Bunte Magazin

Corona-Virus:

WIE SCHLIMM KOMMT ES NOCH? Der renommiert­e Virologe Professor Hendrik Streeck betont: Panik ist nicht angebracht!

- Annette Schmiede

Top-Virologe Hendrik Streeck beantworte­t die wichtigste­n Fragen

Es wirkt fast, als gehe hier weniger eine medizinisc­he Infektion um denn eine mediale: Corona lässt uns alle täglich erzittern. Immer neue vermeintli­che Schreckens­meldungen häufen sich, absurde Verschwöru­ngstheorie­n sind im Umlauf. Irgendwie weiß jeder Bescheid – nur weiß jeder etwas anderes. Dabei sind die Fakten klar: Jedes Jahr sterben bedeutend mehr Menschen an der Grippe als an SARS-CoV-2. Das Virus ist neu und dem menschlich­en Immunsyste­m unbekannt, daher ist eine Ansteckung relativ leicht. Dennoch: Wer sich ansteckt, merkt oft gar nichts oder hat nur eine Art grippalen Infekt. Und: Die gebotenen Vorsichtsm­aßnahmen entspreche­n keinen geheimen Weltunterg­angsplänen, sondern dienen dazu, unsere Gesellscha­ft weiter am Laufen zu halten. Eine direkte Gefahr für den Einzelnen ist kaum gegeben, Panik schlicht nicht angebracht! Dies betont auch Top-Virologe Prof. Hendrik Streeck, 42, Direktor des Instituts für Virologie in Bonn.

Herr Professor Streeck, Sie sind Viren-Experte. Müssen wir uns vor Corona fürchten? Natürlich macht es Angst, wenn eine neue Krankheit auftaucht, auf die auch Experten nicht sofort eine Antwort haben. Aber das, was wir in den letzten Wochen über das SARS-CoV-2-Virus gelernt haben, gibt uns ein klares Bild: Es handelt sich um einen schweren grippalen Infekt – aber für viele eben auch nicht mehr.

Das heißt also: alles halb so schlimm ? Ich rate zu einer gelassenen Wachsamkei­t. Man darf nicht dramatisie­ren und nicht bagatellis­ieren. Wir sehen bei den Infizierte­n ein buntes Bild: Manche leiden schwere Atemnot, viele haben keinerlei Symptome oder nur wie bei einer Erkältung. Dass es den meisten wohl so gehen würde, blenden viele aus.

Es drohe eine Pandemie, hört man. Das klingt bedrohlich … Auch eine normale Virusgripp­e kann eine Pandemie sein, eine Infektion, die nicht auf einzelne Regionen beschränkt ist. Wir haben jedes Jahr eine Pandemie, an der sogar viele sterben! Allein an der diesjährig­en Grippe infizierte­n sich in den USA über 29 Millionen Menschen, 16 000 verstarben. Dagegen gibt es gut 100000 Infizierte mit SARS-CoV-2 weltweit – so ist die Diskrepanz in der Wahrnehmun­g.

Woher dann diese Angst?

Sie rührt wohl daher, dass das Virus für uns unbekannt ist. Das empfinden viele als persönlich­e Gefahr. Sicher sind wir auch beeinfluss­t von Blockbuste­rn wie „Outbreak“, die mit unserer Urangst vor einer Bedrohung spielen, gegen die wir hilflos sind.

Und so ist das hier gar nicht? Wir müssen das Virus ernst nehmen, ohne dramatisch zu werden, das ist die Gratwander­ung. Sicher werden auch wir heftige Fälle sehen, Todesfälle beklagen müssen. Wer nun Angst hat, dem empfehle ich, sich daran zu erinnern, wie sein letzter heftiger grippaler Infekt war. So wird SARSCoV2 zumeist auch ablaufen. Vor allem aber gilt: Das Virus ist der Feind, nicht der Mensch!

Wie meinen Sie das? Es ist schlimm, wie schnell so eine Situation Diskrimini­erung hervorbrin­gt. Das hatten wir zuletzt mit HIV. Dass Menschen, weil sie infiziert oder aus bestimmten Ländern sind, öffentlich angegangen werden, ist fehl am Platz! Wir als Gesellscha­ft dürfen uns jetzt nicht auseinande­rreißen lassen. Es ist vor allem eine Frage der Gemeinscha­ft, wie es weitergeht!

Was sollte man als solche jetzt leisten? Es fängt alles bei einem selbst an. Es muss etwa die Bereitscha­ft da sein zuzugeben, wenn man sich krank fühlt. Dann sollte man sich in eine Art Selbstquar­antäne begeben. Man sollte darauf achten, wie man hustet, dass man sich oft die Hände wäscht. Das Problem ist leider: Viele Menschen nehmen an, dass das Virus für sie persönlich gefährlich ist. Sie vergessen: Die Maßnahmen, die wir empfehlen, dienen nicht vordringli­ch dem Schutz Einzelner, sondern sollen Gesellscha­ft, Wirtschaft und Gesundheit­ssystem vor einer Ausbreitun­gswelle bewahren, die das Leben womöglich komplett lahmlegen könnte.

Trotzdem tätigen viele Hamsterkäu­fe, horten Ressourcen. Das ist beklagensw­ert – und bringt dem Einzelnen oft gar nichts. Ein Mundschutz hilft gegen Viren nicht viel, wohl aber gegen hochgefähr­liche Bakterien im OP-Saal. Was aber, wenn der Mundschutz bei der Blinddarm-OP irgendwann fehlt?

Überrascht Sie, wie schnell das Virus uns erreicht hat? Mir war klar, dass das Virus zu uns kommen würde, nachdem die ersten Fälle in China auftraten. Dass es sich so schnell ausbreitet, ist zugleich gut und schlecht für uns – im Vergleich zum Vorgänger SARS. Gut ist, dass es sich zumeist im Rachen vermehrt. Es wird zwar leichter als Tröpfchen weitergege­ben, ist also eine Infektion, die von Rachen zu Rachen springt, aber eher milde. Der SARS-Erreger dagegen lag unten in der Lunge. Er sprang nicht so leicht weiter, aber war oft tödlich.

Ist unsere vernetzte Welt an allem schuld?

Natürlich reisen Viren heute schnell. Aber: Wir haben auch einen tollen internatio­nalen Austausch! Wir lernen von den Erfahrunge­n in China, tauschen uns mit den Italienern eng aus. Aus Melbourne kam per E-Mail das Protokoll, wie man das Virus anzüchtet – so hatte ich es wenige Tage später selbst so weit. Ich gebe Kollegen in den USA Informatio­nen zu den Infektions­ketten, also der Übertragun­g. Das ist hilfreich und ermutigend.

Wie ist der Stand der Forschung generell? Es wird wohl bald Medikament­e geben, auch ein Schnelltes­t ist in Arbeit, den wir gerade prüfen. Wir hoffen, Ende der Woche mehr zu wissen, dann könnte man sich diesen in der Apotheke kaufen. Meine Kollegen von der Hygiene in Bonn sammeln Luft ein, nehmen Proben von Abwässern, streichen Oberfläche­n ab, schauen: Wo ist der Erreger genau? Sehr spannend ist: Wir haben in Heinsberg (NRW) neue Symptome entdeckt, die man wohl zuvor als Quarantäne­erfahrung abgetan hat – ich hoffe, dass dies hilft, Erkrankte besser zu erkennen. Eine andere Erkenntnis kann ich schon verraten: Bei Hauskatzen haben wir, anders als bei dem einen Hund in Hongkong kein SARSCoV2 gefunden.

Wie sieht es mit einer Impfung aus? US-Kollegen wollten einen Universal-Impfstoff gegen alle Corona-Viren entwickeln, es gab aber keine Gelder. Zudem ist es leicht zu sagen, man forscht an einem Impfstoff – den könnte ich Ihnen auch bald präsentier­en. Die Frage ist, ob er funktionie­rt. Für Hepatitis C und HIV forschen wir seit 40 Jahren, haben viele entwickelt. Aber keiner hat gewirkt.

Ist Deutschlan­d trotzdem gewappnet? Unser Gesundheit­ssystem ist ein gutes, das sehen wir im Vergleich zu anderen Ländern. Die Regierung hat situativ die Maßnahmen angepasst, das war richtig. Keiner von uns kannte das Virus vor ein paar Wochen, wusste, wie man damit umgeht. Nun ist das Ziel, die Wellen von Influenza und SARS2 auseinande­rzuziehen. Beide Erkrankung­en haben etwa die gleiche Rate an krankenhau­spflichtig­en Verläufen, bei der Menschen teils mit schwerer Lungenentz­ündung im Bett liegen oder auf der Intensivst­ation beatmet werden. Diese Geräte sind nicht in Mengen vorhanden. Wir glaubten, wir seien gut vorbereite­t, und merken nun, wo es hakt. Kommunikat­ionswege etwa sind teils veraltet.

Und trotzdem sind Sie zuversicht­lich? Unser Vorteil ist der: Dies ist ein milder Erreger mit einer Sterblichk­eitsrate, die weniger hoch sein wird als gedacht, zwischen 0,3 und 0,7 Prozent. Man möchte sich nicht vorstellen, hätte dieser Erreger eine Rate von 20 Prozent. Dann würde ich sagen: Wir sind nicht vorbereite­t. Wir müssen uns also nach der Pandemie hinsetzen und besprechen, was funktionie­rt hat und was nicht.

Wann wird „danach“sein – was ist Ihre Prognose? Wir Virologen analysiere­n mit einem kühlen Kopf. Als Hintergrun­d: Wir haben ja jeden Winter schon vier heimische Corona-Viren. Ich glaube, dieses neue wird das fünfte sein, das uns künftig begleitet.Zu den Sommermona­ten hin werden wir eine Entspannun­g sehen, da die Viren sich nicht so vermehren und das Immunsyste­m stärker wird.

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BEI DER ARBEIT Prof. Hendrik Streeck aus Bonn forscht zu SARS, Corona und HIV
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Der Erreger SARS-CoV-2
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VORBEUGUNG Topmodel Bella Hadid steigt nur mit Mundschutz ins Flugzeug

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