Bunte Magazin

SAWSAN CHEBLI & Ehemann Nizar Maarouf

Die SPD-Politikeri­n hat einen beeindruck­enden Aufstieg geschafft. In BUNTE spricht sie über ihre Kindheit, eigenes Geld und das Glück, gerade Mutter geworden zu sein

- Interview: Katrin Sachse

Sie hat Aufruhr produziert in den vergangene­n Wochen. Die SPD-Politikeri­n Sawsan Chebli tritt im Berliner Wahlkreis Charlotten­burg-Wilmersdor­f als Bundestags­kandidatin an – so wie auch Michael Müller, Regierende­r Bürgermeis­ter und ihr Chef. „Soll ich als Frau den Platz räumen, nur weil ein Mann Anspruch auf das Amt erhebt?“, fragt die 42-Jährige beim BUNTE-Interview in Berlin – natürlich eine rhetorisch­e Frage.

Einige Kritiker meinen, gegen seinen Chef trete man nicht an. Erfordert es Mut, es trotzdem zu tun? Die Bundestags­wahl ist ein demokratis­cher Wettstreit. Und dass ich mich für eine Kandidatur in meinem Heimatwahl­kreis bewerbe, ist seit einem Jahr bekannt. Ich habe das offen kommunizie­rt. Zudem haben mir viele Gespräche gezeigt, dass ich Rückhalt und Unterstütz­ung habe. Es gibt also keinen Grund für einen Rückzug. Da ich meinen Chef als sportliche­n, fairen Menschen kenne, freue ich mich auf diese Wahl. Wie auch immer sie ausgehen wird.

Was treibt Sie in die politische Arena? Ich bin vor 20 Jahren in die SPD eingetrete­n, weil ich mithelfen wollte, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ich habe erlebt, welchen Einfluss Politik auf ein Leben haben kann. Die Tatsache, dass meine Eltern ihre Heimat verlassen mussten, dass sie 20 Jahre im Flüchtling­slager gelebt haben, dass wir staatenlos waren – all das war das Resultat von verfehlter Politik. Als ich die deutsche Staatsbürg­erschaft bekam, wusste ich, ich will mich engagieren.

Gibt es ein Erlebnis in Ihrer Kindheit, das Sie stark geprägt hat? Ich war vielleicht acht, als mein Vater abgeschobe­n werden sollte und ich ihn in Abschiebeh­aft besucht habe. Ich wusste nicht, ob ich ihn je wiedersehe­n werde. Dieses Erlebnis hat mich sehr stark geprägt, das Gefühl von Hilflosigk­eit werde ich nie vergessen.

Ihre Familie hat lange als Staatenlos­e in Deutschlan­d gelebt. Wie haben Sie diesen Status gespürt? Ich habe die ständige Unsicherhe­it gespürt, weil wir ja lange nicht wussten, ob wir abgeschobe­n werden. Der Tag, als wir eingebürge­rt wurden, war der Tag, der mir Freiheit brachte. Ich war endlich Deutsche. Ich konnte endlich reisen. Die Mauern um mich herum, die Grenzen waren weg.

Erinnern Sie sich, als Sie das erste Mal Ihren Pass an der Grenze vorgezeigt haben? Das war unbeschrei­blich! Ich war so dankbar und so stolz, Deutsche zu sein.

Hatten Sie als Kind den unbedingte­n Ehrgeiz zum Aufstieg? Ja, ich wollte nie so arm und abhängig sein wie meine Eltern. Ich wollte eigenes Geld verdienen, um nicht von Sozialhilf­e leben zu müssen. Ich habe es schon als Kind als demütigend empfunden, wenn ich meine Eltern zum Sozialamt begleiten musste. Ich musste mit, weil meine Eltern kaum Deutsch sprachen.

Wie wichtig ist Ihnen eigenes Geld? Ich würde mich wohl unfrei fühlen, wenn ich kein eigenes Geld verdienen würde. Ich brauche das Gefühl von Unabhängig­keit.

Sie werden oft angegriffe­n, weil Sie sich angeblich zu chic und zu teuer kleiden. Wie empfinden Sie diese Diskussion­en? Das erlebe ich in der Tat immer wieder, aber ich werde mich deshalb nicht verändern. Ich maße mir ja auch nicht an, jemanden für seinen Kleidungss­til zu kritisiere­n. Diese Debatten zeugen davon, dass jemand inhaltlich nichts vorzubring­en hat.

Gehen Sie Kompromiss­e ein? Was meine Kleidung angeht? Nein. Aber in meinem Job muss ich immer wieder Kompromiss­e eingehen, um das Bestmöglic­he rauszuhole­n.

Sie sind vor vier Monaten Mutter geworden. Ist alles nicht gerade ein bisschen viel? Vor allem ist es ein großes Glück. Es war nicht selbstvers­tändlich, dass es klappt. Ich bin sehr froh, dass ich einen Mann habe, der modern, aufgeschlo­ssen und liberal ist. Wir teilen uns die Hausarbeit und die Betreuung des Kindes zu Hause, sodass ich meinen berufliche­n Weg weiter verfolgen kann.

Gönnen Sie sich keine Auszeit mit Baby? Ich habe bis einen Tag vor der Geburt gearbeitet. Und eigentlich wollte ich nur in den Mutterschu­tz gehen und danach sofort zum Job zurückkehr­en. Nun habe ich doch noch Urlaub angehängt. Ich habe unterschät­zt, wie wenig planbar das Leben mit Baby ist. Der Kleine wirbelt meine ganzen Pläne durcheinan­der.

Plagt Sie manchmal das schlechte Gewissen? Man wird als Mutter ständig zerrieben. Obwohl ich weiß, dass Elias bei meinem Mann in allerbeste­n Händen ist, denke ich ständig: Was macht er jetzt, weint er, geht’s ihm gut?

Was möchten Sie Ihrem Sohn in diese Welt mitgeben? Ich wünsche mir, dass er empathisch und sensibel ist, einen Sinn für Gerechtigk­eit entwickelt und vielleicht mal ein großer Kämpfer für die Rechte von Frauen wird. Aber wir sollten nicht darauf warten, dass seine Generation das erledigt. Wir sind ja schon ziemlich weit vorangekom­men und dürfen jetzt nicht nachlassen.

OHNE EIGENES GELD WÜRDE ICH MICH WOHL UNFREI FÜHLEN

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 ??  ?? SELBSTBEWU­SST SPD-Politikeri­n Sawsan Chebli, zweitjüngs­tes von 13 Geschwiste­rn, stammt aus ärmsten Verhältnis­sen. Sie hat palästinen­sische Wurzeln, mit 15 Jahren erhielt sie die deutsche Staatsbürg­erschaft
SELBSTBEWU­SST SPD-Politikeri­n Sawsan Chebli, zweitjüngs­tes von 13 Geschwiste­rn, stammt aus ärmsten Verhältnis­sen. Sie hat palästinen­sische Wurzeln, mit 15 Jahren erhielt sie die deutsche Staatsbürg­erschaft
 ??  ?? POLIT-KARRIERE Zwei Jahre lang arbeitete Sawsan Chebli als stellvertr­etende Sprecherin des damaligen Außenminis­ters Frank-Walter Steinmeier
POLIT-KARRIERE Zwei Jahre lang arbeitete Sawsan Chebli als stellvertr­etende Sprecherin des damaligen Außenminis­ters Frank-Walter Steinmeier
 ??  ?? GLÜCKLICHE ELTERN Sawsan Chebli mit ihrem Mann Nizar Maarouf. Die beiden lernten sich als Studenten kennen
GLÜCKLICHE ELTERN Sawsan Chebli mit ihrem Mann Nizar Maarouf. Die beiden lernten sich als Studenten kennen
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