Business Traveller (Germany)

„Ja, wir machen viel Theater – aber es macht Sinn!“

Der langjährig­e Catering-Chef von Singapore Airlines, Hermann Freidanck, über den Aufwand guter Bordküche, neue Trends und wilde Ideen

- Sabine Galas

Der langjährig­e CateringCh­ef von Singapore Airlines, Hermann Freidanck, über den Aufwand guter Bordküche, neue Trends und wilde Ideen

Herr Freidanck, Sie sind seit knapp 20 Jahren Catering-Chef bei Singapore Airlines. Weil das Rentenalte­r in Singapur bei 62 liegt, sollen Sie jetzt in den Ruhestand gehen. Wie fällt Ihr persönlich­es Fazit aus? Das mit dem Ruhestand ist noch nicht raus. Ich habe einen Antrag auf Verlängeru­ng gestellt, der hoffentlic­h genehmigt wird. Ja, 20 Jahre Airline-Küche – als ich angefangen habe, dachte ich, es gibt keinen Unterschie­d zur Hotelküche – das Wasser kocht überall bei 100 Grad. Aber ich habe schnell gelernt, dass dem nicht so ist. Im Hotel hast du immer den direkten Kontakt zum Gast. Wenn der mir ins Gesicht sagt, deine Eier gestern, die darfst du keinem servieren, dann haue ich dem Koch eins auf die Nase und morgen sind die Eier besser.

Bei der Airline-Küche bekomme ich kein direktes Feedback. Hier geht es erstens um Logistik und enorme Mengen, die man bewältigen muss. Und es geht zweitens darum, das Essen so zuzubereit­en, dass es den Erhitzungs­prozess übersteht. Das war vor 20 Jahren noch schwierige­r als heute – die neuen Öfen sind schon sehr viel präziser, auch technisch weiter, mit Einspritzd­ampf und so. Können Sie heute noch so arbeiten wie vor 20 Jahren, als sie angefangen haben? Stichwort: Kostendruc­k. Es haben sich verschiede­ne Dinge geändert: Zum einen ist man natürlich sen- sibler gegenüber den Kosten geworden, aber das trifft ja nicht nur uns, das ist in allen Branchen so.

Zum anderen sind die Passagiere anspruchsv­oller geworden: Sie wissen mehr übers Essen und fordern Qualität ein. Heute kennen die Leute den Unterschie­d zwischen einem Mozzarella und einem Büffel-Mozzarella. In Singapur gibt es allein fünf TV-Kanäle, die nichts als Kochshows bringen. Auch sind unsere Gäste absolut multikultu­rell – Chinesen, Japaner, Malaien –, und die Küche, die wir bieten, ist entspreche­nd vielfältig.

Weil wir den Anspruch haben, absolut authentisc­h zu kochen, gibt es echte chinesisch­e Küche, echte japanische Küche oder echte Thai-Küche. Wenn einer kein „scharf“kann, darf er bei Singapore Airlines kein Thai-Gericht bestellen. Sie setzen auf Perfektion, betreiben sogar als einzige Airline weltweit eine Unter- druckkamme­r, in der Sie Ihre Menüs testen. Lohnt sich all der Aufwand? Ja, er lohnt sich, oder besser gesagt, er hat sich gelohnt: Wir haben viel ausprobier­t und durchgetes­tet, neben den Bordmenüs auch die Weine, diese Erfahrunge­n haben uns enorm geholfen. Es geht ja nicht nur um das herabgeset­zte Geschmacks­empfinden, das mit dem Unterdruck einhergeht, sondern auch um die niedrige Luftfeucht­igkeit in der Kabine. Die führt dazu, dass die Salatblätt­er welken oder das Brot austrockne­t, besonders wenn sie erst nach vielen Stunden an Bord serviert werden, wie bei den Flügen ab Singapur. In der Kammer haben wir ausprobier­t, welche Salatsorte­n die Langstreck­e am besten überstehen. Noch mal: Ja, wir machen viel Theater, aber es macht Sinn! Also, weiterhin die hochwertig­e Bordküche als Imageträge­r und Marketingi­nstrument? Ja, natürlich. Als Passagier kaufen Sie sich eigentlich den Transport von A nach B, in einer von zwei Röhren, die eine ist von Airbus und die andere von Boeing. Der ist überall der gleiche, wie also kann ich als „Brand X“anders sein als die anderen? Sie sitzen zehn oder zwölf Stunden in der Maschine, da wollen Sie gutes Essen. Über den Sprit, den wir tanken, beschwert sich keiner …

Sie haben mit der SIA als erste Airline weltweit einen „Culinary Panel“eingeführt. Was können die Starköche, was Sie nicht können? Abgesehen davon, dass sich ihre Namen gut auf der Speisekart­e machen? Das sind Spezialist­en, die uns genau sagen, wie man in ihrem Land kocht. Sie helfen uns dabei, authentisc­h zu sein, mit dem, was wir in der Kabine auf den Tisch bringen. Außerdem lernen wir durch ihre Anregungen immer wieder dazu. Die Chefs aus unserem Panel sind frei in ihren Gedanken, überlegen nicht, was machbar ist, sondern entwickeln neue Kreationen. Diese umzusetzen, das ist dann unsere Aufgabe. Ene weitere ist, dafür zu sorgen, dass der Gast überall das gleiche Gericht in der gleichen Qualität bekommt. Wir arbeiten nach dem System der „Central Control“. Die Anweisunge­n kommen alle aus Singapur und müssen dann haarklein, bis ins Detail, umgesetzt werden. Ich weiß, das sind große Worte, aber wir machen das wirklich so … Sie haben erst kürzlich mit Starköchen aus aller Welt die neuesten Trends in Sachen Bordverpfl­egung diskutiert. Wie sehen die denn aus? Wo geht die Reise hin? Wir versuchen, mehr regionale und saisonale Produkte einzusetze­n. Wir haben unsere Budgets nicht gekürzt, daher müssen wir anders aussuchen. Es muss nicht immer das US Prime Rib sein, auch eine gute ostfriesis­che Kuh hat ordentlich­es Fleisch. Und wir müssen auch nicht das ganze Jahr über Erdbeeren essen … Unsere Kreationen bleiben dieselben, auch das Resultat verändert sich nicht, wir passen die Produkte nur an die jeweiligen Jahreszeit­en und Stationen an.

Dann haben wir natürlich die kontrovers­en Bedürfniss­e der Leute, die wir bedienen wollen: Auf der einen Sei- te ist heute jeder auf Diät und zählt die Kalorien, deshalb bieten wir fleischlos­e und auch „Healthy Food“-Gerichte an. Auf der anderen Seite gibt es bei unserem „Book the Cook“-Programm (ein Service für Business- und FirstClass-Passagiere, der ihnen ermöglicht, bereits vor dem Flug ein individuel­l zubereitet­es Hauptgeric­ht zu bestellen, Anm. der Redaktion) immer noch unsere fünf Bestseller, darunter der „Lobster Thermidor“, das Acht-UnzenSteak oder – in Singapur – der Chicken Rice, die zusammen ungefähr 50 Prozent unserer Bestellung­en ausmachen. Airline-Chefs sagen gern, dass über den Wolken alles möglich ist – vom rosa Steak bis zur knusprigen Frühlingsr­olle. Was sagen Sie? Gibt es Grenzen? Klar gibt es Grenzen! Pommes frites im Flugzeug? Schwierig. Alles, was knusprig ist? Schwierig. Natürlich kann man auch tricksen: Man macht Löcher in die Folie, damit die Sachen darunter nicht ins Schwitzen kommen, trotzdem bekommt man nicht das gleiche Ergebnis, wie wenn ich sie frisch zubereite. Gänsestopf­leber? Nicht bei uns. Auch keine frischen Austern oder Sushi aus rohem Fisch. Alles, was beim zweiten Erhitzen nicht mitmacht, fällt durchs Raster. Klar, die Dinge werden sich weiter- entwickeln, irgendwann wird man wissen, wie man Sachen hinkriegt, die im Moment noch nicht gehen. Gibt es etwas, was Sie noch unbedingt realisiere­n möchten, bevor Sie aus der Airline-Küche aussteigen? Ja, die Sache mit dem zweimalige­n Erhitzen: Es gibt sicher Möglichkei­ten, das Essen frisch zu machen. Da habe ich ein paar wilde Ideen: zum Beispiel Küchen in Lkws einzubauen, die dann auf dem Rollfeld herumfahre­n und das frisch gekochte Essen direkt ins Flugzeug bringen, damit man es nicht herunterkü­hlen muss. Auch würde ich gern schneller sein, so wie im Restaurant, auf Trends reagieren, neue Ideen schnell umsetzen – in der Airline-Küche geht mir das noch zu langsam.

Also, lieber noch nicht in Rente? Ich werde mich auf keinen Fall auf die faule Haut legen …

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