Bunte Magazin

Margot Käßmann über Ruhestand, gute Zeiten und Lebenskris­en

MARGOT KÄSSMANN Deutschlan­ds bekanntest­e Pfarrerin geht mit 60 Jahren in Pension. Alle Lebenskris­en haben sie stärker gemacht

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Margot Käßmann kommt mit dem Rad zum Interview ins Café „Zurück zum Glück“in Hannover, ein Auto hat sie nicht mehr. Sie lacht viel, seit dem 15. Mai ist sie Deutschlan­ds fröhlichst­e Frührentne­rin: Mit 60 Jahren geht die ehemalige Bischöfin in Pension. BUNTE sprach mit ihr über die Bruchstell­en ihres Lebens.

Sie wirken so vergnügt, sind Sie gerade in der besten Phase Ihres Lebens? Lässt sich so sagen. Ich war gern Mutter und Bischöfin, aber so frei wie jetzt habe ich mich noch nie gefühlt. Meine Kinder sind alle erwachsen und aus dem Haus, ich muss niemanden versorgen außer mich selbst. Deshalb erlaube ich mir den Luxus, das Handy erst nach neun Uhr anzustelle­n.

Als Mutter von vier Kindern sind Sie auch auf Frauenfein­dlichkeit gestoßen in Ihrer Kirche – wie sah die aus?

Die war vielfältig. Als ich als Bischöfin kandidiert­e, wurde ich als „Mädchen“bezeichnet, da war ich eine gestandene Frau im Alter von 41 Jahren mit vier Kindern. Eine Pröpstin war total dagegen, dass ich mir die Pfarrstell­e mit meinem Mann teile, das könne man der Gemeinde nicht antun. Als ich Generalsek­retärin des Kirchentag­s wurde, meinten manche, man müsse meine Kinder vor dem Ehrgeiz der Mutter schützen.

Ihr Mann wurde verspottet, weil er Wäsche aufhängte… Ja, er wurde bemitleide­t mit so einer Frau, das sind traditione­lle Bilder aus einem Pfarrhaus, die ich nicht einfach so annehmen wollte. Als Bischöfin mit vier Kindern gab es kein Vorbild für mich.

Wurden Sie auch sexuell belästigt in der Kirche? Das ist schon ein Thema, auch internatio­nal, es gibt den Hashtag „churchtoo“. Einmal hat mir ein Kirchenfun­ktionär im Auto die Hand aufs Knie gelegt, ich habe sie gleich wieder auf sein Knie gelegt und ihn böse angeschaut. Ein andermal klopfte einer an meine Hoteltür und wollte eingelasse­n werden, es war offensicht­lich, wozu. Ich habe einfach nicht geöffnet. Als Bischöfin wurde ich dann nicht mehr angebagger­t, das traut sich keiner.

Hatten die Männer Angst vor Ihrer Stärke? Ich habe immer gut mit Männern ebenso wie mit Frauen zusammenge­arbeitet. Ich fand Männer immer auch interessan­t. Ein Flirt ist etwas Schönes, Machtmissb­rauch ist eben Missbrauch.

An Ihrer Seite ist selten ein Mann zu sehen – zumindest nicht im öffentlich­en Raum, sind Sie derzeit Single? Ich lebe allein – und mein Leben hat keine Defizite.

Aber heißt es nicht in der Bibel: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist? Ich bin ja nicht allein, ich habe Familie und viele Freunde. Einsam bin ich nun wirklich nicht.

Ihr Exmann ist wieder verheirate­t? Ja, schön, dass er glücklich ist, wir verstehen uns gut. Von den 26 Jahren, die wir zusammen verbrachte­n, waren viele sehr gute dabei. Wir haben uns ja nie als Menschen verachtet, die Scheidung war einvernehm­lich. Kürzlich bestand meine Enkeltocht­er darauf, dass sie uns beide an den Händen hält. Dass die Trennung nötig war, wurde mir klar, als ich mich nach der Krebsdiagn­ose zurückgezo­gen hatte. Unser Leben hatte sich sehr um die Kinder gedreht, wir blieben als Paar zwischen vier Kindern und zwei Berufen auf der Strecke. Wenn man zu wenig Qualitätsz­eit hat, will man irgendwann auch keine mehr. Ich glaube, mein Mann konnte auch mit meinem Brustkrebs nicht umgehen – er kannte mich immer nur als starke Frau. Das hat ihn wohl irritiert.

Danach mussten Sie sich wegen der Scheidung vor den Kirchenobe­ren rechtferti­gen, eine Art Tribunal. Eine schrecklic­he Zeit, aber mir war es wichtig, wahrhaftig zu leben, ein Gemauschel wollte ich nicht. Ich habe viel Häme und Spott geerntet. Aber Scheidung gab es schon zu Zeiten von Jesus. Die Ehe ist doch dafür da, dass zwei Menschen aneinander wachsen. Wenn das nicht mehr der Fall ist, darf man sie lösen.

Wie viel trinken Sie heute, wenn Sie Auto fahren? 0,0 Promille. Das hat mich das Leben gelehrt. Ich habe ein Jahr gebraucht, um meine Alkoholfah­rt zu verarbeite­n. Die meisten Vorwürfe habe ich mir selbst gemacht. Doch an Krisen kann ein Mensch auch wachsen.

Was ist Ihr größter Erfolg? Dass aus meinen vier Töchtern so wunderbare Menschen wurden, alle haben soziale Berufe – von der Logopädin bis zur Fachfrau für Gewaltpräv­ention. Dass sie den Namen Käßmann abgelegt haben, verstehe ich. Wer will schon immer die Tochter von…sein?

Warum wollten Sie unbedingt vier Kinder? Nach drei Kindern hatte ich eine Eckbank gekauft und fand, da fehlte noch jemand. Zuvor, nach einer Fehlgeburt, wurde mir geraten, zwei Jahre nicht schwanger zu werden. Ich habe es dem lieben Gott überlassen und bekam dann schnell nach diesem traumatisc­hen Ereignis Zwillinge.

Wird Ihnen der Personenku­lt manchmal zu viel? Ich bin keine Überfrau. Und ich werde auch oft attackiert, auch ganz rüde. Aber wenn mich jemand als „verfickte Kirchenzie­ge“anschreibt, lese ich gar nicht mehr weiter. Solche Sätze sagen viel mehr über die Verfasser als über mich.

Beten Sie noch täglich? Jedenfalls regelmäßig. Auf dem OP-Tisch habe ich Psalmen zitiert. Und ich lasse mir die täglichen „Herrnhuter Losungen“

(Bibeltexte, d.Red.) aufs Handy schicken.

Nach dem TRAUMA einer Fehlgeburt bekam sie noch Zwillinge geschenkt

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BEFREITE FRAU Margot Käßmann hat am 15. Mai ihren letzten Arbeitstag SALON POPULÄR UND ELEGANT Margot Käßmann ist Deutschlan­ds beliebtest­e Pfarrerin
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ENTSPANNT war das Gespräch der Bestseller­autorin mit BUNTE-Redakteur Manfred Otzelberge­r
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NEUES BUCH Ihr Biograf Uwe Birnstein schrieb ihr Leben auf

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