Miriam Maertens:
Schauspielerin Miriam Maertens wurde vor sechs Jahren operiert
Ohne neue Lunge wäre sie tot
DER THEATERSTAR führte 40 Jahre ein Art Doppelleben: Sie war todkrank, aber für Kind und Karriere tat sie so, als sei sie gesund. Dann kam der Anruf, der alles veränderte
Verschieben wir es auf morgen“heißt die Bio‑ grafie von Miriam Maertens, 48, scheinbar leichtherzig. Doch dieses Credo, das klingt wie ein lustiger Ratgeber gegen „Schieberitis“, war für die Schauspielerin über 40 Jahre lang pure Überlebensstrategie. Das Mantra, mit dem sie dem Tod immer wieder von der Schippe sprang. Denn ei‑ gentlich dürfte die zarte Frau, die einer bekannten Hamburger Schauspiel‑Dynastie entstammt (schon ihre Großeltern und ihr Vater waren Größen am Thalia Theater, die Brüder Kai und Michael sind bekannte TV‑Gesichter), gar nicht mehr hier sein. Nach Einschätzung der Ärzte hätte das Mädchen Miriam, das mit Mukoviszidose auf die Welt kam und dessen Lunge durch chronische Schleimbildung unheilbar geschädigt war, gera‑ de mal fünf Jahre alt werden dürfen. Später wurden daraus 15. Heute sitzt die 48‑jährige Mutter eines Sohnes vor ihrem reet‑ gedeckten Haus auf Sylt und schildert mit ungeheurer Power, wie sie ihr ganzes Leben gegen die Diagnose anlebte. Vor sechs Jahren unterzog sich der Theaterstar dann einer Lungentrans‑ plantation. Seitdem feiert Miriam Maertens jeden neuen Tag.
Sie erzählen Ihr Leben als Duell zwischen Kopf und Körper. Kann man da überhaupt gewinnen? Miriam Maertens: Ich bot meinem Körper immer die Stirn, forderte ihn heraus. Meine Lunge war schon in jun‑ gen Jahren relativ kaputt. Ich schlief unterm Sauerstoffzelt, musste dreimal am Tag inhalieren. Von den Ärzten aus durfte ich we‑ der mit dem Fahrrad zur Schule noch Sport machen. „Schonen“war die Devise in den 70er‑Jahren bei meiner Erkrankung. Genau dage‑ gen entwickelte ich einen gesunden Widerstand. Später führte ich sogar jahrelang ein Doppelleben, um den Spagat zwischen Krank‑ heit und einer funktionierenden Schauspielerin aufrechtzuerhalten.
War die Lunge Ihr ärgster Feind? Nein, ich habe sie innerlich oft zärtlich in den Arm genommen und gesagt: „Komm, wir machen weiter!“
Sie hörten auch selten auf Ärzte, wurden sogar gegen ihren ausdrücklichen Rat schwanger.
„FÜR MEINEN SOHN JOSHUA WOLLTE ICH WEITERLEBEN“
Ich habe in mir gespürt, dass ich ohne Kinder todunglücklich werde. Diese Liebe und Verantwortung für meinem Sohn ha‑ ben mich später immer wieder aufstehen lassen. Sogar als ich nach der schmerzhaften Trennung von seinem Vater komplett zusammenbrach und dem Tod zum ersten Mal die Hand gab. Für Joshua wollte ich weiterleben.
Waren Ihre beiden älteren Brüder Michael und Kai Ihnen eine große Hilfe? Mit Michi hatte ich schon als Kind eine fast sym‑ biotische Verbindung. Er war mein Vorbild und hat mich auch überallhin mitgenommen. Kai, der zwölf Jahre älter ist, kam erst später als mein Retter dazu. Ohne ihn hätte ich die Lungentransplantation nicht geschafft, davon bin ich überzeugt. Die ganze Zeit während meines Kran‑ kenhausaufenthalts blieb er an meiner Seite und kämpfte wie ein Löwe für mich, damit ich das alles überstehe.
Warum haben Sie so lange mit der OP gewartet? Ich hatte schlicht Angst, nicht zu überleben. Oder wenn ich die Ope‑ ration schaffe – die dauert ja acht Stunden –, danach zusammen‑ zuklappen. Die Lunge ist eines der größten Organe, der Eingriff für den Körper sehr belastend. Ohne neue Lunge wäre ich wohl längst tot. Allerdings braucht man auch mentale Stärke, um das Organ zu akzeptieren. Das ist jetzt meins, ein Ge‑ schenk. Vorher musste ein anderer Mensch sterben.
Was passiert, wenn man auf der Liste für ein Spenderorgan steht? Man bekommt ein Telefon, das nur für eine Num‑ mer erreichbar ist. Wenn es klingelt, ist ein passen‑ des Organ gefunden und es gibt kein Zurück mehr. Ich wurde mitten in der Nacht mit einem Hub‑ schrauber ins Krankenhaus geflogen. Es war ein bisschen wie in einem Film, aber einem gruseligen. Sagen wir mal so, das alles wünscht man nicht seinem ärgstem Feind. Und danach? Freude und Erleichterung? Anfangs empfindest du gar nichts, wirst mit Medika‑ menten zugeschüttet. Überall hängen riesige Schläu‑ che. Du siehst diese große Narbe, die sich wie ein Bi‑ kiniband unter der Brust langzieht. Ich bin die erste Zeit vor Erschöpfung wie eine uralte Frau vornüberge‑ beugt gelaufen, aber schlussendlich habe ich das gan‑ ze Prozedere schnell geschafft. Ich war drei Wochen im Krankenhaus und danach fünf Wochen in der Reha. Bei manchen Patienten kann das sehr viel länger dauern. Ich hat‑ te großes Glück, so schnell wieder nach Hause zu dürfen. Mein Ziel war: Ich wollte zurück zu meinem Sohn und dann mög‑ lichst schnell rauf auf die Bühne und meinen Beruf ausüben.
Beides ist Ihnen gelungen. Wie fühlen Sie sich heute? Ich fühle mich wie neugeboren, obwohl ich weiß, dass ich nicht kerngesund bin. Ich bin transplantiert und muss mich aufgrund meines geschwächten Immunsystems weiterhin vor Infekten in Acht nehmen. Im Grunde war ich 42 Jahre in meinem Kör‑ per gefangen. Jetzt endlich bin ich frei.
Nur Ihr schallendes Lachen haben Sie verloren. Leider. Mein Lachen war richtig ansteckend. „Mach mal den Mo‑ tor an“, hat mein Bruder immer gesagt. Die neue Lunge ist ein bisschen zu groß und drückt aufs Zwerchfell. Aber nach sechs Jahren ist sie schon fast wieder so kraftvoll wie vorher.
„ICH BIN NACH DER OP GEBEUGT WIE EINE URALTE FRAU GELAUFEN“