Editorial
Manchmal ist es schön, allein zu sein. Keine Entscheidung, die man mit einem Partner diskutieren muss. Kein Teller, der in die Spüle gebracht werden will. Keine Marotten, die man lieben sollte. Keine Verabredung, an die man sich zu halten hat. Einfach nur tun, wozu man Lust verspürt. Wozu braucht man schon Freunde? Doch so einfach es ist, allein zu sein, so schwer ist es auch, allein zu bleiben. Es liegt viel Wahres in dem, was uns schon unsere Eltern sagten: „Geteiltes Leid ist halbes Leid. Geteilte Freud ist doppelte Freud.“
Prof. Marion Kiechle, Direktorin der Frauenklinik an der Technischen Universität München, kann dieses Sprichwort wissenschaftlich untermauern. „Wir sind soziale Wesen. Herdentiere. Wir können nicht existieren ohne den anderen“, sagt die Gynäkologin. „Wir sehen uns an, wir tauschen Emotionen aus, unterstützen uns gegenseitig. Stellen Sie sich vor, Sie müssten allein durch Ihr Leben gehen, das ist ein furchtbarer Gedanke. Menschen, die wenig oder keine sozialen Kontakte haben, sind meistens psychische Wracks. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Der Stresslevel – also der Cortisolspiegel – sinkt, sobald sich uns jemand wohlwollend zuwendet.“Frau Prof. Kiechle beobachtet es täglich in ihrer eigenen Klinik: „Menschen, die schwer krank sind und ein gutes soziales Umfeld haben, werden schneller wieder fit.“
Das verletzte Kind hört auf zu weinen, wenn die Mama es streichelt. Die verärgerte Kollegin lächelt wieder, wenn sie jemand mit einem Scherz auf andere Gedanken bringt. Und manchmal lässt ein Kuss den größten Schmerz vergessen. Doch der Weg zueinander scheint oft beschwerlich und weit. Hierbei sind es meist nur unsere Gedanken, die uns diesen Weg versperren. Dabei kostet dieser Weg in eine bessere Zeit nichts – nur ein wenig Überwindung. Vielleicht ist das der wichtigste Vorsatz fürs neue Jahr: aufeinander zuzugehen. Freundschaft ist Freude, die keinen Beifall braucht.