Helmut Zierl: Die Drogenbeichte des TV-Stars
HELMUT ZIERL arbeitete in einem Buch das persönlichste Kapitel seines Lebens auf: Nach dem Rausschmiss aus der Schule und von zu Hause lebte der TV-Star als Teenager drei Monate auf der Straße und nahm harte Drogen
Seit inzwischen 32 Jahren lebt Helmut Zierl, 65, in seinem Heimatdorf Lütjensee bei Hamburg. „Ich kann mir nicht vorstellen, hier jemals wieder wegzugehen“, sagt der Schauspieler über den Ort, aus dem er mit 16 allerdings einfach nur wegwollte. „Weil ich es so beengend und spießig fand“, wie er beim Treffen mit BUNTE in seiner Heimat sagt. Nach dem Rausschmiss aus der Schule und seinem Elternhaus trampte er, lebte auf der Straße, schlief unter Brücken und in Parks. Diese Reise seines Lebens beschreibt er nun in seinem Buch „Follow the Sun“. Zehn Jahre brauchte er für die Aufarbeitung seiner teils einschlägigen Erlebnisse, über die er jetzt erstmals offen spricht.
Sie beschreiben in „Follow the Sun“drei Monate, die Ihre Persönlichkeitsentwicklung sehr beeinflusst haben. Von Ihrem Vater wurden Sie zu Hause rausgeschmissen … Es war brutal, als mein Vater mich vor die Tür gesetzt hat. Heute weiß ich sicher: Es war im Affekt passiert. Er war ein verantwortungsvoller Polizeibeamter, er wusste, dass man einen 16-Jährigen nicht auf die Straße setzen kann. Aber er hatte gerade den Anruf des Schuldirektors bekommen, dass ich der Schule verwiesen wurde. Meine Mutter heulte, er wollte sie schützen, ich war renitent und trotzig – da rief er nur: „Mach, dass du rauskommst!“Ich packte meinen Rucksack, 20 Minuten später war ich auf der Straße und von da an dann drei Monate lang.
Sie haben zehn Jahre gebraucht, um das Buch zu schrei‑ ben – warum hat es so lange gedauert? Ich musste es beim Schreiben immer wieder weglegen, weil die Vergangenheit so schmerzte. Es ging mir zu nah. Ich wollte es auch erst gar nicht für die Öffentlichkeit schreiben. Aber für mich hatte ich mit Mitte 50 begriffen, dass ich diese Phase meines Lebens noch mal aufarbeiten muss. Solange mein Langzeitgedächtnis noch so gut ist. Ich musste wieder in diese schwere Zeit, diese tiefe Pubertät, eintauchen und mich darauf einlassen. Es gab sehr tragische Liebesgeschichten…
Und zwar? Die eine endete mit Selbstmord. Wohlgemerkt, nachdem wir schon getrennt waren. All diese Erinnerung wieder hochzuholen, war wirklich sehr schmerzhaft für mich. Ich hatte oft Tränen in den Augen. Es tat so weh, mich zurückzufinden, dass ich die Seiten mittendrin manchmal jahrelang weggelegt habe.
Warum kam es mit Mitte 50 wieder hoch? Es hat mich ein Leben lang begleitet, aber in all meinen langjährigen Beziehungen fragte nie mal jemand, wie es auf dieser Tramptour war. Egal ob in der Ehe mit Christine Zierl oder in der Partnerschaft mit Saskia Valencia: Es wurde von beiden nie wirklich ernst genommen. Und ich hatte bis dahin diese Zeit in mir vergraben. Als ich Sabrina kennenlernte, wir sind jetzt acht Jahre zusammen, hatte ich schon 30 bis 40 Seiten geschrieben – und sie war tatsächlich die Erste, die es unbedingt lesen wollte. Und die auch nachfragte, also Interesse hatte.
Was war mit Abstand die härteste Erfahrung?
Ich habe sehr viele Drogen genommen, viel mit LSD, Speed oder Mescalin herumexperimentiert. Haschischrauchen war dagegen schon normal. Während dieser Zeit lebte ich einige Wochen in Amsterdam in einer Junkie-WG. Weil eines der Mädchen, das ich auf der Reise kennengelernt und in einer heiklen Situation beschützt hatte, mich dorthin mitnahm. Weil ich einen Platz zum Schlafen brauchte. Sie war heroinabhängig, ihr Kumpel wollte mich überreden zu fixen. Nicht, um mich süchtig zu machen, sondern, um sich als Junkie zu legitimieren. Er war schon so weit, mir die Nadel zu setzen…
Was hat Sie – Gott sei Dank – abgehalten? Ich nenne es Restmoral. Ich sah, wie sich schon meine Haut wölbte. Im letzten Moment zuckte ich zurück. Ich hatte davor auf meiner Reise so viele Menschen kennengelernt, die drück
ICH HABE VIEL MIT LSD, SPEED ODER MESCALIN HERUMEXPERIMENTIERT
ten und sich wegballerten. Das war es, was mich am Ende abgeschreckt hat.
Können Sie Ihre Angst konkretisieren? In meiner Anfangszeit dieser Trampzeit lernte ich einen Engländer namens John kennen, der war wahnsinnig lieb. Nur kurze Zeit danach hörte ich, dass er sich den goldenen Schuss gesetzt hatte. In der Junkie-WG starb in genau dem Raum, in dem ich geschlafen hatte, Mary – auch an einer Überdosis. Sie waren in diesen drei Monaten zwei von vier Menschen, die mir ans Herz gewachsen waren, und die alle starben. Der Tod war mein ständiger Begleiter. Auch ich wollte mein Leben wegschmeißen, ohne überhaupt erst richtig zu leben angefangen zu haben…
Sie sprechen Selbstmordgedanken an … … ausgelöst durch meine Mutter. Als wir noch in Dithmarschen lebten, wurde sie schwermütig. Ich erinnere mich, wie ich als Kind im Regen mit dem Rad Milch holen musste und nass bis auf die Knochen nach Hause kam. Ich beschimpfte sie aufs Übelste, weshalb sie bitter weinte und sagte: „Nur deinetwegen lebe ich überhaupt noch.“Mich hat das als Neunjährigen sehr irritiert, ich wusste damit nicht umzugehen. (Er kämpft mit den Tränen.)
So einen Satz vergisst man nicht… Kinder sind grausam, aber natürlich wollte ich sie gar nicht so verletzen. Jedenfalls hallte das irgendwann nach. So wurde mir mit 16 Jahren bewusst, dass man die Möglichkeit hat, sein Leben zu beenden. Das wäre dann wie eine Befreiung gewesen. Ganz extrem wurde es in der Zeit durch die Drogen forciert. Wenn die Wirkung nach einem Trip nachlässt und du diesen faden Nachgeschmack im Mund bemerkst, weil du zwei Schach
teln geraucht hast. Und du auf einmal diese verdreckten Wände und Matratzen wahrnimmst… Einfach widerlich!
Mit elf Jahren sind Sie nach Lütjensee gezogen. Ging es Ihrer Mutter dann besser? Komplett. Vorher lebten wir an einem Ort, der nur aus 200 Einwohnern, Rüben- und Kohlfeldern bestand. Sie hatte meinem Vater zuliebe ihren Beruf als Hebamme an den Nagel gehängt und hatte nur uns drei Kinder, aber keine Freunde. Das schien ihr unglaublich wehgetan zu haben. Und dazu hat sie diese permanente Einsamkeit depressiv gemacht. In Lütjensee wurde es schlagartig besser, weil sie Anschluss hatte.
Sie kehrten letztendlich zurück nach Hause. Wie oft wurde noch darüber gesprochen?
Gar nicht mehr. Es war wie ein böser Albtraum, der weggewischt wurde. Es wurde von meinen Eltern nie wieder thematisiert. Ich habe ihnen natürlich auch nie die Details erzählt. Haschisch habe ich damals schon verteidigt, das mache ich übrigens bis heute.
Als dreifacher Vater können Sie sicher nachempfinden, was Ihr Vater damals für Ängste ausgestanden haben muss. Ich tue große Abbitte deshalb. Mein mittlerer Sohn Valentin, der heute 28 ist, rebellierte als 14-Jähriger sehr und war Punker. Er kam nachts oft nicht nach Hause, ich bin fast gestorben vor Sorge. Dass ich das meinen Eltern drei Monate zugemutet hatte…Vielleicht habe ich sie damals deshalb regelmäßig angerufen. Ich war dann aber froh, wenn der AB lief und ich schnell ein „Mir geht’s gut!“draufsprechen und auflegen konnte.
Haben Sie mit Ihren Kindern offen über Drogen gesprochen? Ja. Als sie Teenager waren. Ich hatte sie alle unabhängig voneinander beim Kiffen erwischt. Natürlich fand ich es nicht besonders klasse. Aber ich habe all meinen Söhnen gesagt, dass es mir lieber ist, wenn sie kiffen, anstatt zu saufen. Ich finde Alkohol um einiges schlimmer als diese weichen Drogen.
Wie schauen Sie heute auf dieses Kapitel zurück? Aus heutiger Sicht weiß ich: Es war damals zu viel für eine so junge Seele. Aber es hat mich geprägt. Denn wer einmal unter Autobahnbrücken oder in Parks geschlafen hat und auf der Straße gelebt hat, der wird niemals in seinem Leben hochnäsig oder arrogant werden, der bleibt geerdet.
ICH HABE IN EINER JUNKIE-WG GELEBT. DAS WAR ZU VIEL FÜR EINE SO JUNGE SEELE