Dieses Jahr nicht!
Vor einem harmlosen Husten und Schnupfen ist auch in Corona-Zeiten niemand gefeit. Lesen Sie hier, was gegen eine Erkältung hilft und was sie von Covid-19 unterscheidet
Heute ist wieder richtig viel los in der Praxis. Das Telefon klingelt nonstop und man hört die Mitarbeiter ständig die gleichen Sätze sagen: „Wie ausgeprägt ist Ihr Husten? Bekommen Sie gut Luft? Können Sie noch riechen?“Täglich rufen bis zu 120 Leute in der Hausarztpraxis von Attila Altiner in Rostock an. „Jeder, der derzeit Erkältungssymptome hat, fragt sich, ob es ein Infekt ist oder ob er sich das neuartige Coronavirus eingefangen hat“, sagt der Allgemeinmediziner.
Erkältung, Grippe und Corona – Atemwegsinfekte sind eine Plage. In diesem Winter fühlen sich viele Menschen besonders verunsichert, wenn die Nase juckt
KINDER HABEN MINDESTENS ACHT HARMLOSE INFEKTE IM JAHR
oder es im Hals kratzt. „Es gibt leider keine eindeutigen Anzeichen, mit denen man Erkältung, Grippe oder eine Infektion mit SARS-CoV-2 unterscheiden könnte“, sagt Allgemeinmediziner Altiner. „Die Symptome ähneln sich, die Diagnose ist nicht einfach.“Aber mit etwas Aufmerksamkeit kann man sich in jedem Fall richtig verhalten – und sowohl seine persönliche Gesundheit als auch die seiner Mitmenschen schützen.
Dass Erkältungskrankheiten den Menschen und die Wirtschaft belasten, ist nichts Neues. Den volkswirtschaftlichen Schaden durch Erkältungen und Grippe-Erkrankungen haben Experten schon vor Jahren auf mehr als 30 Milliarden Euro jährlich beziffert. Kinder bekommen acht und mehr harmlose Infekte im Jahr, Erwachsene zwei bis vier. Für die echte Grippe gehen Experten von ein bis zwei Millionen Erkrankungsfällen jährlich aus. Sie ist im Vergleich zu einer Erkältung also recht selten. Verursacht wird die Grippe von vier verschiedenen Influenzaviren. Bislang gebärden sich die Influenzaviren jedoch zahm – zahmer als zu vergleichbaren Zeiten in früheren Grippesaisons.
Generell kann die Influenza einen schweren Verlauf nehmen: Jedes Jahr sterben bis zu 30000 Menschen in Deutschland
infolge einer Infektion mit Influenzaviren. An Covid-19 sind bis jetzt schon mehr als 50 000 Menschen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen gestorben; wie sich die Spätfolgen auswirken, ist noch nicht abzusehen. Lockdown, Reiseverbot, Ausgangssperren – auch wie teuer die Erkrankung für die Volkswirtschaft wird, kann man heute noch nicht sagen.
Ein Kratzen im Hals muss nicht Covid bedeuten. Ein Test schafft Klarheit
Sicherheit, ob man Covid-19 oder einen harmlosen Infekt hat, kann nur ein Test geben. Es gibt aber Hinweise, ob man sich das Virus eingefangen hat oder nicht: Erkältungen beginnen meist schleichend. „Erst kratzt es im Hals, dann läuft die Nase, zum
Schluss kommt der Husten“, so Altiner. Fiebrige Infekte haben vor allem Kinder, Atemnot kennt man bei Erkältungen dagegen kaum. Und nach ein paar Tagen Ruhe ist man normalerweise wieder fit. Der Husten kann auch bei einer üblichen Erkältung äußerst hartnäckig sein und auch mal länger als die üblichen zehn bis 14 Tage andauern. „Wie stark jemanden eine Erkältung trifft, hängt vom jeweiligen Virus ab und davon, wie gut seine Infektabwehr funktioniert“, betont Altiner.
Anders als Erkältungen oder Corona beginnt die echte Grippe oder Influenza plötzlich. Innerhalb von Stunden setzen hohes Fieber, Schüttelfrost, Muskel- und Gliederschmerzen ein. Wer sich ansteckt, liegt in der Regel ein bis zwei Wochen flach und braucht auch danach noch eine gewisse Zeit, um sich gänzlich zu erholen. Verursacht wird die Grippe von vier verschiedenen Influenzaviren. Während man sich gegen Grippe und Covid-19 impfen lassen kann, ist man gegen Erkältungen nie immun. Dafür gibt es zu viele Viren, die Atemwegserkrankungen verursachen. Allein vom Rhinovirus, das bis zur Hälfte der Erkältungen verantwortet, existieren mehr als 150 Varianten. Jede sieht ein bisschen anders aus. Dazu kennen Wissenschaft
ler weitere Schnupfen- und Hustenviren wie Adeno- oder harmlose Coronaviren. Das Risiko, dass unser Immunsystem auf einen neuen Erreger trifft, den es noch nicht kennt, ist also relativ hoch.
SARS-CoV-2 kann dagegen sowohl einen harmlosen Infekt auslösen, ähnlich einer üblichen Erkältung, als auch eine heftige Erkrankung, die der Grippe ähnelt – mit Fieber, trockenem Husten, Gliederschmerzen, Schwäche, gepaart mit Magen-DarmBeschwerden. Zusätzlich berichten viele Patienten von Atemnot, ein Symptom, das bei Influenza und Erkältungen eher selten auftritt. Typisch sei auch der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, sagt Allgemeinmediziner Altiner. Und während die Symptome bei Grippe und Erkältungen in der ersten Woche besonders heftig sind, geht es den meisten Covid-19-Patienten oft erst in der zweiten Woche nach ihrer Ansteckung schlechter.
Zu Hause bleiben, Ruhe finden und sich gut auskurieren
Das ist für viele Menschen ein großer Unsicherheitsfaktor. Kopfweh, Gliederschmerzen, Übelkeit können auch Anzeichen einer Erkältung oder Grippe sein. In jedem Fall sollte man sich an seinen Hausarzt wenden und sich testen lassen.
Egal, ob Sie Krankheitszeichen zeigen oder nicht: Während Sie auf das Testergebnis warten, sollten Sie sich selbst isolieren. Bleiben Sie zu Hause und suchen Sie sich – wenn möglich – ein Zimmer, das Sie bis zum Testergebnis allein bewohnen. Gemeinsame Räume nutzen Sie zeitlich versetzt. Vermeiden Sie es, sich anderen mehr als anderthalb Meter zu nähern.
Im besten Falle schützen uns die derzeit geltenden Abstandsregeln und Masken vor einer Infektion mit SARS-CoV-2. Doch tut in diesem Winter jeder gut daran, sich auch vor einer Grippe und Erkältungen zu hüten, um das Immunsystem nicht zusätzlich zu belasten. Ausreichend Schlaf, wenig Stress und ein fittes Herz-KreislaufSystem erleichtern es der körperlichen Abwehr, mit den Viren fertig zu werden. In einer US-amerikanischen Studie der University of California hatten Probanden, die weniger als sechs Stunden geschlafen hatten, viermal häufiger Erkältungen als jene, die mindestens sieben Stunden geruht hatten.
Auch kalte Füße können Infekte triggern. „Bei kalten Füßen sinkt die Rachentemperatur ab“, sagt Roman Huber, Leiter des Zentrums für Naturheilkunde an der Universität Freiburg. Dann haben Rhinoviren leichtes Spiel: Sie gedeihen bei 34 Grad viel besser als bei einer Körpertemperatur von 37 Grad.
Stress wirkt ähnlich: Bei Anspannung und Überforderung sorgt der Sympathikus-Nerv dafür, dass sich die Gefäße eng stellen. Dies drosselt die Durchblutung in Füßen und Händen, der Körper kühlt aus – und Erkältungsviren können sich rasch vermehren. Meditation und Fitnesstraining stabilisieren dagegen das Immunsystem. „Man kennt das von Sportlern: Sie haben in der Regel warme Hände, sind oft gelassener und ruhiger. Gleichzeitig leiden sie seltener unter Infekten“, sagt Huber. Die positiven Effekte von Bewegung lassen sich in Studien nachvollziehen: In einer US-amerikanischen Untersuchung mit mehr als 1000 Teilnehmern halbierten sich die Erkältungstage bei den Probanden, die sich regelmäßig an fünf Tagen in der Woche bewegten, im Vergleich zu denen, die nichts taten. Erkältungen vorbeugen lässt sich auch mit Saunagängen. „Der Wechsel zwischen heiß und kalt
trainiert das Gefäßsystem, sodass der Sympathikus bei einem Temperaturabfall nicht sofort anspringt“, sagt Huber.
Auch die Ernährung kann das Immunsystem unterstützen. Insbesondere Probiotika steigern die Infektabwehr. In einer Übersichtsarbeit der Cochrane Library, eine Institution, wenn es um evidenzbasierte Medizin geht, hatten die Teilnehmer, die Probiotika einnahmen, nur halb so viele Infekte wie jene, die darauf verzichteten. Die Präparate enthielten zumeist Laktobazillen und Bifidobakterien in Joghurts oder als Kapsel, die Einnahmedauer lag bei drei Monaten und länger. „Die Bakterienkulturen stabilisieren das natürliche Mikrobiom auf Schleimhäuten in Nase und Rachen und unterstützen damit die Abwehr von Erkältungsviren“, erklärt Huber.
Und wenn einen die Erkältung doch erwischt? Schmerzmittel helfen, Nasensprays erleichtern das Atmen bei verstopfter Nase. Alternativ wirken Wasser
dampfinhalationen. Wer täglich zwei Liter Flüssigkeit trinkt, hält die Schleimhäute feucht und stärkt sie so. „Fieber sollte nur gesenkt werden, wenn die Symptome sehr unangenehm sind und man beispielsweise unter starkem Kopfweh leidet“, so Huber. Denn viele Erkältungsviren reagieren empfindlich auf erhöhte Temperaturen. Indes rät der Internist zu Ruhe und körperlicher Schonung: „Im Idealfall sollte man zwei, drei Tage zu Hause bleiben.“
So lästig Erkältungen eigentlich sind – tatsächlich können wir uns über jeden Schnupfen freuen, den wir in den letzten Jahren überstanden haben. Studien unter anderem aus Deutschland haben ergeben, dass rund ein Drittel der Bevölkerung Abwehrzellen im Blut hat, die auf SARS-CoV-2 ansprechen – ohne dass sie sich jemals damit infiziert haben.
Vermutlich stammen diese Immunzellen von früheren Infektionen mit herkömmlichen Erkältungsviren vom Corona-Typ, die bis zu einem Drittel der Erkältungen auslösen. Experten sprechen von einer sogenannten Kreuzimmunität zwischen heimischen Coronaviren und dem neuartigen Virus SARS-CoV-2. Harmlose Erkältungen könnten damit das Immunsystem auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus vorbereiten. Das würde auch erklären, warum manche Menschen keine oder nur milde Symptome zeigen und Kinder insgesamt seltener an Corona erkranken.
Weil noch nicht jeder gegen Corona geimpft werden kann, gilt: Maske tragen, Abstand halten und das Immunsystem
stärken – das schützt auch vor Rhinoviren. Der aktuelle Winter ist einer der erkältungsärmsten, die es jemals gab. „Wir haben in dieser Saison viel weniger Patienten mit Atemwegsinfektionen in der Praxis“, bestätigt Attila Altiner in Rostock. Die Selbstfürsorge der Patienten hat insofern auch in Bezug auf Infekte viele gute Effekte. Trotz der vielen Anrufe hat der Allgemeinmediziner ausreichend Zeit für diejenigen Patienten, die wirklich seine Hilfe benötigen.