Realität verfehlt
Ab morgen haben Arbeitnehmer in Deutschland einen Anspruch, von ihrem Arbeitgeber zu erfahren, ob sie fair bezahlt werden. Das regelt das neue Entgelttransparenzgesetz, mit dem die Bundesregierung für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Mann und Frau sorgen will. Unternehmen
ab 200 Angestellte müssen dann Auskunft darüber geben, welchen Mittellohn (Median) die Kollegen anderen Geschlechts bei gleicher Tätigkeit beziehen. Zwei
Tage vor dem Auskunftsanspruch präsentiert Sachsens Arbeitsagentur nun den Vergleich der Medianlöhne im Freistaat. Und der klingt zunächst mal nicht schlecht: Frauen verdienen zwar immer noch weniger, sind aber bis auf 57 Euro an die Männer herangerückt. Doch
wie aussagekräftig ist das? Ein solcher Vergleich verdeutlicht im Prinzip nur eines: Frauen arbeiten mehrheitlich in schlechter bezahlten Branchen wie dem Dienstleistungssektor, dem Gesundheits- und Sozialwesen, während Männer an Autos, Maschinen und Anlagen schrauben - und dafür mehr Geld gezahlt wird. Uber
Entlohnungsgerechtigkeit sagt diese Studie wenig bis nichts aus. Und sie ignoriert auch die Realität auf dem Arbeitsmarkt. Denn die Verdienste von Teilzeitkräften wurden gar nicht erst erfasst. Dabei liegt gerade im sächsischen Gesundheits- und Sozialwesen die Teilzeitquote bei über 57 Prozent, im Einzelhandel gar bei 58 Prozent. Lohngerechtigkeit
ist wichtig! Denn die ungleiche Bezahlung birgt ein erhöhtes Armutsrisiko im Alter. Viele Frauen, die in unterbezahlten Jobs arbeiten, mithin zu wenige Rentenpunkte während ihres Erwerbslebens sammeln, werden später von ihrer Rente nicht leben können. Wer
daran ernsthaft etwas ändern will, sollte es nicht bei einem Entgelttransparenzgesetz belassen. Was Frauen wirklich brauchen, sind mehr Vollzeitjobs, ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit nach der Babypause und ausreichende Angebote der Kinderbetreuung.
Bericht Seiten 10/11