Frank Schätzing: Warum der Bestsellerautor keine Kinder haben wollte
FRANK SCHÄTZING über Fluch und Segen künstlicher Intelligenz und die Frage: Darf man in diese Welt noch Nachwuchs setzen?
Der Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“von Bestsellerautor Frank Schätzing, 60, spielt in der tiefsten Provinz Kaliforniens. In der Sierra Nevada treibt ein Supercomputer sein Unwesen, der die Menschheit an den Rand der Vernichtung bringt. Ausgerechnet ein gestrandeter Provinz-Sheriff tritt der künstlichen Intelligenz, die Raum, Zeit und Gefühle manipuliert, entgegen. Western trifft Science-Fiction. Hoch spannend!
Für Ihre Recherche sind Sie auch ins Silicon Valley gereist. Ja, auf diese Abschussrampe des raketenschnellen Fortschritts war ich mordsmäßig gespannt.
Und? Sind Sie mit Vollbart und Hoodie zurückgekommen? Mein Bart steht ja schon länger. Außerdem passe ich vom Habitus ohnehin sehr gut da rein. Ich mag flache Hierarchien. Wenn ein Trainee eine gute Idee hat, bekommt er ruck, zuck einen Termin beim obersten Boss. Überhaupt hat man schnell Kontakt.
Waren Sie der Stargast im Valley? Nein, nein! Im Valley gibt es ganz andere Stars. Aber sie fanden mein Vorhaben interessant, einen Thriller in ihrem Biotop spielen zu lassen. Und meine Vita gefiel ihnen. Ich bin Visionär wie sie, turne gern in Kopfwelten rum, gehe Risiken ein – sie lieben Leute, die was riskieren! Außerdem bringe ich mit, was vielen von ihnen fehlt: Fabuliergeist und Storytelling.
Und was haben Sie dort gelernt? Dass da kein Haufen Außerirdischer gelandet ist, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Das Valley ist eine extrem heterogene Community. Was alle eint, ist der unbedingte Glaube an das Machbare. Die Beweggründe sind völlig unterschiedlich.
Sind Sie jetzt total durchdigitalisiert zu Hause? Nein, unverändert in vielem analog. Aber die Wahrheit ist ja, dass wir längst inmitten von Digitalisierung leben. Mehr als wir glauben. Jede Google-Abfrage, die Sie starten, setzt künstliche Intelligenz, sogenannte KI, in Gang. Wenn ich in einer Kneipe einen Song höre, halte ich mein Smartphone hoch und eine App verrät mir den Namen des Lieds. Wenn mich das Navi um einen Stau herumleitet – das ist alles KI.
Wieso denken dann viele automatisch an böse Maschinen? Weil wir zu viel „Terminator“gesehen haben und glauben, die Digitalisierung trampele als Riesenblechmonster über uns hinweg. Dabei ist es erst mal eine Verlagerung von Kommunikation und Dienstleistung auf Maschinen. Ein gradueller Prozess, der sich für viele zu schnell vollzieht. Aber wir belügen uns gern selbst. Vor dem, was KI aktuell kann, hätten sich vor zehn Jahren alle gegruselt. Kaum da, wird es genutzt und niemand denkt mehr darüber nach.
Wo führt das hin? Zum gläsernen Menschen? Es liegt an uns, wie ernsthaft wir uns mit dem Thema auseinandersetzen. Dieselben Leute, die mangelnden Datenschutz beklagen, stellen freiwillig jedes peinliche Partybild ins Netz. Und der größte Irrtum ist, dass es im Netz irgendwas umsonst gibt. Wir bezahlen mit unseren persönlichen Daten. Die kostbarste Währung überhaupt.
Also doch böse Maschinen? Ich finde sie spannend. Superintelligenz und Robotisierung halten großartige Möglichkeiten für uns bereit. Andererseits ist es die erste menschengeschaffene Technologie, die wir ab einem gewissen Punkt nicht mehr verstehen oder kontrollieren können. Dennoch habe ich ausreichend Vertrauen in die Intelligenz der Menschen, Risiken zu minimieren. Und immer noch mehr Angst vor den hochtoupierten Herren in Washington und Pjöngjang.
Was halten Sie von Robotern, die alte Leute pflegen? Die sehen doch knuffig aus. Und ich finde es moralisch allemal vertretbarer, eine Maschine mit Empathie-Programm und fachgerechter Programmierung einzusetzen als eine ungelernte Krankenschwester von einer Ost-Pflegemafia, die keine Kanüle legen kann. Gutes menschliches Pflegepersonal ist grotesk unterbezahlt. Der Generationenvertrag gilt nicht mehr. Wir setzen Kinder in die Welt und hoffen, dass sie sich im Alter um uns kümmern. Wir leben aber nicht mehr in dem Opa-Oma-Idyll. Die Jungen haben keine Lust, die Alten zu pflegen, die Alten keine Lust, von renitenten Kids bevormundet zu werden.
Haben Sie deswegen keine Kinder? Damit hat das nichts zu tun. Ich kann auch dieses Gejammer nicht mehr hören, man könne in eine solche Welt keine Kinder setzen. Es gab nie eine bessere Zeit. Ich persönlich habe mir nur nie Kinder gewünscht. Und ich kann nicht vermissen, was ich nie hatte. Ich fürchte auch nicht das Alleinsein.
Haben Sie überhaupt ein Altersempfinden? Nein. Ich feiere meinen Geburtstag aus Dankbarkeit. Weil ich schon so lange dabei sein darf. Klar zerrt die Schwerkraft an mir, und gegen den verdammten Hüftgürtel muss ich dringend mit dem Hula-Hoop-Reifen angehen. Aber das eigentliche Geheimnis liegt darin, sich immer wieder neu zu erfinden. Was völlig Neues zu lernen. Angestaubte Standpunkte infrage zu stellen. Und bloß nicht in Nostalgie zu versumpfen. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Songs, nach emotionalen Explosionen, nach Unerwartetem. Meine Jugend endet, wenn ich final umkippe. Vielleicht sind Sie ja selbst Kind geblieben? Ich bin auf jeden Fall neugierig wie ein Kind.
Und welche Rolle spielt Ihre Frau Sabina, der Sie per Widmung eine Liebeserklärung machen – „Mein Schwarm, mein Schmetterling, mein Alles“? Sie ist seit 19 Jahren meine große Liebe und der beste Kamerad, den ich mir wünschen kann. Schlau, gebildet – und sie liebt es, gut unterhalten zu werden.
„WIR LEBEN LÄNGST INMITTEN KÜNSTLICHER INTELLIGENZ“ „Der allergrößte Irrtum ist, dass es im NETZ irgendwas umsonst gibt“