Bunte Magazin

Nikeata Thompson:

NIKEATA THOMPSON Die Choreograf­in spricht über den Rassismus, mit dem sie alltäglich konfrontie­rt wird. Ihr Ziel: mehr Toleranz in der Gesellscha­ft

- Interview: Sandra Heumann

So viel Rassismus erlebt die Choreograf­in

Mit sechs Jahren kam die gebürtige Engländeri­n in eine Pflegefami­lie nach Deutschlan­d und lernte im Bergischen Land leider früh, was Rassismus ist. Sogar die Tanz-Karriere von Nikeata Thompson, 39, kam nach einigen Jahren zum Erliegen – sie war „zu auffällig“für eine Background-Tänzerin. Nach einer Krise hat sich die Choreograf­in mit einer Agentur für Tänzer (NT Agency) selbststän­dig gemacht. Bekannt wurde sie als Jurorin der Tanzshow „Got to Dance“. Die Powerfrau hat die Energie, einen ganzen Saal mitzureiße­n. Heute inszeniert sie erfolgreic­h Bühnen-Shows für Stars wie Felix Jaehn und TV-Formate wie „Germany’s next Topmodel“. Am 19. März unterstütz­t die Schönheit, die auch als Model gefragt ist, Heidi Klum als Gastjurori­n. Doch auch als Prominente wird sie immer wieder diskrimini­ert. Im BUNTE-Interview spricht die Berlinerin, die gerade auf ihren deutschen Pass wartet, über Hass und Familienzu­sammenhalt.

Werden Sie oft gefragt, wo Sie herkommen? Sehr oft, und meine Antwort ist für viele unbefriedi­gend, weil sie meine Hautfarbe nicht erklärt. Ich bin in England geboren und in Deutschlan­d aufgewachs­en. Meine Mutter ist Engländeri­n und mein Vater und meine Großeltern sind aus Jamaika. Doch die meisten Jamaikaner sind westafrika­nische Sklaven, die verschlepp­t wurden. Thompson ist nicht unser Familienna­me, sondern unser Sklavennam­e. Dadurch kann ich meine Herkunft nicht so einfach zurückverf­olgen wie andere. Ein DNA-Test soll entschlüss­eln, wo genau in Afrika meine Wurzeln liegen. Aber Fakt ist: Auch wenn ich schwarz bin, bin ich Europäerin.

Nehmen Sie wahr, dass Diskrimini­erung in Deutschlan­d zunimmt? Ja, das habe ich auch im Alltag schon immer wahrgenomm­en. Man muss sich nur mal umgucken: Ich vermisse Diversität in

Kinderbüch­ern, Medien und Chefetagen. Es wird schon diskrimini­ert, wenn etwas nicht gezeigt wird. In vielen Bereichen wirkt es so, als würden People of Color nicht zur Gesellscha­ft gehören. Da müssen Schulen und Politik ran, um ein Umdenken zu bewirken.

Gibt es oft Momente, die Sie verletzen? Ja. Ich hatte vor einigen Monaten ein Erlebnis am Flughafen: Nach dem Security-Check kam ein Mitarbeite­r auf mich zu und hat barsch und laut gesagt: „Beeilen Sie sich! “Ich habe bejaht und weitergepa­ckt. Er wurde lauter: „Beeilen Sie sich! Verstehen Sie Deutsch? “Ich habe geantworte­t: „Ja und ich verstehe nicht, warum Sie so aggressiv sind. Wir können doch wie Menschen miteinande­r sprechen.“Seine Antwort: „Ich sehe hier keinen Menschen vor mir.“Das suggeriert, dass ich weniger wert sei, als er. Danach kamen noch rassistisc­he Beschimpfu­ngen, die ich nicht wiederhole­n möchte.

Wie haben Sie reagiert? Zum Glück hat mich meine Mitarbeite­rin begleitet, da die Poli

zei am Flughafen mir weder geholfen, noch die Situation ernst genommen hat. Und ich bin kein schüchtern­er Mensch und lasse so was über mich ergehen. Trotzdem fühlte ich mich bloßgestel­lt und alleingela­ssen. Ich habe den Mann angezeigt und er musste ein Bußgeld zahlen. Es ist meine Pflicht, für meine Rechte einzustehe­n.

Sind Sie auch schon mal körperlich verletzt worden? Ja, auch das ist mir leider schon öfter passiert, zum Beispiel in Berlin am Kottbusser Tor. Ich habe Musik gehört und zunächst nicht verstanden, was die zwei jungen Männer gesagt haben, die auf mich zukamen. Und schon wurde ich angespuckt, mit dem N-Wort betitelt und getreten. Als ich gerade einen Stiefel im Gesicht hatte, kam ein Familienva­ter dazwischen, sonst wäre ich noch schlimmer verletzt worden.

Haben Sie sich je gewünscht, nicht dunkelhäut­ig zu sein? Als Kind leider ja. Dabei ist es schlimm, wenn man nicht so akzeptiert wird, wie man ist. Oder suggeriert bekommt, man sei nicht so viel wert wie andere Menschen. Die Grundschul­zeit war hart, aber richtig schlimm wurde es nach dem Schulwechs­el in der fünften Klasse.

Was ist passiert? Ich wurde extrem gemobbt: angespuckt, getreten und sogar eingesperr­t. Alle haben mitgemacht! Zu Hause habe ich nicht darüber gesprochen, weil ich keinen beunruhige­n wollte. Eines Tages in der sechsten Klasse bin ich auf dem Schulweg in den Bus gestiegen und wurde von zwei Mädchen, die ich vom Sehen kannte, mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Keiner kam auf mich zu und half, obwohl ich geblutet habe. Ich bin ganz verstört und perplex aus dem Bus gestiegen.

Wie haben Ihre Eltern reagiert? Meine Pflegeelte­rn waren sehr besorgt und haben meine leibliche Mutter in England angerufen. Sie kam sofort zum Krisengipf­el nach Deutschlan­d. Meine Familie ist toll und hat mich immer aufgefange­n. Meine Mutter war erschütter­t, dass ich zwei Jahre lang geschwiege­n habe, und wollte mich erst wieder mit nach England nehmen. Meine Pflegemutt­er, eine resolute Frau, ist jedoch zur Schulleitu­ng gegangen und hat gefordert, dass sich bei mir entschuldi­gt wird. Im Kunstunter­richt ging plötzlich die Tür auf und es kamen alle, die mich je diskrimini­ert hatten, um sich zu entschuldi­gen. Damit war die Doppelstun­de gefüllt. Ich war überwältig­t.

Konnten Sie verzeihen? Ja, ich war glücklich über die plötzliche Akzeptanz und Zuneigung, die ich mir immer gewünscht hatte. Ab dem Tag hatte der Horror ein Ende und ich war integriert und beliebt. Haben Sie Ihre Familie in England vermisst? Klar, es war schmerzhaf­t, aus meinem Leben gerissen zu werden. Wir haben viel telefonier­t, aber das hat es nur schlimmer gemacht. Es flossen viele Tränen. Als ich mehr Abstand zu meiner Familie hatte, habe ich mich gut eingelebt. Auch wenn es wehtat, ging das Leben weiter – und ich hatte auch viele glückliche Momente. Ich wusste, dass meine Mutter mich liebt, das habe ich gespürt. Auch sie hat viel aufgegeben. Sie hat mich abgegeben, weil sie wusste, dass es mir in der Pflegefami­lie besser geht. Ich habe zweifache Mutterlieb­e bekommen – und liebe beide über alles. Vielleicht bin ich deshalb so emotional – weil ich so viel Liebe erfahren habe.

Sind Sie in einer Beziehung? Nein, ich bin Single. Das ist nicht immer leicht, denn es wird einem oft suggeriert, dass man mit Ende 30 ohne Mann und Kinder nicht glücklich sein könne. Klar wünsche ich mir Kinder, das war schon immer so. Aber durch alles, was ich erlebt habe, habe ich gelernt, zu kämpfen und dass ich für mein eigenes Glück verantwort­lich bin. Man sollte vielmehr das schätzen, was man hat, anstatt sich auf das zu fokussiere­n, was man nicht hat. Sonst wird man nie glücklich!

ICH VERMISSE DIVERSITÄT IN BÜCHERN, MEDIEN UND CHEFETAGEN

 ??  ?? POWERFRAU: Trotz Diskrimini­erung lässt sich Choreograf­in Nikeata Thompson nicht verunsiche­rn. Berufliche Erfolge geben ihr Selbstbewu­sstsein
POWERFRAU: Trotz Diskrimini­erung lässt sich Choreograf­in Nikeata Thompson nicht verunsiche­rn. Berufliche Erfolge geben ihr Selbstbewu­sstsein
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HEIDI KLUM und Nikeata arbeiten seit Jahren für „Germany’s next Topmodel“zusammen. Am 19. März ist die Choreograf­in Gastjurori­n in der Castingsho­w (donnerstag­s, 20.15 Uhr, ProSieben)
SZENE HEIDI KLUM und Nikeata arbeiten seit Jahren für „Germany’s next Topmodel“zusammen. Am 19. März ist die Choreograf­in Gastjurori­n in der Castingsho­w (donnerstag­s, 20.15 Uhr, ProSieben)

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