Per Mertesacker:
PER MERTESACKER, WM-Held, über die Angst vor dem Spiel und das beste Gefühl überhaupt: die richtige Frau gefunden zu haben!
Der Weltmeister über sein Leben vor und nach dem Fußball
NACH 15 JAHREN IST MEIN KÖRPER LEER, ABER ICH BRAUCHE KEINE SCHMERZTABLETTEN
ULRIKE WAR KLUG, FRISCH UND GAB VIEL KONTRA – DAS GEFIEL MIR, SIE KANNTE MICH NICHT
Der WM-Pokal steht bei ihm als kleine Kopie im Wohnzimmer: Per Mertesacker, 33, gehört zur goldenen Generation, die 2014 in Brasilien Weltmeister wurde. Und das, obwohl er kein Fußballkünstler war, wie er in seiner Biografie „Weltmeister ohne Talent“(Ullstein Verlag) offenbart. Aber Per Mertesacker ist ein kluger Mann, der weit über das Spielfeld hinausdenkt – und er ist ein Romantiker, der seine Familie liebt.
Haben Sie sich wirklich so talentfrei gefühlt? Es gab in der Jugend talentiertere Kicker, die viele Tore schossen. Ich habe nie erwartet, Profi zu werden. Wegen eines Wachstumsschubs musste ich sogar mit 15 Jahren ein Jahr aussetzen. Da hat selbst mein Vater, der mich trainierte, nicht mehr an mich geglaubt.
Jetzt sind Sie seit vier Jahren Weltmeister, wie fühlen Sie sich seitdem? Wenn du um fünf oder sechs Uhr von deinem zweiten Baby aus dem Bett geschrien wirst, ist die WM so weit weg wie der Mond von der Erde. Aber es gibt viele Leute, die einem Weltmeister einfach mal die Hand geben wollen. Weltmeister, das bleibt man ein ganzes Leben lang, man wird dazu immer befragt, mehr kann man nicht erreichen. Deshalb habe ich auch danach in der Nationalmannschaft aufgehört.
Bereuen Sie irgendwas? Ich finde, wir haben damals zu wenig gefeiert. Das ging so schnell vorbei. Ich erinnere mich an den Ellenbogen, der mir in der Jubeltraube in den Hals gedrückt wurde, ich hatte arge Nackenschmerzen. Ich habe dann Philipp Lahm hochgehoben. Jahrelanges Schuften, verdichtet in einem unsterblichen Moment. Sogar Angela Merkel kam noch zu uns in die Kabine.
NACH DEM WM-TRIUMPH HOB ICH PHILIPP LAHM IN DIE LUFT
ICH HATTE SCHWERE UND SCHÖNE MOMENTE MIT MEINEM FREUND ROBERT ENKE
ULRIKE SAGTE: ,TRAU DICH BLOSS NICHT, OHNE DEN WMPOKAL HEIMZUKOMMEN‘
Sie haben auch kritische Reporter bei der WM angemacht. Ich musste einfach Dampf ablassen nach 120 Minuten gegen Algerien, ich war körperlich und geistig am Limit. Ich wollte keine Schwächen zugeben. Wenn sie erst mal ausgesprochen sind, stehen sie im Raum, werden von anderen registriert und können so wuchern. Es war auch ein Signal an die Mannschaft: „Wir lassen uns nicht alles gefallen.“Danach sagte ich, ich lege mich jetzt erst mal drei Tage in die Eistonne.
Ihre Frau sagte damals: „Trau dich bloß nicht, ohne den Pokal nach Hause zu kommen.“Das war Zusatzmotivation. Ulrike ist das Beste, was mir je passiert ist, eine starke Partnerin, die mich auffängt. Sie war Handballnationalspielerin, weiß, wie Spitzensportler denken, hatte auch Verständnis, dass ich manchmal nach Niederlagen nicht reden wollte. Und sie kann besser mit der Öffentlichkeit leben als meine erste Freundin, die ertrug den Rummel nicht. Mir hat das unglaublich imponiert, auch wenn ich traurig darüber war.
Wie haben Ulrike und Sie sich kennengelernt? In der Reha, eine Verletzung brachte mir mein Lebensglück. Ulrike kannte mich nicht, sie war ganz unbekümmert. Ihr erster Gedanke war: „Was ist denn das für ein Heiopei mit seinen Thrombosestrümpfen?“Sie war klug, frisch und hatte einen super Humor. Sie sah nicht zu mir auf und gab viel Kontra. Ich mochte diese Augenhöhe, diese Ebenbürtigkeit. Aber sie hielt Fußballer für arrogant und bot mir ein tollkühnes Wettrennen über zehn Meter an – natürlich verlor sie.
Kürzlich gaben Sie zu, dass Sie sich vor Spielen aus Angst übergeben mussten. Warum kam dieses Eingeständnis erst so spät? Früher dachte ich, das sei normal, aber dann merkte ich: „Das kann nicht normal sein.“Aber ich will, dass über solche Themen gerade mit jungen Spielern geredet wird. Ich möchte keine eiskalten Jungs haben, sie dürfen Gefühle zeigen. Höchstens ein Prozent der Spieler schafft es, Profi zu werden.
Wie gern hätten Sie den WM-Titel mit Ihrem Freund Robert Enke gefeiert? Sehr gern, er war ja in der Quali für die WM 2010 noch dabei, wir haben so viele schöne und schwere Momente geteilt. Es macht mich sehr traurig, dass er sich nicht mal mir gegenüber öffnen konnte. Er hat die Notbremse gezogen. Warum kann Deutschland wieder Weltmeister werden? Weil Jogi Löw allen das Gefühl gibt, wichtig zu sein, auch den Ersatzspielern und den Betreuern. Die WM gewinnt man auch auf der Ersatzbank. Wir waren eine Bande von Jungs, in der jeder mit vollem Herzen dabei war. Auch die Prämien werden gerecht an jeden verteilt, nicht nach Einsatzzeiten. In Brasilien trug jeder Verantwortung für das große Ganze. Jeder akzeptierte den anderen als vollwertiges Mitglied der Gruppe. Und wir haben die Energie aus der Heimat gespürt, über Tausende von Kilometern.