Business Traveller (Germany)

CHENGDU

Chengdu wächst in den Himmel, aber seine Bewohner bleiben entspannt. Eine Stadt, die aus dem Rahmen fällt

- TEXT JEREMY TREDINNICK / SABINE GALAS

Boomtown mit Tradition

D ie Fahrt vom lebhaften Shuangliu Internatio­nal Airport nach Chengdu folgt dem typischen Muster chinesisch­er Städte: Auf einer breiten, gut ausgebaute­n Schnellstr­aße geht es Richtung City, rechts und links die Niederlass­ungen internatio­naler Autohändle­r – von Mazda und Honda bis Mercedes, Maserati und Bentley. Dann taucht wie aus dem Nichts die Skyline auf – ein dichter, grauer Wald steil aufragende­r Wolkenkrat­zer.

Wir fahren nach Norden, auf ein gewaltiges Häusermeer zu, und mir wird klar, dass die Bürotürme von vorhin nur Teil der Tianfu New Area waren, die hier in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft wurde. Diese geplant 600 Quadratmei­len (circa 1.555 Quadratkil­ometer) große Stadt unter der Verwaltung von Chengdu soll

sieben Zonen ausweisen für Gewerbe, Hightech-Firmen, Forschung und Entwicklun­g – umgeben von Bergen, Seen und Parks, die das neu entstehend­e Gebiet zu einem lebenswert­en urbanen Quartier machen sollen.

Chengdu hat in seiner 4.000-jährigen Geschichte und als Zentrum des Einzugsgeb­iets Sichuan schon viele Veränderun­gen durchlebt, aber niemals in der gegenwärti­gen Dimension. „ Als ich vor drei Jahren hierherkam, gab es nur drei internatio­nale Hotels – das Sofitel Wanda, das Shangri-La und das Sheraton –, heute ist es eine stattliche Menge mehr“, staunt Khan Sung, General Manager des brandneuen JW Marriott Chengdu.

Die alte Innenstadt nördlich des Flusses Jin Jiang ist nach wie vor die Drehscheib­e von Business und kulturelle­m Leben, aber 7,8 der insgesamt 14 Millionen Einwohner des gesamten Verwaltung­sbezirks wohnen heute in

prosperier­enden Vororten und urbanen Siedlungen außerhalb des Zentrums.

Trotz des enormen Wachstums hat sich Chengdu im Vergleich zu einigen Städten an der Ostküste seine entspannte Atmosphäre bewahrt, und die Bewohner sind bekannt dafür, auf eine gesunde Work-Life-Balance zu achten. Sie lieben ihre Teehäuser ebenso wie ihre lebendige Kunstszene, gelten als streitbar und weltoffen.

WIRTSCHAFT UND INFRASTRUK­TUR

Laut den neuesten Zahlen des städtische­n Amts für Statistik lag das Bruttoinla­ndsprodukt der Stadt zuletzt umgerechne­t bei über 118,5 Milliarden Euro, was einem Wachstum von 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Damit rangiert Chengdu einen Prozentpun­kt über dem nationalen Durchschni­tt. Vieles davon ist dem Boom in der Automobil- und Pharmaindu­strie geschuldet, aber auch im Bereich IT und Dienstleis­tung geht es stramm bergauf – insbesonde­re in aufstreben­den Regionen wie der Tianfu New Area.

Als China im Jahr 2000 seine „Go-West-Kampagne“lancierte, gehörte Chengdu zu den Vorreitern und hat sich seither zu einem Drehkreuz für das chinesisch­e Business mit Europa, dem Mitt- leren Osten und Afrika entwickelt, auf dem Land und in der Luft.

Im vergangene­n Juli verließ ein Güterzug die Stadt, der voll beladen war mit Elektronik und Motorentei­len und diese ins polnische Lodz brachte. Von dort wurde die Ladung weitertran­sportiert nach Deutschlan­d, in die Niederland­e und die Slowakei. Als der Zug wenige Wochen später retour fuhr, brachte er Waren aus Italien, Frankreich und Spanien mit.

Die Strecke ist Teil von Chinas so genanntem „One Belt, One Road“-Projekt zum Ausbau einer modernen Seidenstra­ße als Landbrücke zwischen der chinesisch­en Ostküste und Europa. Rohstoffe aus Shenzhen, Xiamen, Ningbo und Kunming bekommen über diese Route Zugang zu europäisch­en Märkten und machen Chengdu zu einem wichtigen Verkehrskn­otenpunkt.

Auch in der Luft zeigt sich die Stadt ambitionie­rt: Im Mai 2016 wurde mit dem Bau des Chengdu Tianfu Internatio­nal Airport begonnen – es ist ein 8,2 Milliarden Euro schweres Projekt, das 2020 fertiggest­ellt sein und Chengdus Wirtschaft nochmals ankurbeln soll. Der zweite Flughafen der Stadt entsteht etwa 50 Kilometer südlich in Jianyang City, ein Ausbau des Straßen- und Schienenne­tzes zwischen dem Airport,

Chengdu, der Tianfu New Area und Chongqing ist bereits im Gange.

Warum Chengdu einen zweiten Flughafen braucht, liegt auf der Hand: Das aktuelle Passagiera­ufkommen am Shuangliu Airport beträgt rund 40 Millionen Fluggästen pro Jahr, bis 2020 sollen es 60 Millionen sein. Der zweite Flughafen wird nochmals die gleiche Menge abfertigen können, das doppelte Angebot wird Chengdus Status als viertgrößt­er chinesisch­er Hub nach Peking, Shanghai und Guangzhou zementiere­n.

„ Jetzt, da die Pläne für eine weitere Aufwertung der Stadt und ihrer Infrastruk­tur auf dem Tisch liegen, wird auch das Wirtschaft­swachstum weitergehe­n“, ist Priscilla Wong, Residence Manager beim Serviced-Apartment-Anbieter IFS Residences, überzeugt. „Chengdu wird mit dem zweiten Airport zunehmend internatio­naler werden – neue Flugverbin­dungen nach Asien, Europa, Nordamerik­a und Afrika werden neue Investoren in die Stadt bringen.“

Mittlerwei­le ist die Stadt über die Luft gut erreichbar – aus Europa fliegt eine ganze Reihe Airlines nach Chengdu, darunter Air China und Lufthansa (u. a. nonstop ab Frankfurt), KLM, Sichuan Airlines (nonstop ab Prag), China Southern Airlines (über Amsterdam), Cathay Pacific (über Hongkong) oder Vietnam Airlines (über Hanoi). Tendenz steigend.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? OBEN: Teehäuser und Glaspaläst­e: Boomtown mit Sinn für Tradition
OBEN: Teehäuser und Glaspaläst­e: Boomtown mit Sinn für Tradition
 ??  ?? UNTEN: Banger Blick in die Zukunft: Pandas Lebensraum wird kleiner
UNTEN: Banger Blick in die Zukunft: Pandas Lebensraum wird kleiner

Newspapers in German

Newspapers from Germany