OFT SEHR SCHWER: LEBEN MIT DIABETES
DIE KRANKHEIT IST BELASTEND, DIE NÖTIGE DISZIPLIN STRENGT AN
Was bedeutet Diabetes für das tägliche Leben? Viel, so Experten, vor allem bei Typ 1. „Das Krankheitsmanagement ist für viele ein Kraftakt“, sagt Prof. Stephan Herpertz, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWLUniversitätsklinikums der Ruhr-Universität Bochum. „Wir sehen bei uns Menschen mit Typ-1-Diabetes, die durch ihre chronische Krankheit massiv überfordert sind. Um die Blutzuckerwerte in einem guten Bereich zu halten, muss der Patient einen großen täglichen Einsatz bringen, der sehr belasten kann.“Nicht nur sieht er dann einen 50-Jährigen, der irgendwann sagt: „Ich kann nicht mehr!“Vor allem jungen Patientinnen kann die Krankheit zu schaffen machen. „Etwa wenn eine 13-Jährige durch ihren Diabetes Gewicht verloren hat und nach Diagnose und dank Insulin wieder zunimmt, meist mehr als zuvor. Das belastet Teenager sehr. Sie gehen dann oft bewusst fahrlässig mit ihrem Körper um.“
Laura Karasek, die mit 13 die Diagnose bekam, bestätigt das: „Ich war erst trotzig und habe die Krankheit lange nicht akzeptiert, habe meinen Körper gehasst, gesagt: ‚Er ist schlecht, macht mich kaputt.‘“Sie habe extra viel geraucht und getrunken – ein „Trotzdem“, das immer mit einem schlechten Gewissen gepaart war, dem Gedanken: „Ich bin nun mal krank, ich habe eine andere Bürde als andere, ich kann mir diese Exzesse nicht leisten.“So habe sie durch ihre Krankheit eine gewisse Tiefgründigkeit bekommen: „Man beschäftigt sich viel früher mit der eigenen Vergänglichkeit und dem Tod. Alles kann schnell vorbeigehen.“
Auch Inge Steiner, Ehefrau von Ex-Gewichtheber Matthias Steiner, der, seit er 18 ist, Diabetes hat, sagt: „Die Krankheit ist das fünfte Familienmitglied, ist immer dabei. Wir sind alle betroffen, man nennt Familienangehörige so auch ‚Typ-F-Diabetiker‘.“Jede Fahrradtour, jedes Eis mit den Kindern will geplant sein, richtet sich nach seinen Werten. Dazu kommt das Gefühl, es könne etwas passieren. Inge Steiner: „Ich stand früher nachts eine Heidenangst aus, weil ich nicht wusste, was los ist, wenn Matthias plötzlich schwitzte oder kurzatmig war. Dann habe ich ihn geweckt und ihn bekniet, Zucker zu messen.“Verständlich also, dass Diabetes-Betroffene anfälliger für Depressionen sind – etwa jeder Zehnte leidet daran. Prof. Stephan Martin aus Düsseldorf sieht auch Ärzte in der Pflicht: Mehr Aufklärung und Betreuung tue not.
So zeigte eine Studie, „dass Diabetes-Patienten, die ein Jahr nach der Diagnose das Gefühl hatten, dass ihr Arzt wesentlich empathischer mit ihnen umgeht, eine deutlich bessere Prognose beim Fortgang der Krankheit“. Nicht nur Medikamente seien wichtig: „Wir Ärzte sollten uns stärker an diese Patienten anbinden. Wir müssen die Medikamente ja im Endeffekt den Patienten ,verkaufen‘, ihnen also nahebringen, diese auch einzunehmen und gut mit sich umzugehen. Die Disziplin und Motivation des Patienten, die sogenannte Compliance, hängt von vielem ab – und der Rückhalt in Familie und Umfeld ist essenziell.“