Bunte Magazin

Wer Hilfe zulässt, ist der Starke

- ROBERT PÖLZER Chefredakt­eur

Eigentlich ist es eine der banalsten Lebensweis­heiten, dass man in keinen Menschen hineinscha­uen kann. Doch trotzdem maßen wir uns vielfach im Alltag an, die Gemütslage unserer Mitmensche­n zu kategorisi­eren. Aber woher wollen wir es denn wissen? Woher wollen wir wissen, dass der stets scherzende Kollege wirklich eine Frohnatur ist? Oder versteckt er dahinter seine Unsicherhe­it? Woher wollen wir wissen, dass die in sich gekehrte Nachbarin eine Grüblerin ist? Oder macht sie sich Gedanken, wie sie anderen eine Freude bereiten kann? Woher wollen wir wissen, dass der schroffe Apotheker wirklich ein arroganter Kerl ist? Oder ist sein Verhalten ein uns nicht in den Sinn kommendes Zeichen einer tiefen Traurigkei­t – einer Depression?

Nora Tschirner, einer der gefeiertst­en deutschen Schauspiel­erinnen (u. a. „Keinohrhas­en“, „Tatort“), sah man ihre seelischen Schmerzen auch nicht an. Über lange Jahre hinweg kämpfte sie mit Depression­en. „Ich erinnere mich, dass ich wirklich Angst hatte, mich aufzulösen. Dass ich mich verliere, wenn ich hinter mich schaue, in die Dunkelheit“, beschreibt sie in einem Gespräch mit dem „SZMagazin“ihre Qualen. Heute beurteilt Nora Tschirner die Abkapselun­g vom eigenen Umfeld als besondere Heimtücke der Depression: „Eine der größten Gefahren ist diese ständige innere Isolation, diese dauerhafte Empfindung, als Einziger die vermeintli­che Hoffnungsl­osigkeit des Lebens entlarvt zu haben.“Die Schauspiel­erin konnte diese innere Mauer durchbrech­en und fand Hilfe in einer Spezialkli­nik. „Die Medikament­e waren wie Gehhilfen für mich, bis mein Körper das wieder selber konnte.“Und über die Therapeute­n sagt sie: „Da gab es plötzlich einen geschützte­n Raum für mich. Da saß jemand. Ich war also nicht mehr allein.“

Nur wer Hilfe zulässt, kann Hilfe empfangen. Und nur wer offen auf andere zugeht, kann deren Bedürftigk­eit erkennen. Nur wer Liebe im Herzen trägt, ist fähig, hinter die Fassade zu blicken und auch die kleinen Anzeichen zu spüren. Diese Sensibilit­ät zu trainieren, macht uns zu glückliche­ren Menschen. Denn mit mehr Achtsamkei­t für den anderen erreichen wir, dass der andere auch uns mehr Achtsamkei­t schenkt.

Eine einzige Kerze vertreibt die Finsternis.

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NORA TSCHIRNER Die erfolgreic­he Schauspiel­erin ließ ihre Depression­en in der Klinik behandeln
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