Egal, was die anderen sagen
Mehr als wir zugeben, machen wir unser Denken, Fühlen und Handeln von der Beurteilung Dritter abhängig. Diese innere Haltung erfährt durch die sozialen Medien eine nie gekannte Dynamik. Userinnen und User von Instagram & Co. setzen sich freiwillig dem Urteil einer anonymen Masse aus. Wer gut oder interessant aussieht, wird gelobt, neudeutsch: „gelikt“.
Wer beim virtuellen „Publikum“durchfällt, wird gnadenlos kritisiert. Nie war das Äußere wichtiger als heute. In dieser diffusen Sehnsucht nach Anerkennung greifen viele auf technische Hilfsmittel zurück. Spezielle Filter zaubern Bäuchlein und Falten weg, lassen kleine und große äußerliche Makel verschwinden und Gesichter schmaler erscheinen. Zum Vorschein
kommt eine uniforme Hülle. Eine Hülle, die mit dem Menschen dahinter nichts mehr zu tun hat. Eine Hülle, die um so schmerzlicher wahrgenommen wird, wenn man einen ehrlichen Blick in den Spiegel wirft.
Dieser Trend und seine Folgen beschäftigt zunehmend Mediziner und Psychologen. „Das sogenannte ‚Bodyshaming‘, also sich wegen seines Körpers zu schämen, führt zu seelischen Schäden“, erklärt die Münchner Psychotherapeutin Lisa Pecho, „weil die Gefahr besteht, dass mein Innerstes ein Stück weit verhungert, wenn ich mich so im Äußeren verorte.“Die Leipziger Professorin Anja Hilbert rät zu mehr Selbstwertgefühl und Körperakzeptanz: „Nur Selbstliebe ist das, worauf wir unser Leben aufbauen. Dieses Fundament muss fest sein, sonst wird alles, was darauf steht, porös und zerbricht. Man darf seinen Körper nicht auf etwas reduzieren. Weder auf schön noch auf hässlich. Sondern man muss gezielt seine eigenen Stärken erkennen und ihnen Raum geben.“
Natürlich sollen wir uns stylen, wenn wir zu einem Rendezvous gehen oder ins Büro fahren. Natürlich dürfen wir den ganzen Tag zu Hause im Jogginganzug relaxen. Es kommt darauf an, dass wir uns in unserer eigenen Haut wohlfühlen, mit uns selbst im Reinen sind. Jeder Mensch ist schön. Und jeder Mensch hat seine kleinen Makel. Doch wen stören diese denn wirklich? Niemanden, dem wir wichtig sind. Und schon gar nicht stören sie den Menschen, der uns liebt.
Das Selbst ist ein Meer ohne Grenzen und Maß.