Miriam, Kai & Michael Maertens: Die Schauspiel-Geschwister sprechen über Familienbande und Miriams schwere Krankheit
MIRIAM MAERTENS und ihre Brüder Kai und Michael sprechen über Geschwisterliebe, ihr Leben mit Mukoviszidose und das große Glück, endlich gesund zu sein
Eigentlich spielt das Thema Lunge in ihrem Alltag keine große Rolle mehr. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Lungentransplantation liegt acht Jahre zurück und wer Miriam Maertens, 49, heute erlebt, käme nie auf die Idee, es mit einer Überlebenden zu tun zu haben. So energiegeladen, so positiv ist die Schauspielerin. Im Herbst 2018 hat sie ihre Biografie „Verschieben wir es auf morgen“veröffentlicht und ihre schwere Mukoviszidose-Erkrankung, die bei ihr schon als kleines Kind diagnostiziert wurde, einem großen Publikum offenbart. Dabei handelt es sich um eine unheilbare Erbkrankheit, die das Lungengewebe zerstört und zu Atemnot führt. Allerdings hat Miriam Maertens keinen Leidensweg beschrieben, sondern eine Ode an das Leben, an den Beruf der Schauspielerin und an ihre wunderbare Familie, die sie in jeder noch so schweren Phase begleitet hat. Und auch jetzt kommen sie alle, der ganze berühmte Schauspiel-Clan der Maertens, wenn Mi
KAI GILT ALS STREITHANSEL, ENTSCHULDIGT SICH ABER IMMER ALS ERSTES
riam ruft. Zuallererst ihr Vater Peter Maertens, 88, Legende des Thalia Theaters, der trotz Darm-OP noch dreimal im Monat auf der Bühne steht. Ihr Sohn Joshua, 19, der eine Schauspielschule besucht. Ihr Bruder Kai, 61, der gerade den neuen Ostfriesland-Krimi abgedreht hat, und natürlich Michael, 56, berühmter Burg-Schauspieler und der Filmstar der Familie. Mit BUNTE sprechen die drei Geschwister erstmals über ihre ungewöhnlich innige Beziehung.
Waren Sie drei schon als Kinder so eng?
Kai: Wir waren immer eng, aber der Altersunterschied war sehr groß. Als Miriam geboren wurde, war ich elf und auch für Jungs ist der Abstand zwischen elf und sechs enorm. Michael: Trotzdem hatten wir nie diese Phase, in der wir uns gestritten oder geprügelt haben, obwohl ich immer eifersüchtig war, weil Kai alles schon viel besser konnte als ich. Aber echte Konkurrenz gab es nie. Dass bei uns zu Hause so eine Harmonie herrschte, haben wir vor allem unseren Eltern zu verdanken, die uns mit viel Liebe erzogen und den Rücken gestärkt haben. Miriam: Wir sind auch keine Nacht im Streit schlafen gegangen. Das ist es nicht wert. Dafür schätzen wir das Leben zu sehr. Michael: Wenn es heute Streit gibt, dann laut und impulsiv. Wir sind charakterlich sehr unterschiedlich. Aber es ist immer schnell wieder vorbei.
Und wer gibt nach? Miriam: Meistens Kai. Er wird ja immer als Streithansel hingestellt, ist aber auch der Erste, der abends heulend anruft und sich entschuldigt. Er erträgt es überhaupt nicht, wenn miese Stimmung herrscht. Ist aber immer in alles verwickelt. Kai: Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, mit 60 ein Gentleman zu werden, aber ich ziehe den Ärger irgendwie an. Ich bin 1,90 m, kann den Mund nicht halten und mag keine Hierarchien. Das erschreckt viele Menschen. Vor allem Regisseure. Das bewundere ich an Michi neben seiner tollen Karriere, dass er auf ehrliche Weise mit vielen Kollegen befreundet ist. Miriam: Michi ist sehr bescheiden für den
Status, den er in seinem Beruf erreicht hat. Er hätte auch ein Angeber werden können.
Vergleicht man sich da oft? Nicht direkt, schon weil ich eine Frau bin. Aber als kleine Schwester habe ich die Jungs immer genau beobachtet.
Unterstützen Sie sich gegenseitig auch finanziell? Schauspiel ist ja nicht immer eine Lizenz zum Gelddrucken… Miriam: Kai:
Ja, meine Brüder haben mich oft unterstützt. Michael hat mir immer geholfen, wenn ich in Nöten war. Er selbst hingegen wird sehr wenig unterstützt.
Michael: Ich habe auch riesengroßes Glück gehabt. Gleich nach der Schauspielschule habe ich am Thalia Theater meine erste Hauptrolle gespielt: „Clavigo“von Goethe. Mit 24! Und danach fast nur Hauptrollen in allen großen deutschsprachigen Städten. Das war mein Traum. Und jetzt im Alter habe ich durch Detlev Buck und die „Bibi & Tina“-Filme sogar ein bisschen Popularität erfahren. Zumindest auf den Spielplätzen.
Miriam: Das Größte in unserem Beruf ist doch, wenn man zum Zug kommt. Es gibt so viele gute Kollegen, die kellnern müssen. Es ist ein Privileg, das machen zu können, was Spaß macht.
Kai: Meine Fernsehkarriere verlief nicht immer gradlinig, aber am Theater habe ich nach wie vor unbändige Freude.
Michael: Viele Menschen sind überfordert mit Kais Offenheit. Dabei ist es doch etwas Herrliches, wenn jemand sein Herz auf der Zunge trägt. Und im Grunde haben die meisten auch ihre Freude daran und wollen Kai gar nicht mehr loslassen, wenn er mal angefangen hat zu erzählen.
Sind die Rollen zu Hause auch so eindeutig verteilt? Kai: Michi ist der Diplomat, ich bin der Kriegsminister und Miriam ist… Miriam: …die Kleine! Kai: Unsere kleine, geliebte Schwester. Sie ist nun mal das einzige Mädchen, war schwer krank und wir haben immer auf sie aufgepasst.
Klingt doch sehr behütet. Miriam: Ich hatte es wahnsinnig gut, aber manchmal war ich es auch leid, so behütet zu werden. Vielleicht bin ich deswegen so spät erwachsen geworden. Mit 25 bin ich regelrecht vor diesem Familien-Clan nach München geflohen. Endlich keiner, der fragt: „Nimmst du auch deine Medikamente?“oder „Du siehst aber blass aus.“
Dennoch haben Sie sich nie aus den Augen verloren? Kai: Im Gegenteil, wir haben uns im Alter noch mehr gefunden.
MEINE BRÜDER HABEN MICH OFT FINANZIELL UNTERSTÜTZT
Michael: Ich finde unsere Beziehung erstaunlich eng und auch unbelastend eng. Ich brauche meine Geschwister einfach. Ich brauche meinen großen Bruder, damit er auf mich aufpasst und mich durch die Welt führt. Und ich brauche genauso mei‑ ne kleine Schwester! Sie ist bestimmt meine beste Freundin. Sie war auch die erste Person, auf die ich aufpassen und die ich beschützen musste. Wir haben einfach ein ganz enges Verhält‑ nis. Ich meine, wo gibt es denn so was, dass man mit 50 noch zusammen in einem Haus oder einer Wohnung mit seiner Schwester lebt. Genau das haben wir die letzten 14 Jahre in Zürich gemacht. Natürlich waren wir beide beruflich oder privat viel in anderen Städten unterwegs, aber Zürich war die Basis. Und auch heute gibt es immer wieder sehr innige Phasen.
Wie gehen denn Ihre Partner mit dieser Nähe um? Miriam: Das war und ist nicht immer einfach. Wir drei sind ein ganz schönes Bollwerk. Eigentlich tele‑ fonieren wir täglich und hören ständig voneinander. Kai: Wenn Familien sich so gut verstehen, ist das für Partner manchmal befremdlich. Vor allem, wenn deren eigene Familie nicht intakt ist. Bei uns werden jeweilige neue Partner gern im Familienrat begutachtet und besprochen. Manche Frauen wur‑ den erst willkommen geheißen, als schon klar war, dass sie schon wieder weg sind. Wenn man einen von uns heiratet, hei‑ ratet man mehr als einen Zwilling. Letztlich kommt man nicht drum herum zu sagen, dass Miris Krankheit die Familie zu‑ sammengeschweißt hat. Weil es immer ein höheres Ziel gab. Etwas, das wichtiger war als alles andere. Miriam: Ich weiß, dass ihr beide, und vor allem Michi, schon früh viel Verantwortung für mich aufgedrückt bekommen habt. Und ich in meinem Krankenkosmos habe die große Liebe mei‑ ner Brüder oft als selbstverständlich hingenommen. Trotzdem glaube ich, dass wir diese Nähe, diese Liebe und diesen Res‑ pekt, den wir füreinander empfinden, vor allem der Erziehung unserer Eltern und dem Leben, das sie uns vorgelebt haben, verdanken. Und ist es nicht toll, dass ihr euch heute keine Sor‑ gen mehr machen müsst, weil ich jetzt gesund bin. Kai: Gesund ist für mich so ein makabres Wort. Ich bin damit sehr vorsichtig. Niemand weiß doch, wie gesund er wirklich ist. Vielleicht schlummert schon irgendwo eine Krebszelle. Außer‑ dem sorgen wir uns ja auch so umeinander. Wenn ich länger nichts von Michi höre, habe ich Angst, dass er gegen einen Baum gefahren ist oder das Flugzeug abgestürzt ist. Ich bin zwar ent‑ spannter, weil konkret nichts ist, aber die Sorge ist nur kleiner, weil es weniger Not gibt. Außerdem war es ja auch vor der Trans‑ plantation ein herrliches Leben mit dir.
Michael: Die Krankheit stand nie im Vordergrund. Das war ja das Tolle. Miriam war immer der Motor des Lebens für mich. Wenn wir im Kino waren und sie gelacht hat, hat plötzlich das ganze Kino gelacht. Aber nicht wegen des Films, sondern weil sie so eine ansteckende Lache hatte. Ihre Philosophie war vor der Transplantation einfach: „Ich gehe die Krankheit an, ich gebe mich ihr nicht hin. Ich trotze dagegen. Ich bin genauso ein Mensch wie alle anderen auch! Ich bin gesund, ich atme, und alles, was ich angeblich nicht machen darf, mache ich erst recht!“Diese Einstellung hat sehr geholfen. Irgendwann schlug die Krankheit dann so zu, dass es uns allen sehr leid tat. Des‑ halb ist es so ein Wunder und so eine Erleichterung, dass es ihr heute so gut geht. Deshalb sind wir auch die Ersten, die mit einem Organspendeausweis herumlaufen.
Wie hat sich Ihr Leben mit der neuen Lunge verändert?
Miriam: Eigentlich spiele ich erst seitdem wirklich Theater. Es war total verrückt, diesen Beruf mit mei‑ ner völlig kaputten Lunge auszuüben. Aber mein Wille war so stark, dass ich die drei bis vier Stunden vor und auf der Bühne irgendwie geschafft habe und auch noch Spaß dabei hatte. Heute vergesse ich manchmal die 42 Jahre Krankheit, die nun hinter mir liegen. Ich gehe raus, genieße in vollen Zügen, dass ich allein über mich, meinen Körper und meine Zeit verfügen kann.
Kann man so eine Krankheit wirklich vergessen? Es gibt keinen Tag und keine Nacht, in der ich mich nicht bei dem Spender, bei den Ärzten und dem Leben bedanke. Aber meine Erwartungen an das Leben sind einfach viel höher als vorher. Ich stelle heute Forderungen und verstehe nicht, wa‑ rum manches nicht gehen soll. Ich bin bald 50 und habe so viel nachzuholen. Das Erste, das ich mir zurückerobert habe, ist der Beruf. Jetzt will ich die Welt sehen. Michael: Du musstest immer mit angezogener Handbremse fahren und jetzt kannst du endlich loslassen. Miriam: Auch sich nicht mehr erklären zu müssen. Ich bin zum ersten Mal gesund und frei. Ich war 42 Jahre in meinem Körper eingesperrt und jetzt kann ich so leben, wie ich es will. Kai: Manchmal denke ich, dass dieses Wunder noch viel größer ist und wir gar nicht demütig genug sein können.
„Ich habe mir meinen BERUF zurückerobert. Jetzt will ich die WELT sehen“ ES GIBT KEINEN TAG, AN DEM ICH NICHT MEINEM SPENDER DANKE