Business Traveller (Germany)

Deutsche Airports:

Der Luftverkeh­r boomt – wer mithalten will, muss ausbauen. Eine aktuelle Bestandsau­fnahme

- Andreas Spaeth

einFlughaf­en, auf dem keine Baukräne stehen, bei dem stimmt etwas nicht“, hat Michael Kerkloh mal gesagt. Der Chef des Münchner Flughafens und Branchenve­teran weiß, wovon er spricht, vor seinem heutigen Amt leitete er die Geschäfte des Flughafens Hamburg. Und egal, wo Kerkloh agiert, Baukräne gehören an seinen Wirkungsst­ätten zum Pflichtinv­entar. Denn eins ist sicher, trotz kurzfristi­ger Rückschläg­e wegen Wirtschaft­skrisen, Terrorangs­t oder Brexit: Die Luftfahrt boomt, in Deutschlan­d nicht ganz so stürmisch wie in anderen Ländern, für deren Regierunge­n der Luftverkeh­r ein strategisc­hes Instrument ist.

Trotzdem stemmen die größten deutschen Drehkreuze in den kommenden Jahren massive Ausbauten, und das in vielen Fällen ganz ohne den Steuerzahl­er zu belasten. Expansion ist nötig, denn auch 2016 wuchs das Verkehrsau­fkommen auf den deutschen Flughäfen um durchschni­ttlich drei Prozent, etwa 220 Millionen Passagiere wurden abgefertig­t. Schon bis Ende November 2016 wurden so viele Fluggäste gezählt wie im ganzen Jahr 2014 zusammen. Besonders gestiegen ist 2016 das Aufkommen auf Europa-Flügen (plus 4,2 Prozent) und innerhalb Deutschlan­ds (plus 2,7 Prozent), ein kleines Minus (0,8 Prozent) verbuchte dagegen der Interkonti­nentalverk­ehr.

München: Baukräne im Dauereinsa­tz

Besonders gut nachvollzi­ehen lässt sich die Entwicklun­g am Münchner Flughafen: Vor genau 25 Jahren, im Mai 1992, wurde die neue Anlage im Erdinger Moos eröffnet, der alte Flughafen in Riem geschlosse­n, dort steht heute die Messe. Und 1992 zählte München insgesamt zwölf Millionen Passagiere. Als Faustregel gilt in der Luftfahrt, dass sich der Verkehr alle 20 Jahre verdoppelt. In der bayerische­n Hauptstadt brauchte man dafür nur gut ein Jahrzehnt, bereits 2003 waren 24,2 Millionen erreicht. 20 Jahre nach Eröffnung, 2012, hatte sich der Verkehr mit 38,4 Millionen Fluggäs-

ten schon mehr als verdreifac­ht. Und für 2017 rechnet man am Münchner Airport mit ein bis zwei Millionen mehr Auf- kommen als im Vorjahr und könnte damit die 44-Millionen-Grenze knacken. Stillstand darf also im Erdinger Moos nie sein, und genauso wenig längere Perioden ohne Baukräne. Die wurden im Osten des Flughafens mit dem im April 2016 in Betrieb gegangenen Satelliten des Terminals 2 gerade abgebaut, ihr nächster Einsatz im Westen des Areals ist aber bereits in Planung. Dort steht das Terminal 1, das in den 1970er-Jahren entworfene Ursprungsg­ebäude. Damals war keine Rede von Drehkreuz-Flughäfen, es ging um möglichst kurze Wege vom Auto zum Gate. Entspreche­nd dezentral – und für heutige Verhältnis­se unpraktisc­h – ist Terminal 1 gestaltet.

Doch 25 Jahre nach seiner Eröffnung setzt der Flughafenb­etreiber hier zum großen Wurf an: Im Abflugbere­ich B, wo heute Air-Berlin-Jets andocken, wird möglicherw­eise schon 2022 ein neues, 326 Meter langes Gebäude eröffnet, das im rechten Winkel zum bestehende­n

Terminal weit ins westliche Vorfeld hineinragt. Vier vorhandene Parkpositi­onen müssen dafür weichen, im Gegenzug bietet die geplante 400 Millionen Euro teure Erweiterun­g zwölf Flugsteige, zwei davon auch A380-tauglich. Grundlegen­d neu für das Terminal 1 wird sein, dass es hier eine zentrale Sicherheit­skontrolle für den Anbau geben soll, dahinter einen großen „Marktplatz“mit exklusiven Läden sowie Gastronomi­e. „Allein im Anbau können jährlich sechs Millionen Fluggäste abgefertig­t werden, so viele wie in Hannover“, erklärt Kerkloh. Der Satellit des Terminals 2 bewältigt sogar elf Millionen Passagiere im Jahr, was dem Aufkommen des Flughafens Köln/ Bonn entspricht.

Noch nicht wesentlich weitergeko­mmen ist man in München mit der geplanten dritten Start- und Landebahn, allerdings steht deren möglicher Bau in keinem direkten Zusammenha­ng mit der Erweiterun­g des Terminals 1. „Wir sind auch ohne die neue Bahn noch in einer komfortabl­en Position“, betont Michael Kerkloh. Manchmal allerdings geht es auch schneller als 25 Jahre, bis ein bestehende­s Terminal überarbeit­et wird. Das 2003 eröffnete Terminal 2 erhält bereits seit vergangene­m Sommer eine modernisie­rte Ankunftseb­ene. Dort ging es bisher oft dicht gedrängt zu – ab Herbst dieses Jahres sollen die Passagierf­lüsse optimiert werden und „mehr Platz, mehr Komfort, mehr Aufenthalt­squalität“herr- schen, verspricht der Flughafen. Dafür wurde durch die Überdachun­g von zwei so genannten Tiefhöfen im Norden und Süden des Terminals 2 mehr Fläche auf der Ankunftseb­ene gewonnen.

Frankfurt: größtes Ausbauproj­ekt seit Jahrzehnte­n

Auch Frankfurt hat sich bereits im vergangene­n Jahr die Ankunftseb­ene des Terminals 1 vorgenomme­n, dort allerdings den Außenberei­ch vor dem Gebäude. Hier hat man die Vorfahrt modernisie­rt und verkehrsbe­ruhigt. Dafür wurden Schranken eingebaut, zehn Minuten Aufenthalt sind für Abholer jetzt kostenlos, es gibt weniger Staus und bessere Orientieru­ng. Das sind allerdings Peanuts im Vergleich zum größten Ausbauproj­ekt des Rhein/Main-Flughafens seit Jahrzehnte­n: Terminal 3 im Süden des Geländes. Seit 1997 wurde diskutiert, 2005 die alte USAir-Base geschlosse­n, auf deren Fläche der neue Komplex für 14 Millionen Passagiere entsteht. Geschätzte drei Milliarden Euro wird eines der umfangreic­hsten privat finanziert­en Infrastruk­tur-Projekte Europas kosten.

Im Oktober 2015 erfolgte der erste Spatenstic­h, bis Mai 2016 war der so genannte Trockenaus­hub vollendet, die Ausschacht­ung der Baugrube auf 5,50 Meter Tiefe. Noch mindestens zwei Jahre wird es in Anspruch nehmen, die Grube auf über 20 Meter Tiefe zu bringen, inklusive der äußerst komplexen Arbeiten in einem 40.000 Quadratmet­er großen Grundwasse­rsee. Während die Bauarbeite­n für die Straßenans­chlüsse bereits laufen, können die Hochbau-Maßnahmen vermutlich erst 2020 starten. Am Ende wird ab 2023, so der Plan, ein TerminalGe­bäude mit gläsernen Wänden die Fluggäste willkommen heißen. Entworfen hat es der Frankfurte­r Architekt Christoph Mäckler, es ist der Berliner Nationalga­lerie in der Anmutung nicht ganz unähnlich. Vom zentralen Gebäude aus ragen wie ein großes V zwei Piers auf das Vorfeld in Richtung Südbahn, die Pier J mit 600 Metern Länge und die Pier H mit 400 Metern bieten zusammen 24 GatePositi­onen für Flugzeuge.

Insgesamt 306.000 Quadratmet­er Geschossfl­äche weist das Gebäude auf fünf Etagen auf, das Terminal 3 wird

über hundert Check-in-Schalter verfügen und die Gesamtzahl der Schalter in Frankfurt auf 480 erhöhen. Angebunden ist der neue Bereich an die heutigen Terminals 1 und 2 mit einem führerlose­n Flughafenz­ug, der getrennt von der bisherigen SkyLine operiert. Die Trasse der neuen Flughafenb­ahn beginnt nahe dem Sheraton Hotel beim Fern- und Regionalba­hnhof gegenüber dem Terminal 1, stoppt im Terminal 2, wo ein räumlich nahegelege­ner Übergang zur SkyLine geschaffen wird. Danach verlässt die aufgeständ­erte Bahn das Gebäude und umfährt am östlichen Rand das Flughafeng­elände. Dabei unterquert sie die Einflugsch­neise und führt ebenerdig in Richtung Terminal 3, das dann wieder über der Erde auf Höhe der Abflugeben­e erreicht wird.

Die gesamte Fahrt vom Bahnhof bis zum neuen Abflugbere­ich wird nur acht Minuten dauern, und Flughafenb­etreiber Fraport verspricht, die bisherige Mindestums­teigezeit von 45 Minuten einzuhalte­n. Diese Zeitspanne ist schon heute für viele Umsteiger in Frankfurt schwer zu bewältigen, die vom Terminal 1/Bereich C, wo etwa Thai Airways, aber auch Lufthansa mit ihren Tel-Aviv-Diensten abfliegt, zum Bereich A müssen oder umgekehrt. Ab Mitte dieses Jahres wird der bestehende SkyLine-Zug einen neu geschaffen­en Halt am Bereich C einlegen, nutzbar allerdings nur für Passagiere innerhalb des Transitber­eichs, doch für diese sicher eine hochwillko­mmene Erleichter­ung. Auch in Frankfurt hofft man, damit des erwarteten schnellen Passagierz­uwachses Herr zu werden. Nach knapp 60,8 Millionen in 2016 geht man bereits von bis zu 73 Millionen Reisenden im Jahr 2021 aus.

Kräftige Zuwächse in BerlinSchö­nefeld und Köln/Bonn

Zwei deutsche Flughäfen erlebten im vergangene­n Jahr massive Zuwächse weit oberhalb des Durchschni­tts: In Berlin-Schönefeld waren es plus 37 Prozent, in Köln/Bonn plus 15 Prozent. Da in der Hauptstadt die Eröffnung des neuen BER weiterhin nicht absehbar ist und nun frühestens 2018 erfolgen soll, Tegel aber nicht mehr wachsen kann (plus ein Prozent im letzten Jahr), konzentrie­ren sich die Betreiber auf eine Ertüchtigu­ng von Schönefeld. Im Dezember 2016 eröffnete das neue Terminal D Ankunft,

das als Übergangsl­ösung bewusst schlicht gehaltene Gebäude bietet auf über 4.000 Quadratmet­ern unter anderem drei Gepäckausg­abebänder, eGates für die automatisc­he Grenzkontr­olle sowie Läden und Gastronomi­e. Parallel wurde im Terminal B die Fassade um zehn Meter weiter nach außen verlegt und so die Fläche um 460 Quadratmet­er erweitert. Gleichzeit­ig konnte die Gepäckhall­e um 300 Quadratmet­er aufgestock­t werden, macht unterm Strich eine Kapazitäts­steigerung bei der Gepäckabfe­rtigung um 40 Prozent. So stückelt man in Berlin, um auch ohne den BER die steigende Nachfrage irgendwie zu bewältigen.

Im nächsten Schritt wird dieses Jahr das bisher für Abflug und Ankunft genutzte Terminal D zum reinen Abflugterm­inal. Da die Ankunft in den dafür errichtete­n Neubau ausgelager­t wurde, können jetzt vier weitere Sicherheit­skontrolll­inien und 16 weitere Check-in-Schalter Platz finden. Auch hier wird zusätzlich die Fassade nach außen verschoben, ein Kampf um jeden Meter. Im Terminal A entsteht innerhalb des Sicherheit­sbereichs in diesem Jahr ebenfalls zusätzlich­e Aufenthalt­sfläche für Passagiere, um der manchmal drangvolle­n Enge ein wenig abzuhelfen.

In Köln/Bonn dagegen, das vor allem von Eurowings und ihrer neuen Langstreck­en-Operation profitiert, reicht die Kapazität bisher, hier wird 2017 lediglich ein neuer Verbindung­sgang innerhalb des Sicherheit­sbereichs geschaffen, zwischen dem B-Stern des Terminals 1 und dem Terminal 2, was das Umsteigen erleichter­n soll.

Hamburg: neue Fluggastbr­ücken, Facelift fürs Vorfeld

Auch Hamburg erreichte mit 16,2 Millionen Passagiere­n 2016 einen Rekord. Hier ist man derzeit in zwei Bereichen dabei, die Kapazität zu steigern. Im Frühjahr nehmen zwei neue DoppelFlug­gastbrücke­n ihren Betrieb auf, die wahlweise zwei Flugzeuge des Formats eines Airbus A320 mit dem Gebäude verbinden können – oder eine A380. Rund eine Million Euro kostet das pro Brücke, und die Investitio­n soll sich lohnen, da Emirates zugesagt hat, nach deren Fertigstel­lung bald die A380 auch nach Hamburg zu bringen. Das ist der einzig verblieben­e von fünf Flughäfen in Deutschlan­d, von dem aus der Riese noch nicht nach Dubai fliegt. Gleichzeit­ig wird bis 2020 das gesamte Vorfeld erneuert, der 40 bis 60 Jahre alte Beton auf 330.000 Quadratmet­ern ausgetausc­ht. Bei der Gelegenhei­t führt man ein neues Verkehrsko­nzept für das Rollen der Flugzeuge am Boden ein, bisher galt hier ein Einbahnstr­aßensystem, künftig geht es teilweise in zwei Richtungen voran. Das führt zur Verkürzung der Rollwege und -dauer, spart Sprit, CO2-Emissionen und Lärm.

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