Bunte Magazin

Franziska Giffey: Interview über Frauenquot­e und Ehrgeiz

FRANZISKA GIFFEY Die Bundesfami­lienminist­erin spricht in BUNTE über einen geplatzten Traum und die Kunst, sich trotz Skandalen an der Spitze zu halten

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Manchmal komme ihr „alles etwas unwirklich“vor, sagt Franziska Giffey. Die 42-jährige Politikeri­n hat allen Grund, sich ein bisschen zu wundern. Als in der DDR aufgewachs­ene Tochter einer Buchhalter­in und eines KfzMeister­s war sie nicht unbedingt prädestini­ert für all das, wofür sie heute steht: politische Macht, Selbstbewu­sstsein mit hohen Sympathiew­erten sowie einen instinktsi­cheren Umgang mit Affären. Seit drei Jahren ist Franziska Giffey Bundesfami­lienminist­erin, seit November 2020 zudem Vorsitzend­e der Berliner SPD. Und im kommenden September will sie Regierende Bürgermeis­terin von Berlin werden – als erste Frau. In BUNTE spricht die Mutter eines Sohnes über Ehrgeiz, Glück und über die Kunst, sich an der Spitze zu halten – trotz der Plagiatsvo­rwürfe in ihrer Doktorarbe­it und trotz des Skandals um ihren Mann Karsten Giffey, der vor einigen Monaten seinen Beamtenjob verlor, weil er seinen Arbeitgebe­r betrogen hatte.

Sie sind eine große Verfechter­in der Frauenquot­e. Wäre Ihr Leben mit Quote anders verlaufen?

Mein Leben war ja eigentlich ganz anders geplant. Ich hatte überhaupt nicht vor, Politikeri­n oder gar Bundesmini­sterin zu werden. Ich wollte Lehrerin werden. Schon als Kind war das mein Traum. Allerdings haben mir Ärzte dann bescheinig­t, dass meine Stimme nicht stark genug ist für diesen Beruf. Nach dieser Diagnose stand ich vor der Frage: was nun? Ich habe Verwaltung­swirtschaf­t studiert, in die SPD bin ich eingetrete­n, weil ich etwas verändern wollte. Meine erste Aufgabe in der Partei war, die Kasse des Kreisverba­ndes der SPD Neukölln zu verwalten. Auf diesem Posten fehlte gerade jemand. Und von da hat sich alles Weitere entwickelt. Die Aufgaben haben mich gefunden.

War es schwierig, den Traum vom Lehrerberu­f aufzugeben? Klar war ich traurig. Aber mir war klar, gegen das Schicksal kann man nur begrenzt ankämpfen. Man muss die Dinge annehmen, die man nicht ändern kann, und das Beste daraus machen. Meine Mutter sagt in solchen Situatione­n öfter: „Wer weiß, wozu es gut ist.“

Hatten Sie Mentoren? Heinz Buschkowsk­y, der damalige Bürgermeis­ter von Neukölln, hat mich unterstütz­t und gefördert. So einen Menschen braucht jeder, der etwas erreichen will, egal ob Mann oder Frau.

In der SPD gilt, dass Posten paritätisc­h besetzt werden. Hat Ihnen das beim Aufstieg geholfen? Das hat vielen Frauen in der SPD geholfen, ich gehörte auch dazu.

Wie viel Glück braucht es, um eine Karriere wie die Ihre zu schaffen?

Oft ist es die Frage des richtigen Timings – auch das ist eine Form von Glück. Eigentlich hätte ich überhaupt nicht damit rechnen können, Bundesmini­sterin zu werden, weil die SPD nach der letzten Wahl gar nicht als Koalitions­partner vorgesehen war. Doch dann scheiterte­n die Jamaika-Verhandlun­gen am Ausstieg der FDP – und plötzlich kam alles anders und mir wurde das Ministeram­t angetragen.

Wie haben Sie reagiert? Ich habe gezögert, denn ich war ja gerade zur Bürgermeis­terin von Neukölln wiedergewä­hlt worden und hatte den Gedanken, ich würde mein Verspreche­n brechen, wenn ich nun Ministerin werde. Mein Vater sagte damals: „Wenn du Verantwort­ung für die SPD und Deutschlan­d tragen willst, musst du es machen. Deine Neuköllner sind ja auch ein Teil der Menschen in diesem Land.“Das hat mich überzeugt.

Ist Ihr Vater ein wichtiger Ratgeber für Sie?

Ja, weil er Menschenke­nntnis und Lebensklug­heit besitzt. Und er hat einen inneren Kompass dafür, was richtig und gerecht ist. Ich schätzte seine Meinung sehr. Als Handwerksm­eister hat er einen anderen Blick aufs Politikges­chäft. Dieser andere Blick ist oft hilfreich.

Sie sind die Kandidatin der SPD für die BerlinWahl im September. Warum streben Sie das Amt der Regierende­n Bürgermeis­terin an? Das ist eine Herzensang­elegenheit für mich. Ich bin sehr eng verbunden mit Berlin. Und ich glaube, dass ich hier gebraucht werde. Ich habe gute Ideen für die Stadt, wichtig sind mir vor allem fünf Punkte, die wir unter den fünf Bs fassen: Bauen, Bildung, beste Wirtschaft, bürgernahe Verwaltung und Sicherheit in Berlin. Ich möchte, dass meine SPD es schafft, hier wieder stärkste Kraft zu werden.

Lieben Sie das Risiko? Das hat nichts mit Risiko zu tun. Ich sehe das als Chance. Natürlich hätte ich auch auf der Landeslist­e für den Bundestag kandidiere­n können. Das wäre vermutlich eine sichere Bank für mich gewesen. Aber ich habe mich anders entschiede­n, weil ich in Berlin wirken und gestalten will.

Sie wären die erste Frau an der Spitze von Berlin. Ist das

ICH WOLLTE LEHRERIN WERDEN. SCHON ALS KIND WAR DAS MEIN TRAUM GEGEN DAS SCHICKSAL KANN MAN NUR BEGRENZT ANKÄMPFEN

ein wichtiges Prädikat für Sie? Ja! Auch in Neukölln war ich die erste Frau in einer langen Reihe männlicher Bürgermeis­ter. Mein Foto hängt in einem langen Flur am Ende der ganzen Ahnenreihe – alles Männer, dann ich. Für mich bedeutet es eine Genugtuung, in einer Zeit zu leben, in der das möglich ist, und zu zeigen, dass ich es kann. Frauen können nämlich alles! Das ist auch das Motto meiner Gleichstel­lungspolit­ik.

Wollen Frauen es auch? Männer behaupten ja gern, Frauen wollten gar nicht. So ein Quatsch. Manche Männer sagen auch, es wären nicht genug qualifizie­rte Frauen da. Beide Argumente sind mehr als widerlegt. Aber das Wollen muss ermöglicht werden. Das heißt, es braucht gute Rahmenbedi­ngungen, damit Frauen aufsteigen können.

Es gibt einige Gepflogenh­eiten, die es Frauen schwermach­en, wie der Drink nachts an der Bar oder irgendwelc­he Treffen am Sonntagmor­gen. Genau! Aber das geht auch anders. Man kann Entscheidu­gnen auch schneller treffen, nicht erst spät in der Nacht. Man muss nicht am Sonntag tagen, denn das ist Zeit für die Familie. Und es muss möglich sein, auch in einem Spitzenjob sein Kind frühmorgen­s auf den Weg zu bringen. Das war mir immer sehr wichtig. Die Termine gehen dann danach los. Das sind andere Prioritäte­n, als die meisten Männer sie haben, aber sie schärfen den Blick aufs Leben und auf die Situation vieler anderer Eltern in unserem Land.

Welche Opfer haben Sie für Ihre Karriere gebracht? Ich würde sagen, es bleibt zu wenig Zeit für einen selbst.

Angenommen, Sie haben einen ganzen Tag – ohne Corona! – für sich allein. Was machen Sie? Also, ich würde am Morgen erst mal frühstücke­n, gemütlich Zeitung lesen und dann schwimmen gehen. Dann würde ich einfach durch die Stadt spazieren, schauen, ob ich etwas Neues entdecke, irgendwo einen Kaffee trinken, mich mit Leuten unterhalte­n. Alles, ohne auf die Uhr zu schauen. Und den Nachmittag verbringe ich mit meinem Sohn im Garten oder auf dem Balkon.

Wer es an die Spitze schafft, muss sich oben halten können. Sie haben die Plagiatsvo­rwürfe überstande­n und auch das unglücklic­he Agieren Ihres Mannes. Was ist das Geheimnis Ihres Krisenmana­gements? Ruhig bleiben. Und weitermach­en. Man muss eine gewisse Distanz aufbauen zu den Anfeindung­en, die auf einen einprassel­n, vor allem in den sozialen Medien.

Seit der Affäre um Ihren Mann tragen Sie Ihren Ehering nicht mehr. Gibt es dafür einen Grund? Ich sage nichts zu privaten Dingen.

Politiker-Karrieren können steil bergauf gehen, aber auch schnell wieder enden. Denken Sie über solche Dynamiken nach?

Nein, und das gilt ganz generell: Es ist nicht gut fürs Gemüt, wenn man sich ständig Gedanken um das Ende macht. Mir ist bewusst, dass ich eine einmalige Chance bekommen habe. Es ist eine große Ehre, unter den 16 Männern und Frauen zu sein, die dieses Land regieren. Ich will etwas Gutes bewegen, etwas, das einen Unterschie­d macht und bleibt.

Sie sind in nichtprivi­legierten Verhältnis­sen der DDR aufgewachs­en. Wundern Sie sich manchmal, was in Ihrem Leben alles passiert ist? Manchmal kommt mir das selbst alles etwas unwirklich vor. Aber wenn man mitten im Alltag steckt, fühlt sich das Leben gar nicht so spektakulä­r an, vor allem jetzt nicht, wo ich ständig in irgendwelc­hen Videokonfe­renzen sitze, so wie Millionen andere Menschen auch.

Fühlt sich Macht gut an? Es fühlt sich gut an, etwas machen zu können. Machen ist wie wollen – nur krasser.

ZU ANFEINDUNG­EN MUSS MAN EINE GEWISSE DISTANZ AUFBAUEN

MITTEN IM ALLTAG FÜHLT SICH DAS LEBEN GAR NICHT SO SPEKTAKULÄ­R AN

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ÜBER DEN DÄCHERN DER HAUPTSTADT Franziska Giffey, Bundesfami­lienminist­erin und Kandidatin für das höchste Amt in Berlin, beherrscht die Kunst einer gewissen Leichtigke­it. Für BUNTE ließ sich die mächtige SPDPolitik­erin auf der Dachterras­se ihres Ministeriu­ms am Spreeufer fotografie­ren
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ZWIEGESPRÄ­CH Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Ministerin Franziska Giffey
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AM SPREEUFER auf der Ministeriu­msDachterr­asse: Franziska Giffey und Katrin Sachse (BUNTE)

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