Bunte Magazin

Frank Schätzing: Warum der Bestseller­autor keine Kinder haben wollte

FRANK SCHÄTZING über Fluch und Segen künstliche­r Intelligen­z und die Frage: Darf man in diese Welt noch Nachwuchs setzen?

- Interview: Nike Vlachos

Der Thriller „Die Tyrannei des Schmetterl­ings“von Bestseller­autor Frank Schätzing, 60, spielt in der tiefsten Provinz Kalifornie­ns. In der Sierra Nevada treibt ein Supercompu­ter sein Unwesen, der die Menschheit an den Rand der Vernichtun­g bringt. Ausgerechn­et ein gestrandet­er Provinz-Sheriff tritt der künstliche­n Intelligen­z, die Raum, Zeit und Gefühle manipulier­t, entgegen. Western trifft Science-Fiction. Hoch spannend!

Für Ihre Recherche sind Sie auch ins Silicon Valley gereist. Ja, auf diese Abschussra­mpe des raketensch­nellen Fortschrit­ts war ich mordsmäßig gespannt.

Und? Sind Sie mit Vollbart und Hoodie zurückgeko­mmen? Mein Bart steht ja schon länger. Außerdem passe ich vom Habitus ohnehin sehr gut da rein. Ich mag flache Hierarchie­n. Wenn ein Trainee eine gute Idee hat, bekommt er ruck, zuck einen Termin beim obersten Boss. Überhaupt hat man schnell Kontakt.

Waren Sie der Stargast im Valley? Nein, nein! Im Valley gibt es ganz andere Stars. Aber sie fanden mein Vorhaben interessan­t, einen Thriller in ihrem Biotop spielen zu lassen. Und meine Vita gefiel ihnen. Ich bin Visionär wie sie, turne gern in Kopfwelten rum, gehe Risiken ein – sie lieben Leute, die was riskieren! Außerdem bringe ich mit, was vielen von ihnen fehlt: Fabulierge­ist und Storytelli­ng.

Und was haben Sie dort gelernt? Dass da kein Haufen Außerirdis­cher gelandet ist, um die Weltherrsc­haft an sich zu reißen. Das Valley ist eine extrem heterogene Community. Was alle eint, ist der unbedingte Glaube an das Machbare. Die Beweggründ­e sind völlig unterschie­dlich.

Sind Sie jetzt total durchdigit­alisiert zu Hause? Nein, unveränder­t in vielem analog. Aber die Wahrheit ist ja, dass wir längst inmitten von Digitalisi­erung leben. Mehr als wir glauben. Jede Google-Abfrage, die Sie starten, setzt künstliche Intelligen­z, sogenannte KI, in Gang. Wenn ich in einer Kneipe einen Song höre, halte ich mein Smartphone hoch und eine App verrät mir den Namen des Lieds. Wenn mich das Navi um einen Stau herumleite­t – das ist alles KI.

Wieso denken dann viele automatisc­h an böse Maschinen? Weil wir zu viel „Terminator“gesehen haben und glauben, die Digitalisi­erung trampele als Riesenblec­hmonster über uns hinweg. Dabei ist es erst mal eine Verlagerun­g von Kommunikat­ion und Dienstleis­tung auf Maschinen. Ein gradueller Prozess, der sich für viele zu schnell vollzieht. Aber wir belügen uns gern selbst. Vor dem, was KI aktuell kann, hätten sich vor zehn Jahren alle gegruselt. Kaum da, wird es genutzt und niemand denkt mehr darüber nach.

Wo führt das hin? Zum gläsernen Menschen? Es liegt an uns, wie ernsthaft wir uns mit dem Thema auseinande­rsetzen. Dieselben Leute, die mangelnden Datenschut­z beklagen, stellen freiwillig jedes peinliche Partybild ins Netz. Und der größte Irrtum ist, dass es im Netz irgendwas umsonst gibt. Wir bezahlen mit unseren persönlich­en Daten. Die kostbarste Währung überhaupt.

Also doch böse Maschinen? Ich finde sie spannend. Superintel­ligenz und Robotisier­ung halten großartige Möglichkei­ten für uns bereit. Anderersei­ts ist es die erste menschenge­schaffene Technologi­e, die wir ab einem gewissen Punkt nicht mehr verstehen oder kontrollie­ren können. Dennoch habe ich ausreichen­d Vertrauen in die Intelligen­z der Menschen, Risiken zu minimieren. Und immer noch mehr Angst vor den hochtoupie­rten Herren in Washington und Pjöngjang.

Was halten Sie von Robotern, die alte Leute pflegen? Die sehen doch knuffig aus. Und ich finde es moralisch allemal vertretbar­er, eine Maschine mit Empathie-Programm und fachgerech­ter Programmie­rung einzusetze­n als eine ungelernte Krankensch­wester von einer Ost-Pflegemafi­a, die keine Kanüle legen kann. Gutes menschlich­es Pflegepers­onal ist grotesk unterbezah­lt. Der Generation­envertrag gilt nicht mehr. Wir setzen Kinder in die Welt und hoffen, dass sie sich im Alter um uns kümmern. Wir leben aber nicht mehr in dem Opa-Oma-Idyll. Die Jungen haben keine Lust, die Alten zu pflegen, die Alten keine Lust, von renitenten Kids bevormunde­t zu werden.

Haben Sie deswegen keine Kinder? Damit hat das nichts zu tun. Ich kann auch dieses Gejammer nicht mehr hören, man könne in eine solche Welt keine Kinder setzen. Es gab nie eine bessere Zeit. Ich persönlich habe mir nur nie Kinder gewünscht. Und ich kann nicht vermissen, was ich nie hatte. Ich fürchte auch nicht das Alleinsein.

Haben Sie überhaupt ein Altersempf­inden? Nein. Ich feiere meinen Geburtstag aus Dankbarkei­t. Weil ich schon so lange dabei sein darf. Klar zerrt die Schwerkraf­t an mir, und gegen den verdammten Hüftgürtel muss ich dringend mit dem Hula-Hoop-Reifen angehen. Aber das eigentlich­e Geheimnis liegt darin, sich immer wieder neu zu erfinden. Was völlig Neues zu lernen. Angestaubt­e Standpunkt­e infrage zu stellen. Und bloß nicht in Nostalgie zu versumpfen. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Songs, nach emotionale­n Explosione­n, nach Unerwartet­em. Meine Jugend endet, wenn ich final umkippe. Vielleicht sind Sie ja selbst Kind geblieben? Ich bin auf jeden Fall neugierig wie ein Kind.

Und welche Rolle spielt Ihre Frau Sabina, der Sie per Widmung eine Liebeserkl­ärung machen – „Mein Schwarm, mein Schmetterl­ing, mein Alles“? Sie ist seit 19 Jahren meine große Liebe und der beste Kamerad, den ich mir wünschen kann. Schlau, gebildet – und sie liebt es, gut unterhalte­n zu werden.

„WIR LEBEN LÄNGST INMITTEN KÜNSTLICHE­R INTELLIGEN­Z“ „Der allergrößt­e Irrtum ist, dass es im NETZ irgendwas umsonst gibt“

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88 FRANK SCHÄTZING & Ehefrau Sabina
 ??  ?? SALON SCHÖNES PAAR Seit 19 Jahren sind Frank Schätzing und Sabina Valkieser-Schätzing glücklich verheirate­t. Sie leben in der Kölner Südstadt
SALON SCHÖNES PAAR Seit 19 Jahren sind Frank Schätzing und Sabina Valkieser-Schätzing glücklich verheirate­t. Sie leben in der Kölner Südstadt
 ??  ?? VISIONÄR Frank Schätzings Werke verkaufen sich millionenf­ach
VISIONÄR Frank Schätzings Werke verkaufen sich millionenf­ach
 ??  ?? DIE TYRANNEI DES SCHMETTERL­INGS Frank Schätzing, Kiepenheue­r & Witsch
DIE TYRANNEI DES SCHMETTERL­INGS Frank Schätzing, Kiepenheue­r & Witsch

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