Anneliese Friedmann: Autor Franz Xaver Kroetz nimmt Abschied
ANNELIESE FRIEDMANN wurde in der Serie „Kir Royal“mit Franz Xaver Kroetz als Reporter Baby Schimmerlos ein Denkmal gesetzt
An ihrer Tür stand „Herausgeber“. Das „-in“brauchte sie nicht, jeder Mitarbeiter der Münchner „Abendzeitung“wusste, dass Anneliese Friedmann (†93) nach dem Tod ihres Mannes Werner Friedmann († 59) im Jahr 1969 die mächtigste Dame im Hause war. Bei der „Süddeutschen Zeitung“wurde die Journalistin Mitgesellschafterin. Sohn Johannes Friedmann trat früh in ihre Fußstapfen. Ihre publizistische Leidenschaft war flankiert durch ihr karitatives und kulturelles Engagement. Seit vielen Jahren war sie mit dem Ulmer Verleger Eberhard Ebner, 90, liiert. Anneliese Friedmann starb am 7. November in ihrer Heimatstadt München.
„Ich hatte mir gerade in einem Anfall
von ,Kir Royal‘-Hass – nicht mal mehr S-Bahn fahren konnte ich, ohne dass irgendjemand schrie: ‚Des isa, da Baby, wo hastn dein Porsche?‘ – selbst die Locken abgesäbelt und sah ziemlich schlimm aus, als das Telefon klingelte und eine kühlfreundliche Stimme sagte: ,Hallo Herr Schimmerlos, ich möchte Sie für ‚Stars in der Manege‘ gern im Tigerkäfig sehen. Haben Sie Lust? Dieter Farell und seine Tiger freuen sich.‘ Dieser Anruf von Anneliese Friedmann hätte mich fast das Leben gekostet, denn ich habe vor Publikum und Fernsehen alles vergessen, was ich bei Dompteur Dieter während der Proben gelernt hatte. Ich warf mich den Tieren vor die Füße und zog eine völlig verantwortungslose Show ab. Als ich meine selbstmörderische Nummer beendet hatte, schaute ich zu Dieter, ihm liefen Schweißbäche übers Gesicht und er sagte leise: ,Das war knapp, du hast mit deinem Leben gespielt, du Idiot.‘ Anneliese Friedmann, so hörte ich später, war auch nicht begeistert. Sie hätte sicher nichts dagegen gehabt, wenn mich die Tiger gefressen hätten (gute Schlagzeile und exklusiv!), aber vor allem wollte sie einen blond gelockten Baby Schimmerlos und keinen kahlköpfigen Kroetz.
Als ich sie persönlich kennenlernte, war sie längst eine Institution. Bei einer Einladung in ihr Haus in Harlaching, wo gepflegte Menschen gepflegte Konversation auf höchstem Niveau zelebrierten, war ich ein hilfloser Außenseiter. Als sie mir zur Begrüßung die Hand reichte, wollte ich ihr einen Handkuss geben, aber dann dachte ich, das ist nicht die Königin
von England, sondern Friederike von Unruh aus ,Kir Royal‘. Aber damit tut man ihr Unrecht. Ich habe beide Damen gekannt und hatte nie das Gefühl, sie seien sich ähnlich. Während Anneliese Friedmann die Ausstrahlung eines Königspython hatte, dem man sich nur mit zwei Doktortiteln nähern konnte, war Ruth Maria Kubitschek das Gegenteil: eine runde, herzliche Mami, an deren Busen man sich gefahrlos schmiegen konnte. Als Verlegerin war Anneliese Friedmann eine publizistische Großmacht. Sie strahlte, auch wenn sie das gern unterdrückte, gediegene Macht und stilvolles Geld aus.
Als ich mit meiner späteren Frau Marie Theres Relin noch mal bei Anneliese Friedmann eingeladen war, unterhielt ich mich mit ihr über Kunst und Theater auf höchstem Niveau. Sie kannte sich besser aus als ich, ging regelmäßig ins Theater, hatte sogar Stücke von mir gesehen, und ich war von ihrer sanften Allwissenheit benebelt. Einige Monate später rief sie mich wieder an: ,Was halten Sie davon, wenn Baby Schimmerlos regelmäßig in der AZ über die Münchner Gesellschaft schreibt?‘ Die Fiktion als Wirklichkeit, eine geile Versuchung. Wir trafen uns in der AZ-Redaktion. Schon beim Betreten des Aufzugs zog sich die Krawatte an meinem Hals wie ein Strick zu. Frau Friedmann war jetzt die Verlegerin und ich ein zukünftiger Angestellter. Keine Versuchung, nur Frust. Aus Wut verlangte ich ziemlich viel Geld. Sie schaute mich durch die großen Brillengläser mit großen Augen an. ,Wenn das so ist, verehrter Herr Kroetz, dann fürchte ich, die AZ kann sich Herrn Schimmerlos nicht leisten!‘ Wir verabschiedeten uns ausgesucht freundlich. Ich wurde nicht mehr eingeladen.“