Alice Schwarzer: Die Feministin spricht über Liebe und Sexattacken
ALICE SCHWARZER über Sexattacken, ihre großen Lieben und den wichtigsten Mann in ihrem Leben
Wer Alice Schwarzer in Köln besucht, muss einen Turm am Rhein besteigen. Der Bayenturm aus dem Jahr 1220 war 600 Jah‑ re lang das Wahrzeichen der Stadt: „Lange hieß es, wer den Turm hat, hat die Macht“, sagt Alice Schwarzer lachend. Im Ba‑ yenturm residiert der FrauenMediaTurm, das von ihr gegrün‑ dete Feministische Archiv und die „Emma“‑Redaktion. BUNTE sprach mit Deutschlands wichtigster Feministin, die 75 Jahre jung ist. „Ein Blinddarmdurchbruch als Mädchen mit 10 Jahren war meine größte gesundheitliche Krise. Mein 50-jähriger Arzt hat gesagt, er hätte gern ein Herz wie ich.“
Manche Männer werden als „Frauenversteher“belächelt, sind Sie eine Männerversteherin? Könnte man so sagen. Meine soziale Mutter war ja ein Mann, mein Großvater. Er hat mich ernährt und gewindelt. Wir ha‑ ben abends zusammen gekuschelt, er hat mir erfundene Ge‑ schichten erzählt. Dank ihm habe ich ein besonders gelassenes Verhältnis zu Männern, er hat mir ein Urvertrauen geschenkt.
Waren Sie nie sauer auf Ihre Mutter, die Sie aus der Hand gab? Nein. Ich war ja kein Wunschkind, sondern unehelich. Sie war eher eine Freundin für mich, eine große Schwester.
Ein Mann war der wichtigste Mensch in Ihrem Leben – hat es Sie verletzt, dass Sie lange als Männerhasserin dargestellt wurden? Ich fand es immer nur komisch. Aber nicht wenige Männer ha‑ ben mir ja auch immer schon zugestimmt. Das sind die Männer, die selber keinen Bock haben, den röhrenden Hirsch zu geben.
Wann ist ein Mann sexy? Wenn er neben Humor und Intelligenz ein Geheimnis hat. Alles Eindeutige ist langweilig. Ich mag weder Tarzans noch Barbies.
Die Zeitschrift „Cicero“hat sie zur mächtigsten Intellektuellen Deutschlands ernannt, aber Ihr Ruf hat gelitten, nachdem Sie als Steuersünderin eine Selbstanzeige gemacht hatten. Wie sehr hat Sie dieser Fehler selbst geärgert? Sehr! Es war auch so überflüssig.
Was vermissen Sie in Ihrem prallen Leben? Ich habe nicht genug getanzt! Aber ich habe ja noch Zeit.
Zu viel gearbeitet und zu wenig geliebt? Da machen Sie sich mal keine Sorgen! Auch die beiden wich‑ tigsten Beziehungen in meinem Leben – in Frankreich Bruno
und hier in Deutschland seit Langem eine kreative, lebenslustige Frau – waren bzw. sind beide rundum positiv, ja glücklich.
Ist bi die neue Freiheit? Ich denke nicht in solchen Kästchen. Ich liebe Menschen und nicht Chromosomen.
Lacht Ihr Herz bei der #metoo-Debatte, die viele Männer als Frauenquäler benennt? Darüber kann man sich nicht freuen, es geht ja um Trauriges. In „Emma“ist die sexuelle Belästigung im Beruf seit 1977 Thema.
Waren Sie selbst Opfer von Attacken? Ja, als junge Frau, dreimal. Aber ich bin jedes Mal knapp entkommen: mit 18 nach dem Tanzen spätabends auf der Straße, mit 20 beim Trampen und mit 21 am helllichten Tag am Strand von Saint-Tropez. Da habe ich so getan, als wollte ich mit dem Mann, der mich beim Sonnen in einer Bucht überfallen hat, freiwillig rauf in den Wald gehen. Der hat das tatsächlich geglaubt. Ich hab ihn lächelnd und zitternd an der Hand genommen und bin mit ihm den Felsen hoch – einmal oben, bin ich mit bloßen Füßen und schreiend auf der anderen Seite runtergelaufen. Die Polizei hat das damals übrigens nicht sonderlich interessiert. Genau solche Erlebnisse haben viele Frauen – aber nicht immer geht es gut aus wie bei mir.
Haben Sie sich geschämt? Nein. Nur Opfer schämen sich. Ich war ja keines. Ich hatte mich erfolgreich gewehrt. Aber ich bin mir meiner Verletzlichkeit bewusst geworden.
Wie oft werden Sie als Kölnerin auf die Silvesternacht 2015 angesprochen, als Afrikaner Frauen begrapschten? Immerzu und überall. Vor allem auch in Frankreich. Mich hat schockiert, dass viele nicht wahrhaben wollten, dass die Täter überwiegend Nordafrikaner und Araber waren. Nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das ist Doppelmoral und diese blinde Fremdenliebe ist nur die andere Seite der Medaille Fremdenhass.
In Ihrem neuen Buch „Meine algerische Familie“zeigen Sie auch freundliche Moslems. Ja. In Algerien habe ich viele gute Freundinnen und Freunde, eine Großfamilie von drei Generationen. In der gibt es alles: Frauen ohne und mit Kopftuch, Fromme und Ungläubige. Ich habe nichts gegen den Islam – nur etwas gegen den Missbrauch der Religion durch die Islamisten.
Wie finden Sie Brigitte, die Frau von Emmanuel Macron, die 24 Jahre älter als er ist? Richtig gut. Macron ist nicht verächtlich gegenüber Frauen über 60, das merkt man auch daran, wie er Angela Merkel, die genauso alt ist wie seine Frau, anschaut.
Donald Trump meinte, sie hat sich „so gut gehalten“… Sehr komisch. Dabei hat er denselben Altersunterschied mit Melania wie die Macrons. Nur: Er hat sich nicht gut gehalten.
Und wie stehen Sie zu Heidi Klum? Als Moderatorin finde ich sie sadistisch – als Frau mit ihrem neuen jungen Freund selbstbewusst.