Bunte Magazin

Christian Berkel: Seine dramatisch­e Familienge­schichte

CHRISTIAN BERKEL Der TV-Star hat seine dramatisch­e Familienge­schichte aufgeschri­eben

- Interview: Manfred Otzelberge­r

Jahrelang bin ich vor meiner Geschichte davongelau­fen. Dann erfand ich sie neu“, sagt Christian Berkel, 61. Mit „Der Apfelbaum“(Ullstein Verlag) hat der Schauspiel­er einen großen deutschen Familienro­man geschriebe­n, seine Eltern und Großeltern wurden zu Figuren, das Buch ist ein Bestseller. Er erzählt darin, was bisher kaum jemand wusste: Seine Mutter war Jüdin, sie war in Frankreich in einem Internieru­ngslager eingesperr­t, aus dem die Menschen nach Auschwitz transporti­ert wurden – wie durch ein Wunder entkam sie dem Holocaust. Sonst hätte es Christian Berkel, Jahrgang 1957, nie gegeben.

Warum haben Sie Ihr erstes, sehr persönlich­es Buch „Der Apfelbaum“genannt? Weil im Garten meiner Eltern ein Apfelbaum war, um den sich die Familie gern versammelt­e. Es war meine erste Bühne, da habe ich Salti geschlagen und Szenen aus Kinderstüc­ken vorgetrage­n. Und da habe ich als Sechsjähri­ger zum ersten Mal gefragt, wo ich herkomme. Meine Mutter sagte mir, ich sei ein bisschen jüdisch. Ein bisschen. Das hat mich verwirrt.

Hat Ihre Mutter Ihnen später mehr erzählt? Kaum, sie sagte mal, sie wäre in einem Lager gewesen, aber ich dachte, es wäre ein Ferienlage­r gewesen. Sie sagte, dass da in Gurs in den Pyrenäen, als die Nazis Frankreich besetzt hatten, viele Menschen verhungert wären – mehr nicht. Ich bekam kaum Antworten, diese Generation hat wenig über das Grauen gesprochen. Meine Mutter lebte als Jüdin in der Nazi-Zeit in ständiger Todesangst. Sie hatte als Mädchen den Traum, Schauspiel­erin zu werden, aber das Überleben war ihre größte schauspiel­erische Leistung, sie schaffte es nur mit einer falschen Identität. Und dank einiger guter Deutscher, die sie versteckte­n. Jeden Tag konnte sie auffliegen.

Hat Ihr nicht-jüdischer Vater, der in der Wehrmacht als Arzt diente, auch diese schrecklic­he Zeit tabuisiert? Ja, er war ja als Kriegsgefa­ngener in Russland und sprach nicht darüber, aber er sang mir russische Wiegenlied­er vor, weil er die Herzlichke­it der Menschen dort mochte, die politische Führung hasste er. Ich bin mir sicher, dass meine Eltern auch gegenseiti­g nie über ihre Er-

GUTE DEUTSCHE VERSTECKTE­N MEINE MUTTER

lebnisse gesprochen haben. Sie schlossen es weg. Weil es zu schmerzlic­h war. Der Schatten blieb. Den wird man nicht los.

Mussten Sie deshalb das Buch schreiben? Ja, ich wollte die blinden Flecken, die Geheimniss­e in unserer Familienge­schichte, enthüllen. Sonst werden die Brüche ja im‑ mer wieder unbewusst an die nächsten Generation­en weiterge‑ reicht. Ich habe zum Beispiel erst durch meine Recherche heraus‑ bekommen, dass auch meine polnische Urgroßmutt­er in Lodz wahrschein­lich im Getto verhungert­e und die Cousins meiner Mutter im Lastwagen vergast wurden. Das war in Chelmno, wo die Nazis die Massenvern­ichtung probten.

Ihre Mutter wanderte nach Kriegsende nach Argentinie­n aus und kam 1955 zurück, hatte sie Sehnsucht nach der deutschen Kultur – oder nach ihrem Ehemann? Ganz sicher das zweite. Deutschlan­d war nicht mehr ihre Hei‑ mat, konnte es nie mehr werden. Sie passten eigentlich gar nicht richtig zusammen, das sagten sie selbst, aber es war eine gro‑ ße Anziehung, von zärtlich bis zornig, die ganze Palette. Viel‑ leicht ist das ein tragfähige­res Modell für die Liebe als immer nur Harmonie. Sie konnten oft nicht miteinande­r, aber erst recht nicht ohne einander. Natürlich hat es meine Mutter ver‑ letzt, dass mein Vater wieder geheiratet hatte, aber sie fand ihn im Telefonbuc­h und rief ihn an. Mein Vater ließ sich danach so‑ fort scheiden, die beiden kamen wieder zusammen. Ein Wun‑ der. Das Ergebnis war dann ich.

Fühlten Sie sich als Jude? Nein, so wurde ich auch nicht erzogen, ich ging wie meine Mut‑ ter auf eine katholisch­e Schule. Ein Lehrer sag‑ te zu mir: „In dir ist so viel Teilung.“Das stimmt. Ich fühlte mich zwischen den Stühlen: etwas jü‑ disch, etwas christlich, etwas deutsch. Die einzi‑ ge klare Identität, die ich hatte: Ich war mit Leib und Seele Schauspiel­er. Heute fühle ich: Ich muss mich gar nicht entscheide­n. Der uneindeuti­ge Platz zwischen den Stühlen ist okay.

Haben Ihre Eltern nach der schrecklic­hen Zeit irgendwann Ruhe gefunden? Am glücklichs­ten waren sie in Andalusien, wo sie 20 Jahre gelebt und ein Haus gebaut haben. Sie wurden dort immer milder, auch sich selbst ge‑ genüber. Sie fanden Zufriedenh­eit, das ist wichtiger als kurze Glücksmome­nte. In dem Haus, das keinen eigenen Wasser‑ anschluss hat, wohne ich jetzt mit meiner Familie. Dort komme ich zur Ruhe und lade meine Batterien auf.

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SCHAUSPIEL­ER dank seiner Mutter: Sie spielte Christian Berkel als Kind Schallplat­ten von Theaterauf­führungen vor
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 ??  ?? HOMMAGE an Mutter Ursula: Das Buch von Christian Berkel erinnert an sie
HOMMAGE an Mutter Ursula: Das Buch von Christian Berkel erinnert an sie
 ??  ?? SCHAUSPIEL­ERPAAR Christian Berkel mit Andrea Sawatzki, im Januar kommt eine Scheidungs­komödie mit beiden ins Kino
SCHAUSPIEL­ERPAAR Christian Berkel mit Andrea Sawatzki, im Januar kommt eine Scheidungs­komödie mit beiden ins Kino
 ??  ?? TODESLAGER GURS in den Pyrenäen: Viele Juden verhungert­en dort, Ursula Berkel hatte Glück: Nach einem Weitertran­sport landete sie in Leipzig …
TODESLAGER GURS in den Pyrenäen: Viele Juden verhungert­en dort, Ursula Berkel hatte Glück: Nach einem Weitertran­sport landete sie in Leipzig …
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LESENSWERT Christian Berkels Familienro­man

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