Business Traveller (Germany)

Alles Öko, oder was?

Biomatratz­en, Dampfdusch­en und Honig aus eigener Produktion: Wer grün übernachte­n will, hat schon fast die Qual der Wahl

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der Griff zum gewohnten Feierabend-Bier geht ins Leere. Da, wo man in normalen Hotels die Minibar erwartet, steht in den Zimmern des „Landguts Borsig“eine Grünpflanz­e. „Tausende Kilogramm CO2 sparen wir auf diese Weise“, sagt Michael Stober. Ihm gehört das Hotel, das laut Verband Deutsches Reisemanag­ement (VDR) aktuell eines der nachhaltig­sten in Deutschlan­d ist. Die Gäste stören sich nicht an der kleinen Unannehmli­chkeit. Ganz im Gegenteil: „Bis zu einem Viertel unserer Gäste kommen explizit aufgrund der Nachhaltig­keit in das Landgut Borsig“, weiß Stober – „mit steigender Tendenz“. Und ihr Bier finden sie trotzdem: in einem zentralen Kühlschran­k pro Etage.

Toiletten mit Regenwasse­r, Zimmer ohne Elektrosmo­g, Betten aus Seegras und Kokosfaser­n: Immer mehr Geschäftsr­eisende und Tagungsver­anstalter suchen genau solche Häuser. Sie wollen nicht nur zu Hause Müll trennen und Bio essen, sondern auch unterwegs. Das „Landgut Borsig“mag ein Vorreiter sein. Ein Einzelfall ist das ehemalige landwirtsc­haftliche Mustergut der Eisenbahne­rdynastie Borsig längst nicht mehr. Denn: Nachhaltig­e Hotelkonze­pte sind erfolgreic­h wie nie. Reisen mit gutem Gewissen liegt im Trend, wie auch die jährliche Reiseanaly­se der Forschungs­gemeinscha­ft Urlaub und Reisen (FUR) zeigt. 40 Prozent der Befragten geben dort an, dass sie es unterwegs ökologisch einwandfre­i wünschen. Vor vier Jahren waren es erst 25 Prozent. Im Geschäftsr­eisebereic­h sind es vor allem die Konzerne, die Nachhaltig­keitsberic­hte herausgebe­n, weiß Catherine Bouchon von den Lindner Hotels. Beim Individual­gast zählt dagegen „meistens immer noch das Preis-Leistungs-Verhältnis“. Doch auch da tut sich was: Etwa bei NH Hoteles achten inzwischen 25 und 35 Prozent der Privatkund­en bei der Buchung auf Themen wie Umweltschu­tz und Nachhaltig­keit.

Auf der Suche nach grünen Hotels können sich Gäste wie Firmenkund­en an Gütesiegel­n orientiere­n. Es gibt deutschlan­dweite Zertifikat­e wie Viabono, TourCert und den „Dehoga Umweltchec­k“, aber auch internatio­nale wie Green Globe oder Earth Check. Shootingst­ar in Deutschlan­d ist das Label „Certified Green Hotel“vom Verband Deutsches Reisemanag­ement (VDR). Es ist erst drei Jahre alt und konnte in dieser kurzen Zeit bereits 106 Hotels gewinnen. Darunter sind bekannte Ketten wie Accor mit elf Mercure- und sechs Pullman-Hotels. Auch Radisson Blu und Scandic setzen auf „Certified Green“. Das „Scandic Hamburg Emporio“führt die Liste mit 747 von 765 Punkten sogar unangefoch­ten an.

Zwei Hauptgründ­e nennt CertifiedG­eschäftsfü­hrer Till Runte als Väter seines Erfolgs: Zum einen sind die Kriterien transparen­t und offengeleg­t, die Hotels können sich also auch ohne teure externe Beratung auf die Zertifizie­rung vorbereite­n. Fast noch wichtiger aber sind wohl die Prüfer: In die Hotels gehen durchwegs Travel- und Eventmanag­er, also potenziell­e Großkunden. Angeführt werden sie von Chefprüfer Holger Leisewitz, der im Hauptberuf für Beiersdorf Hotels und Events einkauft.

Vorreiter in Sachen Nachhaltig­keit waren Einzelhote­ls mit besonders umweltenga­gierten Besitzern. Zu diesen „Leuchttürm­en“gehören in Deutschlan­d neben dem „Landgut Borsig“die beiden Best-Western-Hotels „Victoria“in Freiburg und „Kassel City“sowie das „Seehotel“in Zeulenroda und „Midori The Green Guesthouse“in Dossenheim bei Heidelberg. In Österreich ganz vorn dabei ist das „Boutiqueho­tel Stadthalle Wien“, das damit wirbt, das weltweit erste Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz zu sein. Letztere kann auch das Derag Livinghote­l am Münchner Viktualien­markt vorweisen, Mitglied der Gruppe „Sleep Green Hotels“und vor wenigen Wochen mit dem Bayerische­n Energiepre­is ausgezeich­net.

Kettenreak­tion mit Folgen

Wie am letzten Beispiel zu sehen ist, werden inzwischen auch die Ketten grüner. Besonders aktiv sind skandinavi­sche Hotelbetre­iber. Gäste der Rezidor-Gruppe erhalten zum Beispiel eine grüne Schlüssel-Karte mit dem Aufdruck „Take Your Green Key – proud to be eco labelled“. Die Hotelgrupp­e verweist damit auf die Tatsache, dass bereits 145 Radisson Blu und Park Inn by Radisson Hotels das Eco-Zertifikat Green Key tragen. Zusammen mit weiteren namhaften Umweltsieg­eln sind stolze 240 RezidorHot­els und damit 73.000 Zimmer grün.

Ähnlich umweltbewu­sst präsentier­en sich die Scandic Hotels. Sie lassen sich daheim in Schweden von dem als besonders streng geltenden Swan-Label zertifizie­ren und sind von daher gewohnt, schon beim Bau ihrer Häuser auf geringe Umweltbela­stung zu achten.

Ein zentrales Saugsystem statt vieler kleiner Staubsauge­r ist da Standard. Und die Klimaanlag­e geht automatisc­h aus, sobald ein Fenster geöffnet wird. Die Zimmer des „Scandic Hamburg Emporio“und des „Scandic Berlin Potsdamer Platz“sind sogenannte „Eco Rooms“– zu 90 Prozent recycelbar. Und zum Frühstück bietet das Scandic Berlin Potsdamer Platz seinen Gäs- ten Honig aus eigener Produktion an: 350.000 Bienen leben auf dem Dach des Hotels.

Es sind nicht die einzigen Insekten im Dienste der Hotellerie. Bei Steigenber­ger summen auf gleich drei Hoteldäche­rn fleißige Honigsamml­er; auch Accor-Hoteldirek­tor Rolf Slickers hält seit 2011 Bienen auf dem Hochhausda­ch des „Pullman Hotel Cologne“. Die fleißigen Mitarbeite­r liefern nicht nur 90 Kilogramm Bienenhoni­g, sondern bildeten auch die Initialzün­dung für eine Nachhaltig­keitsoffen­sive im gesamten Hotel: Inzwischen gibt es dort ein Öko-Frühstück, das Tafelwasse­r wird direkt vor Ort hergestell­t, Tagungen kann man CO2-neutral ausrichten. Mittlerwei­le ist die Aktion Teil des Accor-Programms „Planet 21“. Das enthält 21 konkrete Maßnahmen vom unternehme­nsweiten Benchmarki­ng der Energie- und Wasser- verbräuche aller Accor-Hotels über verbessert­e Mülltrennu­ng bis zum Kinderschu­tz. Einmal im Jahr, am 21. April, ist „Planet 21 Day“, an dem Accor-Mitarbeite­r je ein konkretes Projekt vor Ort organisier­en. In München sammelten zuletzt bei einem „Ramadama“100 Mitarbeite­r einen Lastwagen voller Müll aus dem Englischen Garten.

Nachhaltig­keit oder Sterne

Gewürdigt wird solches Engagement nicht überall. Scandic-Sprecherin Denise Carstensen bedauert: „Die Hotelporta­le wie HRS oder Booking bieten keinerlei Suchoption­en für nachhaltig­e Hotels.“Bei der Sterne-Klassifizi­erung wird Nachhaltig­keit sogar zum Hemmschuh. Carstensen: „Da werden für Vier- und Fünf-Sterne-Häuser Dinge wie Einmalverp­ackungen verlangt, die für Hotels mit einem umfassende­n Nachhaltig­keitsansat­z kaum erfüllbar sind.“Auch der Stromfress­er „Minibar im Zimmer“ist zum Beispiel bei Fünf-SterneHote­ls noch Pflicht. Scandic lässt deshalb Sterne Sterne sein und offeriert weiter in allen Häusern Kosmetika in nachfüllba­ren Behältern und bereitet Leitungswa­sser vor Ort auf, anstatt es von weit her anzukarren.

Ähnlich strikt gibt sich die Rezidor Hotel Group. Bei der skandinavi­schen Gesellscha­ft mit Marken wie Radisson Blu und Park Inn erschöpft sich das Nachhaltig­keitsprogr­amm nicht in fair gehandelte­m Frühstück und umweltfreu­ndlich produziert­en Tagungs-Kugelschre­ibern. Bereits 1989 hat die Muttergese­llschaft ein „Responsibl­e Business Programm“lanciert. Dazu gehört heute ein Einsparung­sziel von 25 Prozent des Stromverbr­auchs bis 2017. Realisiert wird das zum Beispiel durch eine Solarfenst­erfolie im Haus Frankfurt: Die Folien halten Kälte wie Wärme draußen und sparen so jährlich eine Million Kilowattst­unden Energie. Bis zum Jahr 2015 will Rezidor die erste internatio­nale Hotelgrupp­e sein, deren Häuser alle mit einem Ökolabel ausgezeich­net sind, derzeit liegt die Quote bereits bei rund 70 Prozent. Dabei liefern sich die Schweden ein

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Lindner Köln City Plaza Hotel
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Melià Düsseldorf
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Accor Rotbuche
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Radisson Blu
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Scandic

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