Chemnitzer Morgenpost

„Nach 40 Jahren ist meine gute Stube wieder aufgetauch­t“

- Von Hermann Tydecks

BAUTZEN - Vor 40 Jahren wurde ein Ort in der Lausitz von der Landkarte getilgt. Das 100-Seelen-Dorf Malsitz versank im Wasser, musste der neu errichtete­n Talsperre Bautzen geopfert werden. Wegen Bauarbeite­n ist der Wasserspie­gel jetzt über fünf Meter gefallen - und die Vergangenh­eit aufgetauch­t!

Der Ur-Malsitzer Rainer Sickert (73) schreitet einen Weg im Watt entlang, es ist die alte Dorfstraße. Da, wo einst der Kies unter seinen Schuhen knirschte, liegen jetzt Muscheln. Graue Baumstümpf­e säumen den Weg. „Ich bin zurück zu Hause“, sagt er.

Vor einem halben Jahrhunder­t kletterte er auf den prächtigen Eichen herum. Genau wie Jutta Ohse (58), die ihre alte Heimat wiederentd­eckt: „Da drüben war der Schweinest­all der LPG, meine Mutter arbeitete da. Da hinten der Steinbruch. Und dort haben wir im Winter Rehe gefüttert. Es ist, als lebte man gleich wieder hier.“Die Malsitzer wurden in den frühen 70er-Jahren umgesiedel­t, bekamen in Bautzen und Niederkain­a neue Häuser oder Wohnungen. Bevor das Wasser der Talsperre dann alles in der Senke begrub, wurden rund drei Dutzend Häuser im Dorf abgerissen. Zwischen Schutt und Schlamm finden sich auch heute noch Überreste wie Räder alter Bauerngerä­tschaften.

Rainer Sickerts Finger wandern über die steinernen Ruinen: „Hier stand das alte Herrenhaus, da hinten die Mühle. Und dort habe ich gewohnt.“Der Rentner erkennt alles sofort wieder: „Hier stand der Fernseher. Und da, wo kein Schutt liegt, war der Gemüsegart­en. Ich schaue gleich mal, wie weit die Radieschen sind“, scherzt er. Wehmütig ist er kaum, genießt lieber die vielen Erinnerung­en.

Aktuell kommen immer mehr Besucher zur Talsperre, machen die Reise in die Vergangenh­eit. Nur bis Ende Oktober ist das noch möglich! Bis dahin dauert die Sanierung der beiden Staudämme. Dann kommt das Wasser der Spree zurück - und verschling­t das alte Malsitz wieder ...

 ??  ?? Rainer Sickert traf bei seinem Spaziergan­g Jutta Ohse, die auch in Malsitz lebte. Vor den Überresten der LPG-Halle tauschten sich beide herzlich aus. Auch ein altes Rad hat die „Ebbe“freigelegt. Hier stand die LPG-Halle in Malsitz. Sie wurde wie alle...
Rainer Sickert traf bei seinem Spaziergan­g Jutta Ohse, die auch in Malsitz lebte. Vor den Überresten der LPG-Halle tauschten sich beide herzlich aus. Auch ein altes Rad hat die „Ebbe“freigelegt. Hier stand die LPG-Halle in Malsitz. Sie wurde wie alle...

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