August Zirner: Wie ihm Therapien geholfen haben
AUGUST ZIRNER verlor als Jugendlicher seinen Vater an Krebs. Warum ihn dessen Tod bis heute verfolgt, er sich in Therapie begab und was den Schauspieler zu Tränen rührt
Es ist wie eine Wunde, die einfach nicht verheilen will. Der Schmerz ist förmlich greifbar, wenn August Zirner, 62, über den Verlust seines Vaters spricht. Der bekannte Opernregisseur und Konzertpianist Ernst Ludwig Zirner († 64) hatte Krebs, zunächst in der Niere, dann im ganzen Körper. Hautnah erlebte Zirner junior als Jugendlicher den Leidensweg des geliebten Menschen, der ihm das musikalische Talent vererbte. „Seit zwölf Jahren mache ich verstärkt Musik, wohl auch, um mit dem Verlust umzugehen. Mein Vater würde sicher lächeln, wenn er sehen würde, was ich derzeit übe“, meint der 62-Jährige. Aktuell ist August Zirner im Kinofilm „Was uns nicht umbringt“(ab 15. 11. 2018) zu sehen. In der Tragikomödie spielt er einen Therapeuten, der selbst mit Sinnkrisen zu kämpfen hat. Wir baten den Schauspieler auf die Couch.
Herr Zirner, waren Sie schon einmal beim Therapeuten? Aber ja!
Warum? Es gab bestimmte Probleme in meinem Leben, die sich wiederholt haben. Ich habe mich zunächst selbst mit Händen und Füßen innerlich dagegen gewehrt.
Weil … … ich in Amerika aufgewachsen bin. Meine Mutter pflegte immer zu sagen: „Stop worrying about that silly thing called me.“Heißt, hör auf, dich um das alberne Ding zu kümmern, das „ICH“heißt. Ich habe erst viel zu spät erkannt, wie sehr der Satz Selbsterkenntnis im Wege steht.
Für viele ist es immer noch ein Tabu, zum Therapeuten zu gehen beziehungsweise es auch zuzugeben. Stimmt. Ich finde es aber richtig, offen damit umzugehen. Für mich ist es wichtig, mit jemandem außerhalb des Familien-
ICH FINDE ES WICHTIG, OFFEN MIT DEM THEMA THERAPIE UMZUGEHEN
Bei meinem Therapeuten WEINE ich manchmal
oder Freundeskreises sprechen zu können. Da heißt es ja oft nur: „Ach, stell dich nicht so an. Ist doch alles gut bei dir.“
Was haben Sie für eine Therapie gemacht? Ich war bei der Gesprächstherapie und ließ einmal eine Familienaufstellung machen. Das war sehr hilfreich. Auch heute suche ich den Therapeuten immer noch auf, wenn ich merke, dass ich mich gedanklich festgebissen habe.
Was sind das für Gedanken, die Ihnen das Gefühl vermitteln, Ihren Therapeuten aufsuchen zu müssen? Wenn ich zum Beispiel verunsichert bin oder verbal um mich schlagen möchte. Mittlerweile weiß ich aber, dass ich dann einfach nur kurz den Raum verlassen oder um den Häuserblock gehen muss. Dann folgt die Erkenntnis: Moment, du fühlst dich verunsichert, weil du selbst nicht weißt, was du willst. Oder ich merke, dass nur mein Eitelkeitshühnerauge betreten wurde.
War es für Sie schwierig, einen geeigneten Therapeuten zu finden? Ich habe zum Glück jemanden gefunden, der einfach sehr gute Fragen stellt. Darauf kommt es an. Die Antworten muss man aber selbst finden. Es ist vielleicht schmerzhaft, aber irre schön. Mein erster Therapeut war mir nach zwei Sitzungen hörig. Den habe ich viel zu schnell um den Finger wickeln können. Er meinte: „Bei Ihnen ist alles okay, Sie sind emotional im Fluss, Sie weinen…“
Was bringt Sie zum Weinen, wenn Sie auf der Couch liegen? Das ist eine sehr private Frage. Meistens, wenn ich über mich selbst gerührt bin.
In dem Film fällt der schöne Satz: „Es ist besser, sich der Angst zu stellen, als sie zu unterdrücken.“Was macht Ihnen persönlich derzeit Angst? Dummheit, auch meine eigene. Vor allem aber die, die es in der Welt gibt. Die Sucht nach Populärem und der daraus entstehende Populismus, den wir leider heute immer öfter beobachten, zum Beispiel auch in der US-Politik. Als Amerikaner könnte ich wohl noch Stunden darüber reden.
Haben Sie Angst vorm Tod? Ich habe Angst, dass andere Leute sterben. Was mich selbst betrifft, eher nicht. Ich kann das relativ konkret festmachen: Zu meinem 60. Geburtstag stellte meine Frau ein Video meines Schaffens zusammen. Sie führte mir erneut vor Augen, mit welch tollen Regisseuren und Musikern ich arbeiten durfte und dass ich seit fast 40 Jahren eine mitunter leidgeprüfte, aber schöne Ehe führe und vier tolle Kinder habe. Da dachte ich insgeheim bei mir: Eigentlich könnte ich gehen.
Sie waren sehr jung, als Sie Ihren Vater verloren haben. Wie sind Sie mit dem Verlust umgegangen? Als mein Vater starb, war ich 14 Jahre alt. Ich habe seinen Tod sehr deutlich erlebt. Das hängt mir heute noch nach. Sie müssen wissen, mein Vater war sehr lange sehr krank. Irgendwann habe ich mir gewünscht, dass es vorbei ist, dass ich aufhören kann, Hoffnung zu haben. Zwei Tage vor seinem Tod gestand ich meiner Mutter, dass ich möchte, dass es zu Ende geht. Ich hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei. Denn ich wusste, dass er sterben würde. Ich glaube, daher rührt meine Ur-Trauer.
Woran ist Ihr Vater gestorben? Er hatte Krebs. Einen riesigen Tumor. Zuerst hat man ihm eine Niere entfernt. Als Kind hat mich das wahnsinnig verletzt. Ich dachte mir: Jetzt gibt es weniger Masse von meinem Vater, die ich lieb haben kann. Wie üblich folgte eine Strahlentherapie. Doch es hatten sich Metastasen gebildet. Von der zweiten Operation hat er sich nie erholt.
Denken Sie heute noch oft an ihn? Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Auch dass ich mich so intensiv die letzten Jahre mit der Musik beschäftige, hängt wohl damit zusammen. Er ist mir gerade erst im Traum erschienen. Ich saß im Arbeitszimmer, er kam vorbei und sagte nur: „Ich will dich nicht bei der Arbeit stören.“Dann bin ich aufgewacht. Sein Tod liegt 48 Jahre zurück und ich träume immer noch von ihm. Das könnte man nun sicher auch psychologisch deuten.
KURZ VOR SEINEM TOD WÜNSCHTE ICH MIR, DASS ES ZU ENDE GEHT