Haarausfall: Was dahintersteckt und was dagegen hilft
PLÖTZLICH FALLEN DIE HAARE AUS? Das kann einen ganz schön erschrecken. BUNTE erklärt, welche Ursachen dahinterstecken können – und was dagegen hilft
Dass ausgerechnet ein Frisurentrend dem Thema Haarausfall neue Aufmerksamkeit bescheren würde, war nun wirklich nicht zu erwarten gewesen. Es geht um den sogenannten Top Knot. Dabei handelt es sich um den straffen Hochsteckknoten, den Promis wie Kate Bosworth, Kate Hudson oder Lindsay Lohan auf dem roten Teppich so gern spazieren tragen. Plötzlich wird die Lieblingsfrisur der Stars verantwortlich gemacht für den nach hinten wandernden Haaransatz, im medizinischen Fachjargon Traktionsalopezie genannt. Dr. Edward Ball, Chef der Londoner MaitlandKlinik, die sich auf HaarausfallBehandlung spezialisiert hat, erklärt, was da passiert: „Ständiges Ziehen schädigt die Haarfollikel, die unsere Haarwurzeln umgeben und für die Haarproduktion zuständig sind. Sie können sich entzünden und langfristig ihren Betrieb einstellen.“
Eine Erfahrung, die auch die Münchner Dermatologin Dr. Andrea Niedermeier aus ihrer Haarsprechstunde kennt: „Ein dauernder straffer Dutt oder Zopf schädigt die Haarwurzeln“, weiß sie. „Trotzdem ist das nur ein Grund für Haarausfall. Der häufigste hat genetische Ursachen.“
STÄNDIGES ZIEHEN SCHÄDIGT UNSERE HAARWURZELN
Haarausfall: Wie viel ist normal?
Die Expertin nennt erschreckende Zahlen: Nahzu jede zweite Frau ist hierzulande im Laufe ihres Lebens von dem erbanlagebedingten Haarausfall betroffen – und mehr als
100 000 HAARE haben wir auf unserem KOPF
80 Prozent der Männer. Das bedeutet aber glücklicherweise nicht, dass mehr als halb Deutschland mit einem Kahlschlag auf dem Kopf rechnen muss. Die gute Nachricht: Relativ häufig ist der Haarausfall ein Symptom, das nach einiger Zeit wieder von selbst vergeht und außerdem gut zu behandeln ist.
Bis zu einer bestimmten Menge ist Haarausfall normal und notwendig. Die Lebensdauer des Haares verläuft in Zyklen, in denen sich die Wachstumsphasen mit Ruhe- und Ausfallphasen abwechseln (s. S. 73). In Zahlen: Etwa 100000 Haare haben wir auf dem Kopf. Zehn Prozent davon – also etwa 10 000 – befinden sich in der Ruhephase, der sogenannten Telogenphase. Das heißt, sie werden innerhalb der nächsten drei Monate ausgehen. Macht gut 3000 Haare pro Monat – also rund 100 pro Tag. Zum Überprüfen sollte man zählen, was in Bürste, Kamm oder beim Haarewaschen täglich hängen bleibt. Und wenn es doch mal mehr ist? „Keine Panik, wenn das im Herbst oder Winter passiert“, beruhigt Karin Stadler-Linn, Haarexpertin bei der Firma Merz: „Jahreszeitliche Schwankungen wie beim Fellwechsel in der Tierwelt sind ganz normal. Bis zum Frühjahr wachsen die Haare dann wieder nach.“
Diagnose in der Haarsprechstunde
Und wenn sie das doch nicht tun? Oder täglich ein paar Hundert Haare ausfallen, gleichzeitig der Scheitel lichter wird, die ersten Geheimratsecken zu sehen sind? Spätestens dann ist der Gang zum Dermatologen sinnvoll, idealerweise zu einem Spezialisten mit eigener Haarsprechstunde. Was dort passiert, erklärt Andrea Niedermeier: „Am Anfang steht ein langes Gespräch, bei dem es um Vorerkrankungen geht, um Medikamente, die eingenommen werden. Um möglichen Haarausfall bei Eltern und Großeltern. Danach folgt meist eine Analyse der Kopfhaut, zum Beispiel am Computer mit einem Trichoscan. Dieses Gerät kann die Haardichte bestimmen.“Dank einer speziellen Software und der sogenannten Auflichtmikroskopie muss man dafür auch keine Haare lassen. Auch Blutuntersuchungen sind bei komplizierteren Fällen möglich. Am Ende des Verfahrens können Experten den jeweiligen Haarausfall-Typ bestimmen.
Die (Haar-)Wurzeln allen Übels
In der Medizin unterscheidet man zwischen dem erblich bedingten, dem kreisrunden sowie dem diffusen Haarausfall. Dr. Bruce Reith, Haar-Chirurg und Chefarzt bei Medical Hair in München: „Beim erblich bedingten Haarausfall verkürzt sich die Wachstumsphase der Haare. Sie fallen früher aus und werden von Zyklus zu Zyklus dünner, bis sie mit der Haarwurzel absterben. Ort des krankhaften Geschehens sind also die Haarwurzeln selbst.“Warum es überhaupt zu diesem Haarausfall kommt, ist bis heute noch Gegenstand der Forschung – zumindest, was Frauen betrifft. Dr. Reith: „Bei Männern hat es mit dem Hormon Dihydrotestosteron zu tun. Die
Empfindlichkeit bestimmter Haarwurzeln auf dieses Hormon wird vererbt. Bei Frauen spielt das Hormon, wenn überhaupt, nur eine indirekte Rolle.“
Der kreisrunde Haarausfall, bei dem sich in kurzer Zeit runde kahle Stellen am Kopf bilden, gilt als Autoimmunerkrankung. Expertin Dr. Niedermeier: „Hier wehrt sich das Immunsystem des Körpers und greift die Haarwurzeln an, sodass sie sich entzünden können. Die Haare sind dann wie gelähmt, nichts wächst mehr.“
Hinter dem sogenannten diffusen Haarausfall dagegen können sich eine Menge gesundheitlicher Probleme verstecken. Hormonschwankungen während der Wechseljahre, in Schwangerschaft oder Stillzeit. Eine kranke Schilddrüse. Eine Crash-Diät, bei der man 15 oder 20 Kilogramm in kurzer Zeit abgenommen hat. Eine überstandene Grippe oder Infektion oder natürlich eine Chemotherapie. All das kann den Haarzyklus so beeinflussen, dass nach etwa drei Monaten die Haare büschelweise aus- fallen. Dieser Haarausfall ist meist vorübergehend: Ist das gesundheitliche Problem beseitigt, wächst das Haar wieder.
Helfer mit Wachstumspotenzial
Dauert es mit dem Nachwachsen zu lange oder sind die Haarwurzeln beschädigt, können Dermatologen heute unter vielfältigen Therapien wählen. Andrea Niedermeier setzt auf den Arzneiwirkstoff Minoxidil, der in Lösungen, Tinkturen oder Schaum verpackt auf die Kopfhaut massiert wird. „Sind die Haarwurzeln nur etwas müde geworden, kann der Wirkstoff sie anschubsen und die Haare vermehrt in die Wachstumsphase bringen“, erklärt sie. Diese Wirkung wurde übrigens eher zufällig entdeckt: Eigentlich war Minoxidil ein Blutdruckmedikament, als Nebenwirkung fingen bei den Patienten die Haare zu sprießen an.
Bruce Reith bevorzugt in seiner Praxis Behandlungen wie die Mesotherapie, bei der ein individuell zusammengemixter Vitamincocktail per Minikanüle in die Kopfhaut injiziert wird. „Diese sanfte, schmerzfreie Therapie verbessert die Mikrozirkulation der Haut, einzelne Haarfollikel werden gestärkt. Das kann beginnenden Haarausfall aufhalten – und wirkt auch bei kreisrunden kahlen Stellen.“Auch mit einer Eigenbluttherapie hat der Experte gute Erfahrungen gemacht: „Das Blutplasma wird ebenfalls in die Kopfhaut gespritzt und regt die Zellregeneration im Körper stark an. Das verlangsamt den Haarausfall und verbessert die Haarqualität.“ Ebenso können Nahrungsergänzungsmittel zu Fülle und Glanz verhelfen. Hier haben sich Kuren mit Biotin, auch als Vitamin B7 oder Vitamin H bekannt, bewährt (z. B. „Bio-H-tin“von Dr. R. Pfleger). Auch hoch dosierte Aminosäuren, B-Vitamine, Proteine und medizinische Hefe können die Haare vermehrt in die Wachstumsphase führen. Karin StadlerLinn berichtet von Untersuchungen bei Merz, die eine deutlich schnellere Haarzellenteilung zeig-
WIE SONNENSCHUTZ WIRKLICH FUNKTIONIERT? Laden Sie sich gratis die BUNTE-Tipps von Experten herunter. bunte.de/ magazin-download
Der Kopfhaut tut BÜRSTEN gut
ten, die wichtige Voraussetzung für gesundes Wachstum. „Dazu braucht man allerdings Geduld“, erklärt sie. „Drei bis sechs Monate kann es schon dauern, vorher lassen sich keine Erfolge nachweisen.“Was im Übrigen für so gut wie jede Therapie gilt, da Haare eben in ihrem eigenen Rhythmus wachsen. Wer die Mittel nicht täglich schluckt oder einpinselt, wartet meist vergeblich auf eine Wirkung.
Auf eine gesunde Basis achten
Einen ganzheitlichen Weg bei der Haarausfall-Behandlung geht Naturfriseur Michael Rogall, der in seinem Buch „Haarsprechstunde“(Quell Edition, 22,90 Euro) die gesundheitliche Aufklärung in den Vordergrund rückt. Im Zentrum steht bei ihm die Kopfhaut. „Man sollte sie täglich bürsten. Ähnlich wie beim Zähneputzen entfernt man dadurch Beläge wie Schuppen oder Produktreste“, erklärt Rogall. „Vor allem aber kommt die Durchblutung in Gang. Nur auf einer gut durchbluteten Kopfhaut können die Haare wachsen.“ Entscheidend sei dabei die Bürste. Haarprofi Rogall empfiehlt eine Bürste mit Wildschweinborsten, da diese wie menschliche Haare aufgebaut sind.
Ansonsten schaut er seinen Patienten nicht nur auf Haare und Kopfhaut. „Wichtig ist ein umfassender Blick auf den Menschen. Ich schaue auf Schwellungen im Gesicht, auf Veränderungen an den Fingernägeln. Aus meiner Erfahrung ist Haarausfall oft nur ein Symptom für eine versteckte Gesundheitsstörung.“Oft sei ein belasteter Darm oder die Leber die Ursache dafür, dass der Haarwuchs schwächelt.
Wenn unsere Haare voll sind und glänzen, fühlen wir uns nicht nur attraktiver, auch unsere Lebensfreude steigt. Den Nachweis erbrachte Mediziner Reith in einer Studie mit Patienten: „Selbst die Rate klinischer Depressionen, unter denen 18,2 Prozent der Studienteilnehmer litten, sank auf 2,4 Prozent.“Selbstbewusster mit üppigen Haaren: US-Schauspielerin Kristin Davis ist ebenfalls ein Beispiel, das diese These bestätigt. Während der „Sex and the City“-Drehzeiten plagte sie sich immer wieder mit ihrem dünner werdenden Haar herum, wie sie kürzlich einer USZeitschrift verriet. „Glücklicherweise waren diese Phasen nach ein paar Wochen vorbei – erst dann konnte ich wieder unbeschwert vor der Kamera stehen.“