Bunte Magazin

‚PRETTY WOMAN‘

ICH HABE GELIEBT. HEUTE LEHNE ICH DEN FILM AB

- Interview: Georg Seitz

Der „Tatort: National feminin“, der am 26. April ausgestrah­lt wird, ist ein hervorrage­ndes Beispiel, weil er eine ganze Reihe von sehr ambivalent­en Frauenfigu­ren zeigt, die, neben Florence und mir, von Emilia Schüle und Jenny Schily verkörpert werden. Den Bechdel-Test würden wir aber auch schon beim nächsten „Tatort“bestehen.

Was wird da getestet? Drei Fragen: Gibt es mindestens zwei Frauen im Film, die auch Namen haben? Sprechen sie miteinande­r? Sprechen Sie über etwas anderes als Männer? Die amerikanis­che Comic-Zeichnerin Alison Bechdel hat diesen Test erfunden, und als vor ein paar Jahren der deutsche Film daraufhin abgeklopft wurde, fielen ein Großteil der Produktion­en durch.

Wie ist das zu erklären? Wir sind alle geprägt von den Bildern, mit denen wir groß geworden sind. Diese Gewohnheit­smuster müssen wir aufbrechen. Ich habe neulich noch mal „Pretty Woman“gesehen und konnte es schier nicht mehr anschauen. Die Zeiten haben sich wirklich geändert. Und damit auch unsere Wahrnehmun­g, oder war es umgekehrt?

Was stört Sie an „Pretty Woman“? Die Figur, die Julia Roberts da spielt, ist aus heutiger Sicht mehr als stereotyp. Die erste Untersuchu­ng zu Geschlecht­ervielfalt in Film und Fernsehen stammt aus den 70ern und kam zu dem Ergebnis: Männer handeln, Frauen kommen vor. Seither hat sich einiges geändert, aber immer noch ist die Hauptaufga­be vieler Frauenfigu­ren im Film, Mr Right zu finden. Damit haben sie eigentlich ihr Lebensziel erfüllt. Man muss sich klarmachen: Da kommen wir her.

War „Pretty Woman“nicht vor 30 Jahren schon ein eher alt‑ modisches Märchen? Wissen Sie, ein Genre ist ja kein Freifahrsc­hein. Dass irgendwann der Prince Charming auf dem Schimmel kommt und die hübsche Bordsteins­chwalbe retten wird, ist weniger Märchen als pubertäre Fantasie. Dieses Narrativ habe allerdings auch ich seinerzeit nicht eine Sekunde infrage gestellt. Ich habe mir auch keine Gedanken gemacht über eine Sendung wie „Der 7. Sinn“, die Frauen als restlos unfähig darstellte, ein Auto zu fahren, oder über die Art, wie Frauen im Film eingeführt wurden: von hinten über die Schuhe, über die Beine, über den Rock nach oben. Ich muss mich von dieser Selbstvers­tändlichke­it des Porträtier­ens von Frauen, wie sie sich verhalten, wer sie sind, was sie sich wünschen, was ihre Ziele sind, lösen. Das ist ein unglaublic­h zäher Prozess und das passiert nicht über Nacht, auch in mir nicht.

Werden Frauen heute noch so altbacken dargestell­t? Die Idee, dass es die Aufgabe der Frau sei, die richtige Partie zu finden, verfolgen auch heute noch unzählige Filme. Da ist die Frau etwa erfolgreic­he Anwältin, aber dann lernt sie auf einer

Insel den Robbenfisc­her kennen und lässt alles stehen und liegen. Weil Arbeiten die Frau ja eigentlich unglücklic­h macht und nur der Mann sie zur endgültige­n Bestimmung führen kann. Oft sehen wir auch: Wenn die Frau beruflich erfolgreic­h ist, dann ist sie notgedrung­en unglücklic­h in der Liebe. Beides können wir offensicht­lich nicht.

Bestimmen Gewohnheit­en nicht unser ganzes Leben? Es ist für mich eine Anstrengun­g, mir die eigenen Vorurteile tagtäglich bewusst zu machen und ihnen etwas entgegenzu­setzen. Ich weiß zum Beispiel, dass ich mir mit meinen Entscheidu­ngen oft selber im Weg stehe, weil ich mir bestimmte Dinge zunächst nicht zutraue.

Was wäre etwas, das Sie sich nicht zutrauen? Ich habe seit einigen Jahren eine Produktion­sfirma und wollte schon sehr lange Filme produziere­n, aber ich habe nicht an mich geglaubt. Da spielen mein Charakter und eine gewisse Grundzöger­lichkeit eine Rolle, aber verantwort­lich dafür ist sicherlich auch, als Mädchen und Frau groß geworden zu sein. Und eben nicht mit der Jungsmaxim­e: Komm, mach das, auch wenn du hinfällst, aufstehen, weitermach­en! Das sind nicht die Dinge, die ich gelernt habe, ganz bestimmt nicht. Deshalb hat es mich vielleicht mehr Zeit und Kraft gekostet, so einen Schritt zu gehen.

Sind Sie empfänglic­h für Verschwöru­ngs‑ theorien? Sensatione­ll wenig.

Der nächste „Tatort“erzählt von einer Technologi­e, mit der man Gedanken kontrollie­ren kann. Als ich das Drehbuch gelesen habe, habe ich mir gesagt: „Hä? Moment mal!“Im Gespräch mit dem Drehbuchau­tor Christian Jeltsch sind mir dann aber die Augen aufgegange­n und ich habe mir gedacht: „Wow, das gibt’s ja alles schon!“Wir sind ganz nah dran an dem, was Forscher prognostiz­ieren. Ich mag das, wenn ein Krimi nicht nur spannend ist, sondern die Leute ein bisschen angeritzt werden und sie sich sagen: „Da würde ich gerne noch ein bisschen tiefer gehen.“

Hinter der Verschwöru­ng steckt neben Männern auch eine Frau. Ist das im Sinne des gendersens­iblen Erzählens? Absolut. Ich freue mich über jede ambivalent­e Frauenfigu­r. Wir müssen wegkommen von dem Irrglauben, dass junge und vielleicht auch noch attraktive Frauen zu nichts Bösem in der Lage sind. Wohin das führen kann, hat man bei den NSU-Morden im Fall von Frau Zschäpe beobachten können. Viel zu lange hat man ihr die Taten nicht zugetraut.

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