CHENGDU
Chengdu wächst in den Himmel, aber seine Bewohner bleiben entspannt. Eine Stadt, die aus dem Rahmen fällt
Boomtown mit Tradition
D ie Fahrt vom lebhaften Shuangliu International Airport nach Chengdu folgt dem typischen Muster chinesischer Städte: Auf einer breiten, gut ausgebauten Schnellstraße geht es Richtung City, rechts und links die Niederlassungen internationaler Autohändler – von Mazda und Honda bis Mercedes, Maserati und Bentley. Dann taucht wie aus dem Nichts die Skyline auf – ein dichter, grauer Wald steil aufragender Wolkenkratzer.
Wir fahren nach Norden, auf ein gewaltiges Häusermeer zu, und mir wird klar, dass die Bürotürme von vorhin nur Teil der Tianfu New Area waren, die hier in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft wurde. Diese geplant 600 Quadratmeilen (circa 1.555 Quadratkilometer) große Stadt unter der Verwaltung von Chengdu soll
sieben Zonen ausweisen für Gewerbe, Hightech-Firmen, Forschung und Entwicklung – umgeben von Bergen, Seen und Parks, die das neu entstehende Gebiet zu einem lebenswerten urbanen Quartier machen sollen.
Chengdu hat in seiner 4.000-jährigen Geschichte und als Zentrum des Einzugsgebiets Sichuan schon viele Veränderungen durchlebt, aber niemals in der gegenwärtigen Dimension. „ Als ich vor drei Jahren hierherkam, gab es nur drei internationale Hotels – das Sofitel Wanda, das Shangri-La und das Sheraton –, heute ist es eine stattliche Menge mehr“, staunt Khan Sung, General Manager des brandneuen JW Marriott Chengdu.
Die alte Innenstadt nördlich des Flusses Jin Jiang ist nach wie vor die Drehscheibe von Business und kulturellem Leben, aber 7,8 der insgesamt 14 Millionen Einwohner des gesamten Verwaltungsbezirks wohnen heute in
prosperierenden Vororten und urbanen Siedlungen außerhalb des Zentrums.
Trotz des enormen Wachstums hat sich Chengdu im Vergleich zu einigen Städten an der Ostküste seine entspannte Atmosphäre bewahrt, und die Bewohner sind bekannt dafür, auf eine gesunde Work-Life-Balance zu achten. Sie lieben ihre Teehäuser ebenso wie ihre lebendige Kunstszene, gelten als streitbar und weltoffen.
WIRTSCHAFT UND INFRASTRUKTUR
Laut den neuesten Zahlen des städtischen Amts für Statistik lag das Bruttoinlandsprodukt der Stadt zuletzt umgerechnet bei über 118,5 Milliarden Euro, was einem Wachstum von 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Damit rangiert Chengdu einen Prozentpunkt über dem nationalen Durchschnitt. Vieles davon ist dem Boom in der Automobil- und Pharmaindustrie geschuldet, aber auch im Bereich IT und Dienstleistung geht es stramm bergauf – insbesondere in aufstrebenden Regionen wie der Tianfu New Area.
Als China im Jahr 2000 seine „Go-West-Kampagne“lancierte, gehörte Chengdu zu den Vorreitern und hat sich seither zu einem Drehkreuz für das chinesische Business mit Europa, dem Mitt- leren Osten und Afrika entwickelt, auf dem Land und in der Luft.
Im vergangenen Juli verließ ein Güterzug die Stadt, der voll beladen war mit Elektronik und Motorenteilen und diese ins polnische Lodz brachte. Von dort wurde die Ladung weitertransportiert nach Deutschland, in die Niederlande und die Slowakei. Als der Zug wenige Wochen später retour fuhr, brachte er Waren aus Italien, Frankreich und Spanien mit.
Die Strecke ist Teil von Chinas so genanntem „One Belt, One Road“-Projekt zum Ausbau einer modernen Seidenstraße als Landbrücke zwischen der chinesischen Ostküste und Europa. Rohstoffe aus Shenzhen, Xiamen, Ningbo und Kunming bekommen über diese Route Zugang zu europäischen Märkten und machen Chengdu zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt.
Auch in der Luft zeigt sich die Stadt ambitioniert: Im Mai 2016 wurde mit dem Bau des Chengdu Tianfu International Airport begonnen – es ist ein 8,2 Milliarden Euro schweres Projekt, das 2020 fertiggestellt sein und Chengdus Wirtschaft nochmals ankurbeln soll. Der zweite Flughafen der Stadt entsteht etwa 50 Kilometer südlich in Jianyang City, ein Ausbau des Straßen- und Schienennetzes zwischen dem Airport,
Chengdu, der Tianfu New Area und Chongqing ist bereits im Gange.
Warum Chengdu einen zweiten Flughafen braucht, liegt auf der Hand: Das aktuelle Passagieraufkommen am Shuangliu Airport beträgt rund 40 Millionen Fluggästen pro Jahr, bis 2020 sollen es 60 Millionen sein. Der zweite Flughafen wird nochmals die gleiche Menge abfertigen können, das doppelte Angebot wird Chengdus Status als viertgrößter chinesischer Hub nach Peking, Shanghai und Guangzhou zementieren.
„ Jetzt, da die Pläne für eine weitere Aufwertung der Stadt und ihrer Infrastruktur auf dem Tisch liegen, wird auch das Wirtschaftswachstum weitergehen“, ist Priscilla Wong, Residence Manager beim Serviced-Apartment-Anbieter IFS Residences, überzeugt. „Chengdu wird mit dem zweiten Airport zunehmend internationaler werden – neue Flugverbindungen nach Asien, Europa, Nordamerika und Afrika werden neue Investoren in die Stadt bringen.“
Mittlerweile ist die Stadt über die Luft gut erreichbar – aus Europa fliegt eine ganze Reihe Airlines nach Chengdu, darunter Air China und Lufthansa (u. a. nonstop ab Frankfurt), KLM, Sichuan Airlines (nonstop ab Prag), China Southern Airlines (über Amsterdam), Cathay Pacific (über Hongkong) oder Vietnam Airlines (über Hanoi). Tendenz steigend.