Erdogan pfeift auf EU
Alle Aufmerksamkeit in der Türkei gilt in diesen Tagen dem Gedenken an den Putschversuch vor einem Jahr das Interesse an der Europäischen Union ist dagegen mau. Im Gegenteil: Staats-Chef Recep Tayyip Erdogan (63) hat indirekt angedeutet, gar kein Interesse mehr an einem Beitritt zu haben.
In einem Interview beschuldigt der türkische Präsident die EU, mit den Beitrittsgesprächen die Zeit seines Landes zu verschwenden. „Sollte die EU direkt sagen: ‚Wir können die Türkei nicht in die Union aufnehmen’ - wird das für uns trostbringend“, sagte Erdogan der BBC. „Dann werden wir zu den Plänen B und C übergehen. Die EU ist für uns nicht unentbehrlich.“Näher erläutert hat er diese Pläne jedoch nicht.
Fast täglich führt Ankara mit seiner Politik den Beitrittspoker ad absurdum - für Polit-Experten nicht überraschend: Sie gehen davon aus, dass die Verhandlungen erstens ein Instrument dafür sind, auch weiterhin ohne Einschränkung Zugang zum europäischen Markt zu haben. Außerdem müsste Erdogan damit rechnen, dass ansonsten internationales Ka- pital schlagartig aus seinem Land abgezogen würde.
Kurz vorm Putschversuchs-Jahrestag am 15. Juli wies der Präsident auch zurück, dass seitdem mehr als 100 Journalisten festgenommen worden sind: Zurzeit säßen nur zwei „echte Journalisten“in Haft, so Erdogan: „Die anderen besitzen keine Presseausweise.“
Höhepunkt der zahlreichen Feierlichkeiten zum Putschversuch soll eine Ansprache Erdogans im Parlament in Ankara in der Nacht zum Sonntag sein - die größten Oppositionsparteien CHP und HDP sind nicht eingeladen.