Der HIRNSCHLAG kann auch junge Menschen treffen
Time (Zeit). Hängt ein Mundwinkel herab, kann der Betroffene einen Arm nicht nach vorn strecken, treten Sprachstörungen auf, heißt es: keine Zeit verlieren und 112 wählen! Denn trotz innovativer Diagnostik und Akuttherapien ist „Schnelligkeit“weiter Rettungsfaktor Nummer 1.
Meist ist ein Gefäß verstopft
Wenn ein Schlaganfall, auf Englisch „stroke“, fachlich Apoplex genannt, die Sauerstoffversorgung im Kopf stört, sterben in jeder Minute 1,9 Millionen Nervenzellen ab. Laut der Deutschen Schlaganfall-Hilfe erleiden bei uns jährlich rund 270000 Frauen und Männer einen Hirnschlag. Etwa 80 Prozent von ihnen sind älter als 60 Jahre. Doch er trifft auch jüngere Menschen, 11 Prozent vor ihrem 55. Geburtstag, in seltenen Fällen gar Kinder und Säuglinge. Nach Herz-Kreislaufund Krebserkrankungen ist Schlaganfall hier die dritthäufigste Todesursache, laut
Zahlen des Robert Koch-Instituts haben bis zu 40 Prozent der überlebenden Personen mit dauerhaften körperlichen und geistigen Einschränkungen zu kämpfen.
Immerhin: Moderne Diagnostik und effektive Therapieverfahren können immer mehr Betroffene vor schwerwiegenden Schäden bewahren – vorausgesetzt, sie
werden rechtzeitig behandelt. Was aber passiert bei einem Schlaganfall? Das Gehirn benötigt, proportional zu seiner Masse, die meiste Energie in unserem Körper. Basis dafür ist eine konstante Sauerstoffzufuhr über die Blutbahnen. „Bei einem Schlaganfall wird diese Versorgung massiv gestört. Schon eine kurze Unterbrechung führt schnell zum Absterben von Gehirnzellen“, erklärt Prof. Martin Grond, Ärztlicher Direktor des Kreisklinikums Siegen und Chefarzt der dortigen Klinik für Neurologie. Auslöser ist in 80 Prozent der Fälle ein Gefäßverschluss, man spricht dann von einem ischämischen Hirninfarkt (Ischämie: Minderdurchblutung).
„Entweder wird das Gefäß durch eine Arteriosklerose, also Ablagerungen an der Innenwand, stark verengt und irgendwann verschlossen“, so der Neurologe. „Oder ein Gerinnsel, das sich etwa im Herzen gebildet hat, ist mit dem Blut
strom ins Gehirn gelangt, bleibt dort in einem Gefäß stecken und verschließt es.“
Je nachdem, welches Areal unserer Denkzentrale nicht mehr durchblutet wird, kann der Patient etwa nicht richtig sprechen oder ist gelähmt. „Die dafür zuständigen Nervenzellen haben ihre Funktion eingestellt und nutzen die Restenergie zum Überleben“, sagt Grond. „So entsteht ein Wettlauf gegen die Zeit: Jetzt geht es darum, schnellstmöglich wieder Sauerstoff zu den Zellen zu bringen, bevor sie kaputtgehen.“
Hauptrisikofaktoren für einen Hirninfarkt sind Bluthochdruck und Vorhofflimmern. Auch ungünstig: alles, was Arteriosklerose
fördert, etwa Diabetes, gestörter Fettstoffwechsel oder ein ungesunder Lebensstil.
Bei jedem fünften Schlaganfall ist eine Hirnblutung die Ursache. Dabei platzt ein Gefäß mitten im Gehirn, das Blut fließt als starker Strom in das umliegende Gewebe und zerstört es. Auch bei diesem hämorrhagischen Schlaganfall ist Bluthochdruck der Hauptauslöser, weil er die Gefäßwände strapaziert und verändert. „Zudem können Blutverdünner die Gefahr einer Hirnblutung erhöhen. Die Einnahme derartiger Medikamente ist oft unverzichtbar, aber wer sie einnimmt, sollte daher auf einen gesunden Blutdruck achten und auch auf die Kombination mit anderen Medikamenten“, empfiehlt der Chefarzt aus Siegen. „Sogar manche Schmerzmittel gegen Rückenprobleme, wie etwa Diclofenac, können die Wirkung von Blutverdünnern ungünstig verstärken.“So ist es gut, erst lieber den Arzt oder Apotheker zu befragen.
Die richtige Behandlung ist wichtig
Besteht Verdacht auf einen Hirnschlag, fährt der Rettungsdienst den Patienten bestenfalls in die nächstgelegene Klinik mit einer spezialisierten SchlaganfallStation, „Stroke Unit“genannt. Deutschland ist weltweit führend in der nahezu flächendeckenden Etablierung dieser
zertifizierten Einrichtungen, mehr als 330 gibt es bereits. Die Teams der Stroke Units, bestehend aus Ärzten und besonders geschultem Pflegepersonal sowie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden, sind spezialisiert auf die optimale Akutbehandlung.
Studien zeigen, dass die Betreuung auf einer solchen Station im Vergleich zu einem herkömmlichen Krankenhaus die Überlebenschancen deutlich verbessert und das Risiko für bleibende Schäden senkt. In den regionalen Stroke Units versorgt man Standardschlaganfälle, Spezialeingriffe bei besonders schweren Hirnschlägen übernehmen überregionale Stroke Units.
Rund 60 Prozent der Schlaganfallpatienten haben einen leichten oder mittelschweren Hirninfarkt, bei ihnen ist nur ein kleines Gefäß verschlossen. „Hier wird als Akutbehandlung die systemische Thrombolyse, kurz Lyse genannt, eingesetzt. Das ist ein Medikament, verabreicht über die Vene, das den Pfropfen in der Blutbahn auflösen soll“, so Prof. Grond. Studien belegen eine hohe Wirksamkeit innerhalb von viereinhalb Stunden nach Auftreten der ersten Hirnschlagsymptome. Diese Behandlung würde jedoch einen Schlaganfall aufgrund von Hirnblutung verschlimmern. Um diese Ursache auszuschließen, wird in der Stroke Unit erst eine CT- oder MRT-Aufnahme vom Kopf des Patienten gemacht. „Bei einem hämorrhagischen Schlaganfall geht es unter anderem darum, die Blutung zu stoppen, indem man etwa den Blutdruck senkt oder im Falle blutverdünnender Medikamente ein spezifisches Gegenmittel verabreicht“, sagt Grond.
Meilenstein der Therapietechnik
Eine Revolution in der Schlaganfallbehandlung ist die Thrombektomie (s. Kasten auf S. 81). Sie kann auch große Thromben in dickeren Hirngefäßen beseitigen. Gerade diese Thromben sind Auslöser von schweren Schlaganfällen, bei denen die Lyse kaum
funktioniert. „Dabei gehen wir mit einem Katheter direkt in das verschlossene Hirngefäß und ziehen das Gerinnsel mechanisch heraus“, beschreibt Prof. Claus Zimmer, Direktor der Abteilung für Neuroradiologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Zimmer war
an der Entwicklung der innovativen Behandlungstechnik von Anfang an, seit 2008, mitbeteiligt. Seit 2015 ist diese Methode etabliert. „Die Thrombektomie hat die Rate für Tod und schwere Behinderung um bis zu 30 Prozent reduziert“, so Prof. Zimmer, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) ist. „Die Erfolgsquote, ein großes Gefäß wieder frei zu bekommen, liegt bei 80 bis 90 Prozent. Risiken gibt es so gut wie keine“, erläutert der Neuroradiologe. „Es ist immer wieder faszinierend,
Effekte sich oftLamseaaEnldsvesrborafuochretr nach einer Thrombektomie zeigen. Patienten, die sich vorher nicht mehr artikulieren konnten und eine Halbseitenlähmung hatten, sprechen plötzlich wieder und wollen am liebsten selber vom Behandlungstisch steigen. Das macht auch uns als Ärzte glücklich.“
Die Wahrscheinlichkeit, aus einem schweren Schlaganfall mit massivem Thrombus ohne schwere Behinderung herauszukommen, liegt mit einer Thrombektomie bei 60 bis 70 Prozent, ohne bei 30 bis 40 Prozent. Das offizielle Zeitfenster für den Einsatz der Thrombektomie liegt bei sechs Stunden. Doch Studien zeigen, dass der Eingriff manchem Patienten sogar noch bis zu 24 Stunden nach Einsetzen des Schlaganfalls helfen kann. Die Voraussetzung dafür ist: „Im vom Infarkt betroffenen Hirnareal ist noch rettbares Gewebe vorhanden. Das lässt sich per moderner CT- oder MRT-Bildgebung genau feststellen.“
Ein möglicher Vorbote für einen Hirninfarkt ist eine TIA, eine transitorische ischämische Attacke. „Sie zeigt sich mit den gleichen Symptomen wie ein Schlaganfall, etwa Lähmungen, Seh- und Sprachstörungen. Doch nach wenigen Minuten vergehen sie wieder von allein, weil der Körper in der Lage war, das blockierte Gefäß selbst wieder aufzukriegen“, erklärt Prof. Martin Grond, in dessen Kreisklinikum Siegen auch eine überregionale Stroke Unit mit Thrombektomiezentrum integriert ist. Das Tückische: „Die Gefahr, dass sich das Ereignis als ausgeprägter Hirninfarkt wiederholt, ist in den ersten Folgetagen besonders hoch. Darum sollten Betroffene am gleichen Tag einen Neurologen oder eine Stroke Unit aufsuchen“, rät der Mediziner. Denn durch zeitnahe Behandlung der individuellen SchlaganfallRisikofaktoren sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung signifikant.
Neue Strategien werden erprobt
Aktuell werden etwa in München, Hamburg oder Heidelberg verschiedene Strategien erprobt, um Schlaganfallpatienten eine frühere Behandlung zu ermöglichen. „Dabei spielt die Telemedizin eine Rolle: Durch
die digitale Übermittlung von PatientenHirnscans gelingt es unserem Team im Klinikum rechts der Isar in München, die Behandlung von schweren Schlaganfällen in weiter entfernten kleinen Krankenhäusern um bis zu 100 Minuten zu beschleunigen“, so Prof. Zimmer. „Sehen wir anhand der Bilder, eine Thrombektomie ist notwendig, fahren spezialisierte Ärzte zum Patienten in ein regionales Krankenhaus, um zeitraubenden Weitertransport in eine überregionale Stroke Unit zu ersparen, und führen den Eingriff vor Ort durch.“
Nach einem Schlaganfall ist ein früher von RehamaßCanrmaehnthmin „Die Chance, durch gezielAtneschTnihtt eine Verbesserung
möglicher Defizite zu erreichen, ist groß. Denn das Gehirn hat die Fähigkeit zur Reorganisation, kann Funktionen von zerstörten Arealen auf gesunde Nervenverbände übertragen“, sagt Prof. Grond. „In der
Rehaforschung arbeitet man so auch daran, diese Umbauvorgänge durch individualisierte Maßnahmen, etwa Magnetstimulation, zu fördern. Da gibt es spannende Entwicklungen!“