Das sind die neuen Therapien bei DIABETES
„ZUCKER“ist heute eine Volkskrankheit. Wen es trifft, welche Therapien es gibt und was man selbst erfolgreich tun kann: Das sollten Sie über Diabetes wissen
Sie habe gedacht, das gehöre zum Schwangersein eben dazu: der verstärkte Durst, der hohe Blutdruck, die Müdigkeit. Als man bei der ahnungslosen Salma Hayek Schwangerschaftsdiabetes diagnostizierte, war sie geschockt. So wie ihr geht es den meisten: Was Diabetes genau ist und in welche Typen er sich unterteilt, das benennen kann nur ein gutes Viertel der Bevölkerung, so eine Forsa-Umfrage im Jahr 2018 anlässlich des Weltdiabetestages am 14. November. Dabei zählt Diabetes in Deutschland zu den größten Volkskrankheiten.
Aktuell leben bei uns mehr als sechs Millionen Menschen damit, jeden Tag gibt es fast 1 000 Neuerkrankungen. Von diesen sechs Millionen weiß jeder Fünfte noch nicht von seiner Erkrankung, ignoriert, wie Salma Hayek, die Symptome. Mehr als 90 Prozent der Betroffenen leiden an Typ-2-Diabetes. 300000 haben Diabetes Typ 1, davon 30 000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren. Es sind Zahlen, die nachdenklich machen, zumal Experten für die kommenden Jahre eine deutliche Zunahme
Risikofaktor Nummer eins ist ÜBERGEWICHT
voraussehen. Nicht nur der Typ-2-Diabetes wird ansteigen. Dieser „Altersdiabetes“hat viel mit dem täglichen Gesundheitsverhalten, mit Bewegungsmangel und Übergewicht zu tun. Er kann oft über Jahre zunächst ohne Insulin und vorwiegend mit Tabletten behandelt werden.
Auch der Typ-1-Diabetes, eine Autoimmunerkrankung, bei der die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse vom eigenen Körper zerstört werden, wodurch ein Insulinmangel entsteht und Insulin, das für den Stoffwechsel so wichtige Hormon, künstlich zugeführt werden muss, tritt immer häufiger auf, wohl als Folge der Umweltveränderungen. Mit Sorge beobachten Mediziner, dass an Typ 2 schon Jugendliche, vor allem besonders dicke, erkranken können. „Wir gehen davon aus, dass Vererbung, Umwelteinflüsse, veränderte Ernährungsgewohnheiten und ein sitzender Lebensstil zusammenkommen“, sagt Dr. Jens Kröger, Diabetologe in Hamburg und Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe.
Ein Risikofaktor ist Übergewicht, vor allem ein hoher Fettanteil am Bauch. Die Ursache hierfür, so neuere Studien, könnten Entzündungen im Fettgewebe und eventuell im Appetitzentrum des Gehirns sein. Für diese Vorgänge scheinen die genetische Veranlagung, aber auch die Zusammensetzung der Darmbakterien verantwortlich zu sein. Erste Symptome, also ein Prädiabetes mit steigendem Blutdruck und hohem Nüchternblutzucker, zeigen sich bei vielen späteren Typ-2-Diabetikern in einem Alter von etwa 40 Jahren. Das ist bedenklich, ist doch die Stoffwechselstörung eng mit HerzKreislauf-Schäden verbunden. Je länger die Symptome unentdeckt bleiben, umso größer sind eventuell die Folgeschäden.
Warum ist DIABETES so gefährlich?
Der Zucker im Blut schädigt die Zellen der Blutgefäße und verstopft sie. Prof. Matthias Laudes, Bereichsleitung Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährungs
medizin an der Universitätsklinik Kiel: „Die Rate für Herzschwäche und Infarkt sowie Schlaganfall ist bei Diabetes bedeutend erhöht. Schäden an den Füßen, den Nerven, eine eingeschränkte Nieren- und Sexualfunktion sowie Probleme mit den Augen sind weitere Komplikationen. 40000 Erkrankte verlieren pro Jahr Beine, Füße oder Zehen, 2 000 erblinden.“Zudem sind Menschen mit Diabetes Typ 2 im Alter zwei- bis viermal
ZU VIEL ZUCKER SCHÄDIGT BLUTGEFÄSSE, HERZ UND NIEREN ERHEBLICH
häufiger von einer vaskulären Demenz betroffen, bis zu doppelt so häufig von Alzheimer-Demenz. Dabei ist vielen Menschen mit Typ-2-Diabetes nicht bewusst, dass sie etwa ein deutlich erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheiten (KHK) besitzen, so eine Studie der International Diabetes Federation (IDF) und Novo Nordisk – die erste Umfrage, bei der man Betroffene in mehreren Ländern befragte. Der Untersuchung zufolge weisen zwei von drei Menschen mit Typ-2-Diabetes akute Risikofaktoren für KHK auf oder hatten bereits ein kardiovaskuläres Ereignis wie einen Herzinfarkt. Dennoch betrachtet ein Viertel das persönliche KHK-Risiko als gering.
Dazu trage auch bei, so Prof. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf, dass viele Ärzte im Patientengespräch weniger auf Aufklärung setzen als auf Medikamente. So bekommt auch Tetje Mierendorf 2005 zu hören, sein Blutzuckerwert sei katastrophal, aber: „Sie trifft keine Schuld, verlieren Sie nicht Ihre Lebensqualität!“Und so nimmt er das stoffwechselverbessernde Medikament Metformin – und macht weiter wie bisher: isst unregelmäßig und süß, bis zu ein Kilo Schokolade pro Tag. Man hätte ihn, sagt der Schauspieler, nachdem er 70 Kilo abgenommen hat und sein Diabetes „in Remission“gegangen, also verschwunden ist, als Patient mehr fordern müssen: mit der Ansage, dass er selbst für sich verantwortlich sei. Dazu kommt die Politik: So stehen wichtige gesundheitspolitische Maßnahmen wie das Vorhaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, den Nutri-Score als Lebensmittelkennzeichnung einzuführen, noch aus.
Im RÜCKWÄRTSGANG zurück aus der Krankheit
Tatsächlich kann aber der Patient selbst mit einer Änderung des Lebensstils seinen Diabetes rückgängig machen, oft für lange Zeit. Ein Verfechter dieser Ansicht ist Prof. Martin. Er kritisiert, dass in Deutschland zu oft Insulin verschrieben werde. Ebenso erfolgreich könne eine Gewichtsreduktion sein, idealerweise mit einer anfänglichen Formuladiät, etwa mit „Almased“. Mit der erreiche man über zwei Wochen eine Anfangsmotivation, die den Patienten weiterträgt in eine neue Art, sich zu ernähren – mit wenig Kohlenhydraten, dafür aber vielen gesunden Fetten wie Olivenöl und Nüssen. Martin betont, nicht fettarm sei die Devise, sondern: mehr Öle, dafür weniger Kartoffeln, Nudeln und Brot, die den Insulinspiegel hochtreiben. Also alles andere als genussarm!
Oftmals reiche es schon, von einem BMI im Bereich der Fettleibigkeit (über 30) auf die Kategorie Übergewicht (BMI 25 bis 30) zu gelangen. Genau dies falle mit Insulin schwer. Martin: „In vielen Fällen verschlimmert die Hormonzufuhr den Diabetes, weil die Menschen noch dicker werden. Dann wird noch mehr gespritzt – ein Teufels
Hilfreich: Ein COACHING kann Erfolge bringen!
kreis, in dem sich das Hormon seine eigene Anwendung schafft.“Martins Programm folgt einer neuen Sicht auf Typ-2-Diabetes: Der sei „keine Krankheit wie Rheuma oder Typ-1-Diabetes, die man nach der Diagnose für alle Zeit mit sich herumträgt, sondern eine Ansammlung von Symptomen, die umkehrbar sind“. Das heißt: „Typ 2 ist eine Erkrankung, gegen die ich was machen kann! Das ist eine Riesenchance, vor allem innerhalb der ersten vier Jahre. Das müsste jeder Diabetiker wissen!“Sein durch Studien gestütztes Programm erschien als Coaching („Das neue Diabetes-Programm“, Trias), er bietet auch Telekurse oder Vorträge an.
NEUE HILFEN machen das Leben besser
Körperlich können Betroffene davon profitieren, sich mehr um sich kümmern zu müssen. Aber die psychische Belastung durch die Krankheit ist groß (s. Kasten links): Diabetespatienten haben eine eingeschränkte Lebensqualität und ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- oder Essstörungen.
Einer Studie zufolge verzichten vier von fünf auf Dinge, die sie gern tun würden, weil sie sich unsicher fühlen. Darüber hinaus hemme eine Unsicherheit bei mehr als der Hälfte das Selbstbewusstsein. Während Typ 2 belaste, dass die „Schuldfrage“oft auf ihn abgewälzt werde, falle es Typ 1 oft schwer, beim eigenen Gesundheitsmanagement motiviert zu bleiben.
Dabei gibt es zahlreiche Hilfen, Diabetes besser zu kontrollieren. Prof. Laudes sieht drei Bereiche, in denen sich seit 2017 viel getan hat. Zum einen der technologische Fortschritt: Sensoren in der Haut, die den Glukosewert messen. „So muss sich der Patient nicht in die Fingerbeere stechen – als Typ-1-Diabetiker bis zu sechsmal am Tag, was oft schmerzhaft ist.“Allerdings: Bedingt durch die Vielzahl und Genauigkeit der Werte, die nun auch postprandial,
SENSOREN messen genauer
also nach dem Essen und nicht mehr nur vorher einzusehen sind, sind Patient und oft auch die Diabetologie überfordert. Kein Wunder, bei in Summe etwa 144 Einzelwerten pro Tag und Patient. Auch Moderatorin Laura Karasek ist daran verzweifelt: „Weil man manche Werte nicht versteht. So einen Alarm zu haben, der einem sagt: ‚Du hast wieder was falsch gemacht‘, ist eine psychische Belastung.“Zudem muss man bei Geräten, die sehr genau sind und künftig als Closed-Loop-Systeme auch mit Insulinpumpen, die die Insulinzufuhr regeln, verschaltet sein können, weiter mehrmals am Tag auf herkömmliche Art messen, um zu kalibrieren. Diese Geräte seien eher für Typ-1-Diabetiker geeignet, die unter höheren Blutzuckerschwankungen leiden. Typ 2 fahre mit Sensoren, die ohne zusätzliche Messungen auskommen, gut (z.B. „FreeStyle Libre“). Trotzdem: „Sensoren haben die Diabetologie revolutioniert.“
Auch die Wissenschaft profitiere: „Wir können bald gezielt schauen: Bekommen die Personen, deren Werte nach dem Essen stark ansteigen, zum Beispiel mehr Herzinfarkte oder Nervenschäden als andere?“Auch beim medikamentösen Fortschritt sei viel passiert. Laudes: „Frühere Medikamente verbesserten den Blutzucker, beeinflussten aber das Auftreten von Herzinfarkten kaum. Das hat sich vor drei, vier Jahren mit zwei neuen Medikamentenklassen bedeutend geändert.“Diese kontrollieren nicht nur den Zucker, sondern verbessern auch Herz- und Nierenfunktion, indem sie den Stoffwechsel entgegen seiner in Jahrtausenden geprägten Veranlagung – etwa mehr zu essen als nötig, falls möglich – manipulieren. Mit dieser „evolutionären Medizin“sei die Diabetestherapie nun regelrecht personalisiert. „Galt früher: Ein Typ-2-Patient bekommt erst Metformin und danach unspezifisch eine andere Therapie, etwa Insulin, schauen
FÜRS EIGENE WOHL: PATIENTEN MEHR IN DIE PFLICHT NEHMEN