STÄDTE sind ein Biotop deutscher Lebenskultur
CHEF-Gespräch mit DANIEL TERBERGER CEO KATAG Der Unternehmer über die Folgen der Corona-Politik für den Einzelhandel – und ein (selbst-)kritischer Ausblick
Die Zahlen könnten dramatischer nicht sein – nach zwei Lockdowns und ohne konkrete Öffnungsperspektive sieht die Corona-Schadensbilanz im stationären Mode- & Textilhandel so aus: Umsatzeinbrüche von 30 bis 40 Prozent, eine halbe Milliarde unverkaufter Modeartikel auf Halde, eine Milliarde Euro Verlust pro Woche, die der Einzelhandel geschlossen bleibt. Und, so prognostiziert der Wirtschaftswissenschaftler Gerrit Heinemann, „bis zu 200 000 innerstädtische Geschäftsaufgaben in 2021“. Was dieses Szenario nicht nur für den Handel, sondern für die gesamte deutsche Lebenskultur bedeutet, skizziert Daniel Terberger. Der Unternehmer ist Chef des Modedienstleisters Katag in Bielefeld (mit ca. 350 überwiegend mittelständischen Kunden), gilt als einer der einflussreichsten Köpfe im Modebusiness und verfügt über exzellente Kontakte in die Politik. Im Gespräch mit BUNTE ging es aber auch um einen (selbst-)kritischen Ausblick auf die Mode und deren Standortbestimmung nach Corona.
Die Initiative, die Sie quasi als letzten Alarmruf für den mittelständischen Handel mitinitiiert haben, heißt „Das Leben gehört ins Zentrum.“. Könnten Sie dieses Motto erklären? Dieser Claim drückt die Nähe und auch die Liebe der Menschen zu ihrer Stadt aus. Innenstädte, und seien sie noch so klein, sind seit jeher in Deutschland das Zentrum wirtschaftlichen, vor allem aber auch des gesellschaftlichen Lebens. Man trifft sich dort, flaniert, trinkt Kaffee, geht ins Restaurant, kauft ein. Im Gegensatz zu den USA oder dem arabischen Raum, wo man die nächste Mall ansteuert, zieht es Menschen hierzulande instinktiv in die Stadtmitte. Das ist identitärer Teil unserer Kultur, eine Art Urfunktion, die ihre soziokulturellen Wurzeln im Marktrecht hatte. „In die Stadt zu gehen“, das ist überall, von Flensburg bis Rosenheim, elementarer Teil unseres Lebensgefühls. Und das sehe ich mit all meinen Mitstreitern von Deichmann, Breuninger, s.Oliver oder KiK, um nur einige zu nennen, vom Aussterben bedroht.
Dann geht es also nicht nur um Geld oder einen Hilfsappell, um auf die katastrophale Lage der Modeindustrie aufmerksam zu machen? Auch wenn viele, viele Mittelständler verzweifelt und vom Ruin bedroht sind und vergebens bis heute auf Hilfen und Entschädigungen warten; auch wenn viele menschliche Familienschicksale, die ich persönlich kenne und die mir ans Herz gehen, gemeint sind: Hier geht es in allererster Linie eben nicht darum, Geld zu fordern, sondern darum, die politisch Entscheidenden zur Einsicht zu bringen, dass gerade unwiederbringlich ein Stück deutsche Lebenskultur stirbt. Es geht nicht nur um die schlimmen Pleiten. Es geht um deren Folgeerscheinungen. Wenn wir die Stadtzentren verlieren, weil wie bei einer Domino-Kette Cafés, Läden, Restaurants und Hotels fallen, dann ist das irreversibel. Wenn das Biotop Stadt kippt, dann hat sich dieses Land nachhaltig verändert.
Schon vor Corona hatte man den Eindruck, dass die Mode hierzulande auf Akzeptanz und Relevanzprobleme stößt. Unvergessen das Zitat von Doro Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, wonach sich der ein oder andere Politiker „lieber mit Vertretern der Atomlobby fotografieren ließe als mit der Modeszene“. Natürlich spielt das mit rein. Ich versuche seit Jahren und schon vor der Pandemie klarzumachen, dass der Mittelstand mit das Beste und Schützenswerteste ist, was wir in Deutschland haben. Und im Gegensatz zu multinationalen Konzernen wie Zara, H & M oder Amazon, die noch nicht einmal hierzulande Steuern zahlen und schon gar nicht ihren Kunden mit einem Lächeln einen Cappuccino servieren, sind die deutsche Modeindustrie und deren gesamte Wertschöpfungskette zu 100 Prozent mittelständisch und inhabergeführt geprägt – Herr Mey, Herr Falke, Herr Seidensticker … um nur einige bekannte Namen von Hunderten zu nennen. Aber sie stellen nun mal keine Zaunlatten oder Dachziegel oder Heizungsrohre her, sondern Mode. Und Mode gilt in Deutschland leider immer noch als suspekt, als überflüssiger Luxus, keinesfalls so wichtig wie zum Beispiel Gartenbedarf – ja, manchmal habe ich den Eindruck, als moralisch tiefer stehend.
Ohne die Not der Betroffenen verharmlosen zu wollen – aber der Modehandel war schon immer ein sehr dynamisches, um nicht zu sagen flüchtiges Geschäft. Shops auf, Shops zu, Filiale hier zu, woanders wieder auf… Natürlich. Mitunter gehört das sogar zur Strategie. Aber ich rede hier weder von großen deutschen oder internationalen Ketten, die in Iserlohn zu und in Oberkassel wieder aufmachen, noch meine ich kleine Boutique-Start-ups. Ich rede von über Generationen gewachsenen Häusern, Händlerfamilien und Marken, die nur an ihrem jeweiligen Standort funktionieren. Weil sie dort Arbeitgeber und Treiber der Infrastruktur sind, weil sie dort die Vereine und den Kindergarten subventionieren, weil sie die DNA einer Stadt ausmachen. Die werden als politische Rundungsgröße geopfert!
Es herrscht gerade viel Reflexion in der Branche. Designer stellten den überhitzten Zirkus infrage, der ihnen bis zu zwölf Kollektionen im Jahr aufzwingt. Kooperationen mit zweit und drittklassigen Testimonials wurden zum StarEvent aufgebauscht. Hat, wie Trendforscherin Li Edelkoort meint, die Pandemie gerade die LifestyleWelt zum Nachdenken gebracht? Ich gehöre nicht zu den demütigen Krisenromantikern, die jeden Tag über den höheren Sinn dieser Katastrophe meditieren. Ich bin Kaufmann, so wie meine Kunden. Dennoch ist jetzt die Zeit, um eventuell ein paar Fragen zu stellen. Der ganze hysterische Lieferkettenzyklus, der Wintermäntel im Juli und August in die Läden spült und doch völlig an den Bedürfnissen der Kunden vorbeigeht. Das ehrliche Bemühen, bei der Herstellung von Mode diesen Planeten zu schützen – auch wenn es teurer und mühsamer ist. Ich denke, Mode muss wieder näher an die Menschen ran.
MODE GILT IN DEUTSCHLAND IMMER NOCH ALS SUSPEKT, IRGENDWIE MORALISCH TIEFER STEHEND