‚PRETTY WOMAN‘
ICH HABE GELIEBT. HEUTE LEHNE ICH DEN FILM AB
Der „Tatort: National feminin“, der am 26. April ausgestrahlt wird, ist ein hervorragendes Beispiel, weil er eine ganze Reihe von sehr ambivalenten Frauenfiguren zeigt, die, neben Florence und mir, von Emilia Schüle und Jenny Schily verkörpert werden. Den Bechdel-Test würden wir aber auch schon beim nächsten „Tatort“bestehen.
Was wird da getestet? Drei Fragen: Gibt es mindestens zwei Frauen im Film, die auch Namen haben? Sprechen sie miteinander? Sprechen Sie über etwas anderes als Männer? Die amerikanische Comic-Zeichnerin Alison Bechdel hat diesen Test erfunden, und als vor ein paar Jahren der deutsche Film daraufhin abgeklopft wurde, fielen ein Großteil der Produktionen durch.
Wie ist das zu erklären? Wir sind alle geprägt von den Bildern, mit denen wir groß geworden sind. Diese Gewohnheitsmuster müssen wir aufbrechen. Ich habe neulich noch mal „Pretty Woman“gesehen und konnte es schier nicht mehr anschauen. Die Zeiten haben sich wirklich geändert. Und damit auch unsere Wahrnehmung, oder war es umgekehrt?
Was stört Sie an „Pretty Woman“? Die Figur, die Julia Roberts da spielt, ist aus heutiger Sicht mehr als stereotyp. Die erste Untersuchung zu Geschlechtervielfalt in Film und Fernsehen stammt aus den 70ern und kam zu dem Ergebnis: Männer handeln, Frauen kommen vor. Seither hat sich einiges geändert, aber immer noch ist die Hauptaufgabe vieler Frauenfiguren im Film, Mr Right zu finden. Damit haben sie eigentlich ihr Lebensziel erfüllt. Man muss sich klarmachen: Da kommen wir her.
War „Pretty Woman“nicht vor 30 Jahren schon ein eher alt‑ modisches Märchen? Wissen Sie, ein Genre ist ja kein Freifahrschein. Dass irgendwann der Prince Charming auf dem Schimmel kommt und die hübsche Bordsteinschwalbe retten wird, ist weniger Märchen als pubertäre Fantasie. Dieses Narrativ habe allerdings auch ich seinerzeit nicht eine Sekunde infrage gestellt. Ich habe mir auch keine Gedanken gemacht über eine Sendung wie „Der 7. Sinn“, die Frauen als restlos unfähig darstellte, ein Auto zu fahren, oder über die Art, wie Frauen im Film eingeführt wurden: von hinten über die Schuhe, über die Beine, über den Rock nach oben. Ich muss mich von dieser Selbstverständlichkeit des Porträtierens von Frauen, wie sie sich verhalten, wer sie sind, was sie sich wünschen, was ihre Ziele sind, lösen. Das ist ein unglaublich zäher Prozess und das passiert nicht über Nacht, auch in mir nicht.
Werden Frauen heute noch so altbacken dargestellt? Die Idee, dass es die Aufgabe der Frau sei, die richtige Partie zu finden, verfolgen auch heute noch unzählige Filme. Da ist die Frau etwa erfolgreiche Anwältin, aber dann lernt sie auf einer
Insel den Robbenfischer kennen und lässt alles stehen und liegen. Weil Arbeiten die Frau ja eigentlich unglücklich macht und nur der Mann sie zur endgültigen Bestimmung führen kann. Oft sehen wir auch: Wenn die Frau beruflich erfolgreich ist, dann ist sie notgedrungen unglücklich in der Liebe. Beides können wir offensichtlich nicht.
Bestimmen Gewohnheiten nicht unser ganzes Leben? Es ist für mich eine Anstrengung, mir die eigenen Vorurteile tagtäglich bewusst zu machen und ihnen etwas entgegenzusetzen. Ich weiß zum Beispiel, dass ich mir mit meinen Entscheidungen oft selber im Weg stehe, weil ich mir bestimmte Dinge zunächst nicht zutraue.
Was wäre etwas, das Sie sich nicht zutrauen? Ich habe seit einigen Jahren eine Produktionsfirma und wollte schon sehr lange Filme produzieren, aber ich habe nicht an mich geglaubt. Da spielen mein Charakter und eine gewisse Grundzögerlichkeit eine Rolle, aber verantwortlich dafür ist sicherlich auch, als Mädchen und Frau groß geworden zu sein. Und eben nicht mit der Jungsmaxime: Komm, mach das, auch wenn du hinfällst, aufstehen, weitermachen! Das sind nicht die Dinge, die ich gelernt habe, ganz bestimmt nicht. Deshalb hat es mich vielleicht mehr Zeit und Kraft gekostet, so einen Schritt zu gehen.
Sind Sie empfänglich für Verschwörungs‑ theorien? Sensationell wenig.
Der nächste „Tatort“erzählt von einer Technologie, mit der man Gedanken kontrollieren kann. Als ich das Drehbuch gelesen habe, habe ich mir gesagt: „Hä? Moment mal!“Im Gespräch mit dem Drehbuchautor Christian Jeltsch sind mir dann aber die Augen aufgegangen und ich habe mir gedacht: „Wow, das gibt’s ja alles schon!“Wir sind ganz nah dran an dem, was Forscher prognostizieren. Ich mag das, wenn ein Krimi nicht nur spannend ist, sondern die Leute ein bisschen angeritzt werden und sie sich sagen: „Da würde ich gerne noch ein bisschen tiefer gehen.“
Hinter der Verschwörung steckt neben Männern auch eine Frau. Ist das im Sinne des gendersensiblen Erzählens? Absolut. Ich freue mich über jede ambivalente Frauenfigur. Wir müssen wegkommen von dem Irrglauben, dass junge und vielleicht auch noch attraktive Frauen zu nichts Bösem in der Lage sind. Wohin das führen kann, hat man bei den NSU-Morden im Fall von Frau Zschäpe beobachten können. Viel zu lange hat man ihr die Taten nicht zugetraut.