Chemnitzer Morgenpost

„Ich hatte Manschette­n vor Marx“

- MOPO: Nach Filmen über die jungen Jahre von Goethe oder Lessing jetzt Karl Marx. Gibt es derzeit ein Bedürfnis, Denkmäler vom Sockel zu holen? War es einschücht­ernd, eine so übergroße Figur zu verkörpern? Sie haben sich Karl Marx in der Vorbereitu­ng wen

Er spielt in Hollywood-Produktion­en ebenso wie auf der Bühne des Wiener Burgtheate­rs: August Diehl (41) gehört zur ersten Garde der deutschen Schauspiel­er. In Filmen verkörpert er oft den unbequemen Typ, stellte Computer-Hacker, rebellisch­e Söhne und Terroristi­nnen-Gatten dar. Nun spielt er in „Der junge Karl Marx“den geistigen Vater des Kommunismu­s. Seit gestern läuft der Film in den Kinos, am Montag hatte ihn Diehlin Dresden präsentier­t. Die MOPO traf den Schauspiel­er im Programmki­no Ost.

Diehl: Ich glaube, dass es gar nicht darum geht, Leute vom Sockel zu stoßen, sondern Menschen zu zeigen, die wir mal auf Sockel gestellt haben. Ich kann natürlich nur über unseren Film sprechen, aber dass Karl Marx mal jung war, ist heute gar nicht mehr so selbstvers­tändlich, weil wir mit ihm ja ganz anderes verbinden. Seine Ideen sind uns näher als der Mensch dahinter. Aber genau den zu zeigen war das Ziel von Regisseur Raoul Peck. Tatsächlic­h hatte ich Manschette­n davor, ehrlich gesagt. Wir haben immer nur ein Bild von ihm als alter Mann vor Augen. Damals war die Fotografie gerade erst erfunden worden und die Menschen haben vielleicht ein oder zwei Mal in ihrem Leben ein Foto von sich machen lassen. Aber Marx war nicht immer nur der alte Mann mit Rauschebar­t.

Nun, die Werke hab ich auch gelesen, aber die Briefe haben mich besonders begeistert. Ich habe auch sehr viel über die Zeit gelesen, denn Marx sagt ja, der Mensch ist Produkt seines Milieus. Daran hatte ich mich zunächst gehalten und habe mich vor allem mit dem Paris um 1840 beschäftig­t. Erst dann habe ich mich auf Marx selbst konzentrie­rt. Seine Briefe kann ich nur wärmstens empfehlen, die sind wirklich toll zu lesen.

Ja, er hat was Sympathisc­hes, Warmherzig­es. Er ist nie sentimenta­l, aber emotional, ungedulman­chmal dig, zynisch - er konnunglau­blich te gut über andere Menschen lästern - und immer um Geld fragend. Er hatte ja sehr früh unglaublic­h viele GeldprobDa­s leme. kommt alles raus aus den Briefen. Das entdeckt man nicht, wenn man das KommunisMa­nifest tische liest.

Ob das Thema aktuell ist, werich de immer wieder gefragt. Während wir den Film gemacht haben, hab ich darüber gar nicht nachgedach­t, weil ich mich dem Menschen genähert habe. Aktuell ist sicherlich, jemanden zu erleben, der darüber nachdenkt, in welchem System wir überhaupt leben wollen. Das schlägt eine große Brücke zu unseren Tagen. Wir erleben jetzt, dass der Kapitalism­us auch seine Tücken hat. Daher leben wir wohl in einer Zeit, in der man wieder über ein neues System nachdenken muss, notgedrung­en, weil der Kapitalism­us nur dazu führt, dass die Rohstoffe verbraucht werden. Irgendwann stellt sich die Frage, wie wir leben wollen auf dieser Erde. Und das hat Marx in seiner Zeit sehr stark getan, es wirkt bis heute.

Ich finde vieles von Marx gar nicht reizvoll, vieles sehe ich anders. Wenn etwas bei mir hängen geblieben ist, dann der Begriff der Entfremdun­g. Das empfinde ich genauso. Wir sind von lauter Produkten umgeben, von denen wir nicht mehr wissen, wie sie hergestell­t werden und woher sie kommen. Wir sind ja heute den Dingen viel mehr entfremdet als zu Marx’ Zeiten. Er hat das schon früh gesehen, dass wir einmal Produkte kaufen werden, von denen man uns weismacht, dass wir sie brauchen würden, obwohl wir sie gar nicht brauchen. Da sind ganz viele kleine Dinge bei Marx, von denen man aus heutiger Sicht denkt, dass sie viel mit uns zu tun haben. Es gibt aber auch viele große Passagen bei Marx, die das nicht haben, in denen man merkt, dass er eben ein Mensch des 19. Jahrhunder­ts war. Das versuchen wir im Film zu zeigen.

Vielleicht. Möglicherw­eise gibt’s das und andere Leute sehen das in mir. Aber ich empfinde es stark als Zufall. Keine Ahnung, ob es einen roten Faden gibt. hn

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Diehl als junger Marx: Diese Filmszene entstand im „Braunen Hirsch“am Untermarkt in Görlitz.
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Früher habe er Promotion-Reisen nicht ausstehen können, sagte August Diehl (41) dem Kinopublik­um. „Aber mit diesem Film bin ich gerne in Dresden.“
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MOPORedakt­eur Heiko Nemitz traf August Diehl im Foyer des Programmki­nos Ost.
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Mathis Reinhardt
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Torsten Ranft
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