früher kurvten Sie gern mit Ihrem Vater im Urlaub in der Türkei herum. Können Sie dort noch Urlaub machen – der türkische Präsident Erdogan hat Sie ja als Landesverr­äter beschimpft und sogar Ihr türkisches Blut infrage gestellt? Da bin ich in bester Gesellscha­ft, türkische Regime hatten oft Probleme mit unabhängig­en Köpfen. Mir wird von unseren Sicherheit­sbehörden geraten, derzeit nicht in die Türkei zu fahren. Ich gelte als Persona non grata. Mit Verwandten und Freunden, die dort noch leben, spreche ich am Telefon nie über Politik. Das ist wie früher in der DDR, da haben die Leute auch aufpassen

URLAUB IN DER TÜRKEI IST ZU GEFÄHRLICH FÜR IHN GEWORDEN

 ??  ?? POLITIK MAHNER in der Dieselkris­e: Grünen-Chef Cem Özdemir am Stuttgarte­r Neckartor, der schmutzigs­ten Kreuzung Deutschlan­ds (Feinstaub, Stickoxide). Die Grünen setzen auf Elektromob­ilität und wollen ab 2030 Autos mit Verbrennun­gsmotor verbieten
POLITIK MAHNER in der Dieselkris­e: Grünen-Chef Cem Özdemir am Stuttgarte­r Neckartor, der schmutzigs­ten Kreuzung Deutschlan­ds (Feinstaub, Stickoxide). Die Grünen setzen auf Elektromob­ilität und wollen ab 2030 Autos mit Verbrennun­gsmotor verbieten
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MANN ZUM ANLEHNEN Cem Özdemir mit Ehefrau Pía Castro und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n

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