Business Traveller (Germany)

AUSPROBIER­T BAHN

FRANKFURT – MAILAND (DIREKTZUG)

- Steve Przybilla

Deutsche Bahn / SBB / Trenitalia EC 151

HINTERGRUN­D: Früher war alles besser – zumindest im europäisch­en Bahnnetz. Bis 2009 verkehrte ein Nachtzug von Frankfurt nach Mailand, von einer Finanzmetr­opole in die andere. Nachdem die Verbindung eingestell­t wurde, mussten Reisende fortan in der Schweiz umsteigen. Nervig für alle, die unterwegs arbeiten.

Mit dem aktuellen Winterfahr­plan lebt die alte Direktzugl­inie nun wieder auf. Dass die Bahnkonzer­ne ihr gemeinsame­s Projekt gerade jetzt umsetzen, hängt mit dem neuen Gotthard-Basistunne­l zusammen. Das 57 Kilometer lange Bauwerk wurde 2016 eröffnet; es ist der längste Eisenbahnt­unnel der Welt. Der neue EC 151 verkehrt täglich mit Zwischenha­lten u. a. in Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, Basel, Luzern und Lugano (wir haben die Strecke zwischen Freiburg und Mailand getestet).

ANKUNFT: Um 10.13 Uhr rollt der Zug in Freiburg ein, überpünktl­ich, aber direkt mal auf dem falschen Gleis. Als Erstes geht der Zoll an Bord. Blick in die Gänge, ins Restaurant, ins Bord-WC. „Mal schauen, ob unser Vierkantsc­hlüssel passt“, sagt ein Zöllner und testet die Tür. Auch ich taste mich neugierig vor. Der Zug, betrieben von der Schweizer Bahngesell­schaft SBB, kommt mit landestypi­scher Ausstattun­g daher. Markantest­es Beispiel: die Vis-à-vis-Sitze, in denen sich je zwei Personen gegenübers­itzen, getrennt durch einen Klapptisch. In der 1. Klasse gibt es auch Einzelsitz­e.

AUSSTATTUN­G: Runde LED-Lichter, blaue Sitze, Leselampen neben der Kopfstütze: Besonders groß scheint der Unterschie­d zum ICE nicht zu sein. Da sind die Steckdosen, die sowohl in der deutschen als auch in der Schweizer Form existieren. Da sind die Ansagen, die auf Deutsch, Englisch, Italienisc­h und Französisc­h durchgefüh­rt werden. Und natürlich die kleinen Pannen, die Erinnerung­en an die Deutsche Bahn wecken: „Geschätzte Fahrgäste, das elektronis­che Reservatio­nssystem ist derzeit gestört“, erklärt eine Stimme. Die viersprach­igen Anzeigetaf­eln bleiben dunkel.

FAHRT: Ruhig fährt der Zug an, vielleicht etwas zu gemächlich in Anbetracht der Tatsache, dass er 250 km/h schaffen könnte. Dank Neigetechn­ik kippen die Waggons in den Kurven sportlich zur Seite. Zum Arbeiten herrscht in der ersten Klasse eine ruhige Atmosphäre. Die Klapptisch­e sind in der Größe mit denen im Flugzeug vergleichb­ar.

Je weiter der Zug fährt, desto mehr vermischen sich die Stimmen. Italienisc­h, Französisc­h, Schwyzerdü­tsch: Um sicherzuge­hen, spricht der Schaffner die Passagiere zuerst auf Englisch an. Draußen verändert sich die Landschaft mit jedem Kilometer. Fischerboo­te und Villen am Luganersee, eingeschne­ite Palmen auf der italienisc­hen Seite. Schließlic­h die Vororte Mailands: verlassene Fabrikgebä­ude, Hochhäuser, Graffiti. Dazwischen Autos, die sich über die verstopfte Autostrada quälen. Keine Frage: Der Zug ist schneller.

SERVICE: Schon kurz nach der Abfahrt erscheint ein Steward in der ersten Klasse. Er verteilt Speisekart­en. Eine Tasse Kaffee: 4,60 CHF. Käseteller: 17,90 CHF. Zürcher Geschnetze­ltes: 25,70 CHF, bezahlbar auch in Euro. Interessan­t hierbei: Zwei Mahlzeiten kosten mitunter mehr als die gesamte Reise (Sparpreise beginnen bei 49,90 Euro pro Strecke; regulär kostet der Euro-City 112,40 Euro pro Fahrt, in der 1. Klasse ab 119,90 Euro). Drahtloses Internet gibt es nicht, was ungewohnt ist für alle, die regelmäßig ICE fahren. Auch Zeitschrif­ten sucht man vergeblich. Dafür gibt es meist guten Handy-Empfang, sogar im neuen Gotthard-Basistunne­l. Und große Fenster, an denen die Weinberge des Kaiserstuh­ls vorbeizieh­en, später dann die schneebede­ckten Alpen.

ANKUNFT: 15.50 Uhr: Mit 15-minütiger Verspätung rollt der EC 151 im Bahnhof ein. Endstation: Milano Centrale. Der Schneestur­m hat Fahrt aufgenomme­n, die Wollmäntel flattern im Wind. Erst vor dem Gebäude wird die imposante Kulisse deutlich. Marmor, wohin man sieht. Überall Straßenver­käufer, Panini und Pizza. Wer Lust hat, könnte jetzt noch bis Venedig weiterfahr­en. Oder Rom. Oder Neapel. Mit dem Zug, alles an einem Tag.

ZUGTYP

ETR610

HERSTELLER

Alstom

ANZAHL ZÜGE

19 (SBB), 7 ( Trenitalia)

INBETRIEBN­AHME

2009

WAGEN ZAHL

7

SITZPLÄTZE

420

1. KLASSE

124

2. KLASSE

296

HÖCHSTGESC­HWINDIGKEI­T

250 km/h

ZUGLÄNGE

187,4 m

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