DR. PATRICIA OGILVIE
ATTRAKTIVITÄTSFORSCHUNG – von wegen glatt und straff ist gleichbedeutend mit Jugendlichkeit und Anziehungskraft. Wir klären, was wirklich zählt …
Neue Erkenntnisse aus der Attraktivitätsforschung
Attraktiv – wie definiert man das eigentlich? Das Ergebnis ist mehr als erstaunlich, denn Fakt ist: Attraktivität hat nichts mit dem Alter zu tun. Weshalb das so ist, weiß keiner besser als die international bekannte Dermatologin Dr. Patricia Ogilvie. Die Expertin mit Praxis in München betreibt seit Jahren Grundlagenforschung und ist federführend an vielen Zulassungsstudien für Botox und Filler beteiligt, zudem bildet sie weltweit Ärzte in den neuesten Techniken aus. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist die Attraktivitätsforschung. Ein Gespräch über Schönheit – und wie sie wahrgenommen wird.
Schon seit Jahrhunderten versucht man, Schönheit durch Formeln wie den Goldenen Schnitt zu definieren. Da stellt sich die Frage: Wann wirkt man eigentlich am attraktivsten? Es sind nicht nur Fältchen, volle Lippen oder eine perfekte Nase, die unsere Schönheit definieren. Das Ganze ist viel komplexer, denn es geht um viel mehr. Um die Evolution, um
»DAS ERFOLGSGEHEIMNIS DER ÄSTHETISCHEN MEDIZIN IST EIN MÖGLICHST NATÜRLICHES ERGEBNIS
ein ständiges Optimieren, um ein „survival of the fittest“– wie Darwin es schon formuliert hat. Ganz brutal ausgedrückt, um das schnelle Bewerten von Paarungsqualitäten. Dabei spielen auch die Zeichen des Alters eine Rolle, denn es geht darum, dass wir sozusagen aus dem Rennen genommen werden, wenn die nachfolgende Generation im fortpflanzungsfähigen Alter ist.
Und welche Zeichen sind das genau? Nicht nur Fältchen sind für die Einstufung des Alters relevant. Auch die Porengröße, ein ebenmäßiger Teint oder die Anzahl der Pigmentflecken. Eine Studie belegt: Am ältesten sieht man aus, wenn man lacht. Neutraler und jünger wirkt man dagegen, wenn man den Mund auf Bildern leicht offen und wenige Pigmentflecken hat.
Ist diese Wirkung auf alle Menschen gleich? Ja. Die Wahrnehmung der Attraktivität ist unabhängig von ethnischen Gruppen. Dazu hat der Verhaltensbiologe Bernhard Fink eine Studie publiziert. Er ließ von einem Stamm in Bolivien und einem Massai-Stamm in Afrika Fotos von britischen Frauen bewerten. Das Ergebnis: Die Signale wurden immer gleich wahrgenommen.
Und das bedeutet …? Je gleichmäßiger und homogener die Pigmentierung der Haut – unabhängig von der Pigmentstärke –, desto attraktiver wirkt man. Das führt zum Fazit, dass besser, jünger und gesünder aussehen viel mehr ist als nur Faltenfreiheit.
Und welche Rolle spielen da z.B. die Lippenform oder ein perfektes Näschen? Nasen sind in der Wahrnehmung eher mit der Attraktivität als mit dem Alter verknüpft. Schmale Lippen gelten dagegen in der Regel als weniger attraktiv. Auch das ist biologisch sinnvoll. Die Fülle der Lippen ist in der Jugend durch ein kleines Fettpolster, einen Muskel sowie den Kieferknochen, der die Lippe nach vorn bringt, gewährleistet. Wenn wir älter werden, wird dieser Muskel eher strichförmig und im Stadium der Menopause bildet sich auch der Knochen zurück und das Lippenrot verschwindet nach innen. Deswegen ist eine zu schmale Lippe ein Zeichen von Alter. Gibt man der Lippe nun wieder mehr Fülle, wirkt man tatsächlich jünger.
Und was, wenn ich mir jetzt die Lippen von Angelina Jolie „spritzen“lasse? Das funktioniert leider nicht. Das fängt schon damit an, dass z. B. vollere Lippen nicht zu einem typisch europäischen Gesicht gehören. Ist das anders, sorgt es im Auge des Betrachters für totale Verwirrung. Das gilt auch für alle anderen Bereiche. Wenn man die positive Wirkung eines Signals überstrapaziert – also zu viel „machen“lässt –, dann passen die Teile nicht mehr zusammen und das Gegenüber empfängt sofort ein „Error“-Signal. Diese Entscheidungsfindung benötigt nur einen Bruchteil von Sekunden.
Das haben Sie auch mit einer Studie belegt… Ja, die habe ich gerade mit Bernhard Fink zum Thema Attraktivität durchgeführt. Da haben wir aber nur ein einziges Signal, und zwar die Falten, die beim Lächeln auf den Wangen entstehen, betrachtet. Wir zeigten den Probanden Bilder und fragten, welche manipuliert seien. Je mehr Zeit sie für die Entscheidung hatten, umso eher war es nicht instinktiv, sondern sie fingen bereits ab einer 20stel Millisekunde an zu raten.
Inwieweit lässt sich diese Entscheidungsfindung eigentlich mit „Nachhilfe“manipulieren? Schlüsselsignale, die als Reize dienen, kann man bis zu einem gewissen Punkt steigern und damit verstärken. Aber wenn man diese Steigerung über einen gewissen Punkt hinaustreibt, schaltet man das Signal ab, weil es dann eben komisch wirkt. Das bedeutet im Umkehrschluss: Sobald man sieht, dass etwas gemacht wurde, ist es weniger attraktiv. Das Geheimnis ist also ein möglichst natürliches Ergebnis.
Jung bedeutet also nicht gleich attraktiv? Jugend und Attraktivität kann man nicht in einen Topf werfen. Das hat nichts miteinander zu tun. Man braucht sich da doch nur Frauen wie Helen Mirren anzugucken. Die sieht toll aus, obwohl sie nicht mehr 20 ist und jede Menge Falten hat. Und genau darum geht es. Um das richtige Maß und natürlich auch um das Fingerspitzengefühl des Arztes. Attraktivität, ohne glatt zu bügeln. Man sollte nicht versuchen, die Zeit zurückzudrehen, sondern „best for my age“auszusehen.
ȆBERKORRIGIERTE GESICHTER WERDEN NICHT MEHR ALS ATTRAKTIV WAHRGENOMMEN