Jil Sander: Die Mode-Ikone blickt in BUNTE auf ihr bewegtes Leben
JIL SANDER Mit Präzision und Modernität wurde sie zu Deutschlands bester Modedesignerin. Jetzt widmet ihr ein Museum eine Ausstellung. BUNTE traf sie in Hamburg zum Interview
Sie ist eine Ikone. Eine Ikone des Stils und der Eleganz. Für Millionen Frauen auf der ganzen Welt ist sie Vorbild, Revolutionärin und Pionierin. Jil Sander hat mit schlichten weißen Hemden und ihren edlen kühlen Hosenanzügen Modegeschichte geschrieben. Nun wird in Frankfurt die weltweit erste Einzelausstellung der Hamburger Designerin eröffnet, die ihre unvergleichliche Karriere im Alter von 24 Jahren mit einem Laden in Hamburg-Pöseldorf begann. BUNTE hat die „Queen of Less“in ihrer Heimatstadt getroffen – ein seltenes und überraschendes Gespräch über Mode und Autos, über Wehmut und die Neugier aufs Leben.
Warum ist gerade jetzt die Zeit reif für diese Ausstellung? Die Zukunft, das Neue, das Ungewisse haben mein Leben bestimmt, bis ich zum ersten Mal Zeit hatte, mein umfangreiches Archiv zu sichten. Das Frankfurter Angebot vom Museum Angewandte Kunst, dessen Richard-Meier-Bau mir und meinen Vorstellungen sehr entgegenkommt, kam also zur rechten Zeit.
Wie war es, sich über Monate so intensiv mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen? Das war eine teils wehmütige, doch vor allem erfüllende Erfahrung.
Wie meinen Sie das? Erfüllend, weil ich aufgeräumt und aufgearbeitet habe und zum Ziel gekommen bin.
Wehmütig klingt aber auch schmerzlich… War es in Momenten auch. Ich bin ja letztlich wie eine geschiedene Ehefrau zweimal zu meiner Marke zurückgekehrt. Aber im Großen und Ganzen war es vor allem emotional. Wenn man sich nur vorstellt, welche Anstrengungen nötig waren, eine Marke wie Jil Sander weltweit zu positionieren.
Hatte der Prozess etwas mit „innerem Aufräumen“zu tun?
„Eine Frau mit Energie und Persönlichkeit ist MODERN“
Sagen wir, es hat viel Licht in die eigene Geschichte gebracht. Mögen Sie das näher erläutern? Ich habe in den vergangenen Jahren zwei radikale, lebensverändernde Einschnitte erfahren, die mit Tod und Verlust zu tun haben.
Welche Rolle spielten Gedanken an Dickie Mommsen (Anm. d. Red.: Jil Sanders verstorbene Lebensgefährtin) bei der Vorbereitung der Ausstellung? Dass sie aus dem Leben ging, war eine große Erschütterung für mich. Wer so etwas erlebt hat, weiß, was es bedeutet. Die Filmdokumentation über unseren gemeinsamen Garten, die man in der Ausstellung sehen kann, ist als kleiner Gruß an sie gedacht.
Gab es vorab weitere bewegende Momente? Ich fühlte mich den Menschen sehr nahe, mit denen ich so lange gearbeitet habe; auch denen, die über die Jahrzehnte bei den Schauen am Laufsteg saßen. Einige waren uns von Anfang an verbunden, einige von ihnen sind bereits nicht mehr unter uns. Ich hatte in meinem Leben immer das Glück, von Menschen umgeben zu sein, die mich unterstützt haben. Allein hätte ich es nicht schaffen können. Man braucht ein Team. Aber beim Motivieren und Missionieren war und bin ich sehr gut!
Was wird für den Besucher am überraschendsten sein? Vielleicht die vielen Aspekte, die die Verwirklichung einer Marke umfassen. Meine Visionen sind nicht nur in die Mode, sondern auch in Beauty-, Pflege- und Parfumprodukte eingegangen. In die Gestaltung von Flagshipstores, in Werbekampagnen und natürlich auch in die Art und Weise, wie Kollektionen von der Gegenwartskunst und -architektur inspiriert sind.
Sie sind auch als erfolgreiche Unternehmerin ein Vorbild für Generationen von Frauen. Wird die Ausstellung auch diesem Gedanken gerecht? Wie gesagt: Ein Markenauftritt hat viele Facetten. Ich habe mich in all diese Aspekte eingearbeitet und meine eigenen Lösungen gesucht. Aber in der Tat verbinden viele mit Jil-Sander-Mode eine ganz spezielle Emotion. Ich habe – auch in jüngster Vergangenheit – immer wieder Sätze gehört wie: „Sie haben mein Leben verändert, Sie haben mich bestärkt.“Das habe ich wohl von meinem eigenen Bewusstsein abgeleitet. Am Anfang meiner Karriere war ich sehr schüchtern. Deshalb hat der Gedanke, sich in seiner Haut und Kleidung wohlzufühlen, sehr früh und immer wieder eine Rolle in meinen Kollektionen gespielt. Meine Mode war also auch extrem rücksichtsvoll, nicht einfach nur eine Uniform. Warum ist das, was man anzieht, so wichtig? Die eigene Kleidung beeinflusst die Stimmung, das Befinden, die Selbstgegenwart. Wenn man sich verkleidet, ist man nicht authentisch. Was macht heute eine moderne Frau für Sie aus? Ich glaube, meine Mode hat gezeigt, dass ich nicht zwischen Altersstufen unterscheide. Für mich ist eine Frau mit Energie und Persönlichkeit modern, die sich modisch nicht hinter komplizierten Blickfängen verstecken muss. Ein Zahnarzt schaut Menschen instinktiv zuerst auf die Zähne. Achten Sie aus Gewohnheit auf die Kleidung? Ja, ich schau schon hin. Und ich kann auch immer gut erkennen, ob etwas flach oder schlecht geschnitten ist. Wenn ein T-Shirt nicht sitzt oder ein Pullover ein falsches Armloch hat. Selbst wenn er gut aussieht: Wenn die Proportionen nicht stimmen, stört mich das. Was tragen Sie selbst heute? Da ich meine eigenen ästhetischen und funktionalen Bedürfnisse in meinen Kollektionen zum Maßstab gemacht habe, trage ich noch immer Jil Sander und meine Uniqlo-Linie +J. Haben Sie auch noch ungetragene Teile? Ja. Ich bin ein Mensch, der, wenn ihm ein Paar Schuhe gefällt, gleich vier oder fünf Paar davon besitzt, weil ich immer denke, dass ich sie irgendwann nicht mehr bekomme. Und letztlich habe ich mein Leben in weißen Hemden verbracht. Wenn man also in meinen Schrank schaut, dann gibt es bestimmt 100 davon, weil ich auch da wählerisch bin. Deshalb habe ich auch hier einen kleinen Fundus.
„DASS SIE AUS DEM LEBEN GING, WAR EINE GROSSE ERSCHÜTTERUNG FÜR MICH“
VIELE VERBINDEN MIT MEINER MODE EINE GANZ SPEZIELLE EMOTION