Ich möchte endlich einen MANN und KINDER
Sie bezeichnet sich lachend als „Überlebenskünstlerin“, während Natascha Kampusch, 29, BUNTE von ihrem neuesten Versuch erzählt, endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen. „Ich habe die Gefangenschaft überlebt und arbeite nun als Künstlerin, also bin ich eine Überlebenskünstlerin.“
Fast auf den Tag genau elf Jahre nachdem ihr die Selbstbefreiung (am 23. August 2006) aus den Händen ihres Peinigers Wolfgang Priklopil gelang, der sie acht Jahre in einem Kellerverlies gefangen hielt, erfüllt sich Natascha Kampusch einen ganz besonderen Wunsch, den sie schon seit ihrer Kindheit im Herzen trägt. Sie hat mithilfe einer Goldschmiedin und einer Schmuckdesignerin eine eigene, fünfteilige Schmuckkollektion (siehe Fotos) entworfen, die den schwungvollen italienischen Namen „Fiore“(Blume) trägt.
„Zentraler Blickfang bei fast allen Stücken ist mein ganz persönliches Symbol. Es besteht aus einer Blume, deren Stiel zwar einen Knick hat, aber dennoch in einem Schwung steil nach oben führt. Das soll einerseits als ein ‚N‘ für Natascha stehen. Andererseits soll es auch bedeuten, dass durch meine Gefangenschaft ein Knick bei mir verursacht wurde. Dass es aber auch wieder mit mir bergauf ging. Und letztlich hat die Blume, also ich, zu blühen begonnen.“
Die Seele von Natascha Kampusch ist übervoll mit romantischen Gedanken und Sehnsüchten, die völlig normal sind für eine junge, strahlende Frau, die im Fe‑ bruar 2018 ihren 30. Geburtstag feiert. „Ich will endlich Frau sein und nicht mehr das ewige Kind aus dem Keller“, sagt sie. „Ich lasse mich auf das Spiel mit der Weiblich‑ keit ein. Allerdings möchte ich nicht unbe‑ dingt erotisch auffallen, sonst würde ich tiefe Ausschnitte tragen und Sport machen. Vielmehr möchte ich das Zarte, Fili‑ grane, das in mir steckt, unterstrei‑ chen. Schmuck ist für mich der In‑ begriff des Schönermachens und der Weiblichkeit. Meine Liebe zu Blumen ist auch ein Zeichen dafür, dass ich das Leben liebe und die Wiedergeburt. Im übertragenen Sinn bin ich ja auch eine Wiedergeborene.“
Über die Haft und den Verlust ihrer Kindheit möchte sie nicht mehr reden. Was nach all den Jahren verständlich ist. BUNTE begleitet sie seit September 2006 auf ihrem Weg: Mal gab es leichtere Pha‑ sen, mal schwierige. Mal verhält sich Nata‑ scha Kampusch ihrem Alter entsprechend, mal will sie besonders erwachsen sein und wirkt auf ihr Gegenüber wie eine ältere Dame. „Sie haben mich gut erkannt“, sagt sie im BUNTE‑Gespräch, „die‑ sen Zwiespalt versuche ich auch mit meiner Kollektion auszudrü‑ cken. Meinen Schmuck können junge Mädchen ebenso tragen wie 80‑jährige Frauen.“Die Blume in Kampuschs Werken wirkt anti‑ quiert‑romantisch, was sie ihrem Sternzeichen Wassermann zuschreibt. „In mir steckt diese verspielte Seite, mit der ich die Sinne und die Weiblichkeit ansprechen kann.“Gerade in ihrem Alter sei das Mit‑ einander mit anderen jungen Menschen
sagt sie. „äußerst sensibel“, „Da klafft die Schere weit auseinander zwischen denen, die mit 30 Jahren weiterhin offener und ju‑ gendlicher sind, und denen, die mit 30 schon so richtig etabliert sind und Familie, Haus und Hund haben und sich viele Lebensträu‑ me bereits verwirklicht haben. Ich möchte mich da irgendwo dazwischen platzieren.“
Träumen Sie auch manchmal von einer festen Partnerschaft, einem Haus und ei‑ genen Kindern? Sie überlegt. „Ja. Absolut. Zu einem gewissen Grad wünsche ich mir schon einen Mann und Kinder. Ich denke auch oft, dass die Welt für mich ein bisschen heller wäre, wenn ich es schaffen würde, ein Haus mit einem schönen, alten Obstgarten zu haben. Vielleicht noch einen Swimming‑ pool dazu.“Sie lacht, ihre Augen leuchten, wenn sie von der Zukunft träumt. Gleich‑ zeitig fürchtet sie sich auch vor den öf‑ fentlichen Reaktionen, denn es gibt viele Menschen, die ihr einfach nicht zugeste‑ hen wollen, dass auch sie das Recht auf ein unbeschwertes, normales Leben hat. Gera‑ de sie, nach allem, was sie erleben musste.
„Leider melden sich keine normalen Männer bei mir, wenn ich über eine mög‑ liche eigene Familie rede“, sagt Natascha Kampusch. „Meist melden sich, sagen wir, schwierige Typen. Sollten Sie einen netten Mann kennen, können Sie mir ja mal seine Telefonnummer geben.“
Glauben Sie, Männer haben Angst vor Ihnen – und Ihrer Vergangenheit? „Ja, da ist sicher etwas dran. Viele Männer wollen sich auch nicht mit ihrer eigenen verletzba‑ ren Männlichkeit auseinandersetzen oder mit ihrem inneren Kind. Viele wollen sich aber auch nicht ausmalen, was mir alles zugestoßen ist.“
Sie schmunzelt. „Anfangs dachte ich, ich wäre die Arme. Heute sage ich: Die Männer sind arm. Was kein Vorwurf sein soll, ich akzeptiere das.“
Woher kommt Ihre Leiden‑ schaft für Schmuck? „Sicher von meiner Mutter, sie ist gelernte Schneiderin und verkauft heute ihren ei‑ genen Modeschmuck. Aber auch der Ent‑ führer hat mir ab und zu Mädchenhefte gekauft, in denen Bastelaccessoires drin waren. Damit und aus Folie, Blech und Mi‑ neralwasserflaschenverschlüssen habe ich mir Ketten und Ringe gebastelt. Einmal be‑ kam ich von ihm sogar ein Set, mit dem ich eigene kleine Kristalle züchten konnte.“
Einige dieser „Erinnerungsstücke“hat sie bis heute aufbewahrt, „vieles ist aber im Laufe der Jahre auch kaputtgegangen.“Gefragt, mit welchem Geld sie eigentlich ihr Leben finanziere, sagt sie: „Von meinen Büchern und den Filmrechten, die ich ver‑ kauft habe. Aber es werden auch in Zukunft noch weitere Bücher von mir erscheinen.“
Sie hatte eine Goldschmiedeausbildung angefangen, „aber da ich Einzelstunden nahm, war das auch eine Kostenfrage.“Ir‑ gendwann, daran glaubt sie fest, „werde ich mein eigenes kleines Atelier haben, in dem ich meinen Schmuck selbst herstelle. Wenn ich für meine Mutter etwas gestalten dürfte, wäre es sicher etwas mit Smaragden. Sie hat so schöne grüne Augen.“
ICH WILL FRAU SEIN UND NICHT DAS KIND AUS DEM KELLER