Leben und leben lassen in MÜNCHEN
München, das ist nicht nur eine Großstadt in Süddeutschland, München ist auch ein Lebensgefühl. Urwüchsig zu spüren auf dem Oktoberfest, wo der Firmenboss mit seinem Konkurrenten auf der Bierbank tanzt. Dann klettern zwei amerikanische Touristinnen im Dirndl hoch, haken sich unter und alle finden’s zünftig. Barocke Sinnenfreude! Nach 16 Tagen ist’s vorbei. Der MünchenSpirit aber, der erfüllt 365 Tage lang die Stadt und ganz besonders die „Schumann’s“Bar.
Man sieht es dem kühlen Raum mit der Decke in kathedraler Höhe nicht an, aber diese Bar ist ein MiniMünchen – und das ohne Bayerntümelei. Weißblau ist hier nur der Himmel über dem Hofgarten, wo man im Sommer den Tag ausklingen lässt. Wer einen der Tische ergattert, blickt auf die Bayerische Staatskanzlei, in die bald Markus Söder als Ministerpräsident einziehen wird. Nicht jeder im „Schumann’s“dürfte darüber jubeln, nichtsdestoweniger ist Söder Stammgast – und alle lassen ihn in Frieden mit seinem Drink. Es ist wie im großen München, das traditionell SPDBürgermeister hat: Von der CSULandesregierung lässt man sich nicht aus der Ruhe bringen. An Söders Nebentisch sitzt übrigens ein Redakteur der „Süddeutschen“, der ihm im Leitartikel die Leviten gelesen hat. Man nickt sich zu. Söder ist aktuell als Finanzminister sogar Vermieter des Lokals, sein Ministerium liegt auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Im „Schumann’s“treffen sich hippe StartupUnternehmer, Modemacher, Galeristen, Fußballer und auch die BUNTERedaktion. Dazwischen viele, von denen man nichts Genaues weiß, die einfach dabei sein möchten. Leben und leben lassen – der vor nehmste Charakterzug der Münchner Gesellschaft. Was die Gäste hier eint, ist nicht nur das Roastbeef mit Bratkartoffeln, es ist auch der Wirt Charles Schumann, der alle gleich behandelt, was mitunter bedeutet: alle gleich ruppig. Die Gäste zucken kurz – und kommen wieder. Wer braucht schon Streicheleinheiten, wo doch der Platz in der Bar, die nicht wenige hier für die beste der Welt halten, die schönste Bestätigung ist? Als Helmut Dietl vor 35 Jahren seine MünchenSerie„Kir Royal“schrieb, eröffnete Charles gerade seine Bar. Die Fortsetzung würde man heute bei ihm drehen – und natürlich in den Hotspots drumherum, die im TOP100Führer von BUNTE zu finden sind.
Münchner sind stolz auf ihre Stadt, die sich im Sommer bis an Tegern und Starnberger See ausdehnt und im Winter nach Kitzbühel. In der die Wirtschaft blüht – sieben der 30 DAXUnternehmen, darunter BMW und Siemens, sitzen hier. Münchner jammern über den Zuzug – und fühlen sich geschmeichelt, dass ihre Stadt so attraktiv ist. Sie sind stolz auf ihren FC Bayern samt Uli Hoeneß, auf ihre SinfonieOrchester und Stardirigenten, auf ihre Museen, auf die Visionäre von der DLDKonferenz, auf ihre Theater und Schauspieler, ganz besonders auf die, die aus Berlin zurück in die heimliche Hauptstadt ziehen. Thomas Mann, der aus Lübeck stammende Nobelpreisträger, beschrieb seine Wahlheimat einst so: „Der Himmel ist von blauer Seide, die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft, die Kunst streckt ihr rosenumwundenes Zepter über die Stadt hin und lächelt, kurz: München leuchtete.“
Die Zeilen haben in der Mann’schen Novelle „Gladius Dei“eine gewisse Ironie. Sie wurden zum geflügelten Wort, das oft zitiert wird: München leuchtet. Ohne, dass Ironie mitschwingen würde. Warum auch?