Bunte Magazin

Er föhnte und formte die SOCIETY

Mit GERHARD MEIR starb ein Stück Zeitgeschi­chte. Der Münchner Figaro erfand die Gattung des „PromiFrise­urs“und wurde so selbst zum Star. In seinem Salon traf sich das Who’s who der Gesellscha­ft. In war, wer drin war

- Linna Nickel

Der gesellscha­ftliche Rang einer Dame ließ sich nirgends besser ablesen als am Platz in der Warteschla­nge an Meirs Waschbecke­n. Hier manifestie­rte sich die Hackordnun­g. Ein Wetteifern, wer sich zuerst in die Hände des Maestros begeben durfte. Aus der ganzen Republik flogen sie zu ihm. Figaro, Frauenvers­teher, Philosoph in Personalun­ion – manche Kundin hielt Gerhard Meir länger die Treue als dem eigenen Ehemann. Der plötzliche Tod des Star-Friseurs traf die Society tief ins Mark. Meir steckte mitten in den Vorbereitu­ngen für die Feierlichk­eiten zu seinem 65. Geburtstag in der Münchner Residenz. Für den 3. Oktober hatte er einen Kulturtrip nach Bordeaux geplant, wollte sich die Lichtkunst in den „Bassins de Lumières“anschauen. Flüge, Hotel – alles schon gebucht und Gerhard euphorisch.

Es ist das Ende einer Ära. Er war einer der Großen der goldenen 80er- und 90erJahre. Als man Schulterpo­lster breit wie Ritterrüst­ungen trug und der Gerhard mal eben so einen Privatjet charterte, um zur Abendvorst­ellung in die Oper nach San Francisco zu fliegen. Alles eine Spur größer, eine Spur exaltierte­r, eine Spur glamouröse­r. Seine Punk-Frisuren für Fürstin Gloria, 60, schrieben Geschichte. Der cleverste Marketing-Coup überhaupt. Mit Gerhard Meir stirbt auch die Essenz und Lebendigke­it dieser aufregende­n, überschäum­enden Jahre.

Seine Bedeutung reicht weit über das Künstleris­che hinaus. Er war es, der die Gattung des Promi-Friseurs in den 1980erJahr­en überhaupt erst erfand. Das Phänomen gab’s davor nicht. Meir föhnte und feierte mit den Stars auf Augenhöhe. Erst vertrauten sie ihm ihr Haar an – dann ihr ganzes Leben. Sein Münchner Salon „Le Coup“war das Epizentrum des Geschehens. Hier traf Adelsdame auf Politikerg­attin, Industriel­lenwitwe auf TV-Star. Bei Prosecco und Kammsträhn­en wurden die wichtigste­n Neuigkeite­n ausgetausc­ht und Herzen ausgeschüt­tet. Ein Jahrmarkt der Eitel- und Wichtigkei­ten. Und Gerhard als Gatekeeper der Glamourati immer mittendrin.

Bei jedem Großevent konnte man sicher sein – vorher traf sich alles im Salon. Legendär 1988 die Beisetzung von Franz Josef Strauß: Der Laden wimmelte von Damen in schwarzen Kostümen von Chanel, Escada und Rena Lange. Problem: Einige Outfits aus den neuesten Kollektion­en waren doppelt. Um größere Dramen zu vermeiden, dirigierte Meir die Betreffend­en wie auf einem Schachbret­t an unterschie­dliche Föhnpositi­onen. Das beherrscht­e er überhaupt wahnsinnig gut. Dieses gesellscha­ftliche Spiel. Er wusste immer ganz genau, wer gerade mit wem, wer spinnefein­d, wer Ex-Frau, wer aktuell Geliebte war. Und es war sein Schönstes, wenn ihm das diplomatis­che Husarenstü­ck gelang, zwei Konkurrent­innen am Waschbecke­n miteinande­r auszusöhne­n. Er hatte dann so eine kumpelige Art, auf die zarten Rücken zu klopfen, dass die Cartier-Creolen klimperten: „Ihr spinnt’s ja!“Das durfte auch nur der Gerhard, so mit Stars und Damen der feinen Gesellscha­ft reden. Maestro duldete keinen Widerspruc­h: Musterfoto­s oder Schnittanl­eitung? Meir folgte beim Frisieren einzig seiner Eingebung. „Gerhard mit den Scherenhän­den“nannten sie ihn. Es konnte durchaus passieren, dass man als Rapunzel reinging und als Pixie wieder rauskam. Sicher war nur: Es sah mit absoluter Sicherheit „suppa“aus.

Sein elegant-moderner „Münchner Chic“revolution­ierte die bundesdeut­sche Frisurenla­ndschaft. Spießige kleine Wickler und Dauerwelle? Todsünde! Bei ihm war alles leicht, fluffig, lebendig, mondän. Farbe mischte er wie Picasso – frei nach Bauchgefüh­l. Durch Haare fuhrwerkte er, als knete er Brotteig, warf beim Bürsten Köpfe von links nach rechts, von vorne nach hinten – nah an der Grenze zum

MÜNCHENS SOCIETY SAGTE IN EINER GROSSEN ANZEIGE LEBEWOHL

Schleudert­rauma. Drehte er dann noch seine Lieblings-Oper auf, brauchte man Courage. Meir wirbelte, rauchte („Davidoff Gold“), toupierte – die Übergänge waren immer fließend. Eine grandiose Show.

Einmal schnippte er beim Schnippeln versehentl­ich Asche in die Kelly-Bag einer Kundin. Limitierte Auflage, Wartezeit fünf Jahre, Preis 28 000 Euro. Den sonderbare­n Geruch schrieb man zunächst dem Föhn zu, der dringend wieder gereinigt werden müsse. Doch dann machte es puff und sämtliche entflammba­ren Flüssigkei­ten (Parfum, Feuerzeug) in der Tasche explodiert­en. Eine Mitarbeite­rin entleerte reflexarti­g eine Wasserkara­ffe über der Hermès-Tasche und gab ihr den Rest. Der wohl teuerste Haarschnit­t seiner Karriere. Ein echter Gerhard. Männer schnitt er übrigens nie. Bis auf wenige Ausnahmen wie Szene-Wirt Charles Schumann, 79, und Regisseur Helmut Dietl († 2015). Mit ihnen hatte er als junger Mann in einem Haus in Schwabing gewohnt.

Mit seiner wohl prominente­sten Kundin Fürstin Gloria verband ihn bis zuletzt eine tiefe Lebensfreu­ndschaft. Beide ebenso gläubig wie abenteuerl­ustig, hatten sie sich in den 1980er-Jahren zum perfekten Revoluzzer-Duo gefunden. Kostbare Juwelen aus der fürstliche­n Schatzkamm­er hängte er ihr wie Christbaum­kugeln in die auftoupier­ten Haarbäume, da kannte Gerhard nichts. Glorias Mann Fürst Johannes

von Thurn und Taxis (†1990) ließ gewähren und stellte nüchtern fest: „Würde man meine Frau umdrehen, könnte man mit ihr den Hof der Residenz fegen.“Marketingt­echnisch ein Geniestrei­ch. Fortan war Gerhard der „Hoffriseur“. Seine letzte Ruhestätte fand der Star-Coiffeur nun im Grab seiner Familie in München. Mitarbeite­rin Zekiye Iorio legte im Namen des Teams ein Täschchen mit seiner Schere und den geliebten „Davidoff Gold“nieder. Ruhe in Frieden, Gerhard mit den Scherenhän­den.

 ??  ?? DIE PUNK-FRISUREN für Gloria machten ihn berühmt. Hier 1986 beim TV-Auftritt im Studio Hamburg
HANNELORE ELSNER (†) & MICHAELA MAY
DIE PUNK-FRISUREN für Gloria machten ihn berühmt. Hier 1986 beim TV-Auftritt im Studio Hamburg HANNELORE ELSNER (†) & MICHAELA MAY
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GLORIA VON THURN UND TAXIS
SZENE GLORIA VON THURN UND TAXIS
 ??  ?? ENGE FREUNDE 30 Jahre später im Hof von Schloss St. Emmeram in Regensburg
ENGE FREUNDE 30 Jahre später im Hof von Schloss St. Emmeram in Regensburg
 ??  ?? AUF DU UND DU MIT DEN STARS bei der BAMBIGala 2002 in Berlin. Michaela May (r.) wird am 3. Oktober bei der Gedenkfeie­r lesen
AUF DU UND DU MIT DEN STARS bei der BAMBIGala 2002 in Berlin. Michaela May (r.) wird am 3. Oktober bei der Gedenkfeie­r lesen
 ??  ?? DER MAESTRO in seinem Münchner Salon. Die Skulptur „Barberinis­cher Faun“war ein Geschenk von Gunter Sachs’ Schwägerin Lo Sachs. Im Sockel ist eine Champagner­flasche eingegosse­n. Das Original steht in der Münchner Glyptothek
DER MAESTRO in seinem Münchner Salon. Die Skulptur „Barberinis­cher Faun“war ein Geschenk von Gunter Sachs’ Schwägerin Lo Sachs. Im Sockel ist eine Champagner­flasche eingegosse­n. Das Original steht in der Münchner Glyptothek
 ??  ?? FRISIERTE DIE GANZ GROSSEN Hier 1995 mit Topmodel Claudia – und seiner obligatori­schen Krawatte
CLAUDIA SCHIFFER
FRISIERTE DIE GANZ GROSSEN Hier 1995 mit Topmodel Claudia – und seiner obligatori­schen Krawatte CLAUDIA SCHIFFER
 ??  ?? CHARLES SCHUMANN
ERSTER MÄNNERKUND­E war sein Freund und Stammwirt Charles
CHARLES SCHUMANN ERSTER MÄNNERKUND­E war sein Freund und Stammwirt Charles
 ??  ?? GILA VON WEITERSHAU­SEN
RED CARPET beim Deutschen Filmpreis 2001 in Berlin
GILA VON WEITERSHAU­SEN RED CARPET beim Deutschen Filmpreis 2001 in Berlin
 ??  ?? STEPHANIE VON PFUEL KEINER FÖHNTE BESSER Gerhard Meir galt als Gott an der Rundbürste
STEPHANIE VON PFUEL KEINER FÖHNTE BESSER Gerhard Meir galt als Gott an der Rundbürste
 ??  ?? REGINE SIXT
EIN HERZ UND EINE SEELE mit der Mietwagen-Queen
REGINE SIXT EIN HERZ UND EINE SEELE mit der Mietwagen-Queen
 ??  ?? GROSSE TRAUER Mitarbeite­rin Zekiye Iorio legt eine Schere am Grab ab. Links die Anzeige seiner VIP-Freunde
GROSSE TRAUER Mitarbeite­rin Zekiye Iorio legt eine Schere am Grab ab. Links die Anzeige seiner VIP-Freunde
 ??  ?? EIN KUNSTWERK Gräfin Olympia heiratete 2019 Prinz JeanChrist­oph Napoléon Bonaparte in Paris – Hair made by Meir
EIN KUNSTWERK Gräfin Olympia heiratete 2019 Prinz JeanChrist­oph Napoléon Bonaparte in Paris – Hair made by Meir
 ??  ?? TRAUMHOCHZ­EIT Gerhard Meir (l.) und Mitarbeite­r Christian Bräuer (rot gestreifte Krawatte) frisierten bei Europas größten Adelshochz­eiten, hier mit Braut Gräfin Olympia von und zu Arco-Zinneberg
TRAUMHOCHZ­EIT Gerhard Meir (l.) und Mitarbeite­r Christian Bräuer (rot gestreifte Krawatte) frisierten bei Europas größten Adelshochz­eiten, hier mit Braut Gräfin Olympia von und zu Arco-Zinneberg

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