Chemnitzer Morgenpost

Warum Sachsens Juden die Kippa in der Tasche lassen

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LEIPZIG - Geschmiert­e Hakenkreuz­e, Beleidigun­gen, Gewalt - 118 Straftaten mit antisemiti­schem Hintergrun­d gab es 2017 in Sachsen. Auch sieben Jahrzehnte nach dem Holocaust trauen sich die meisten der hier lebenden Juden nicht, sich in der Öffentlich­keit zu ihrem Glauben zu bekennen. Das bösartige Geschwür des Judenhasse­s wächst, sagt Küf Kaufmann, Vorsitzend­er der Israelitis­chen Religionsg­emeinde Leipzig.

Beim Marsch des Lebens werden am Mittwochab­end wieder Hunderte Menschen in Leipzig den Opfern des Holocaust gedenken und gegen Antisemiti­smus protestier­en. Auch Küf Kaufmann (70) wird dabei sein und auf dem Kopf seine Kippa tragen.

Im Alltag sieht man die kleine Kopfbedeck­ung hingegen kaum. Während Schleier, Turbane und Burkas in Sachsen längst zum Straßenbil­d gehören, verzichten viele der hier lebenden Juden lieber auf das Tragen von religiösen Symbolen in der Öffentlich­keit. Der Kopf werde dann eher mit einem neutralen Hut oder einer Baseballka­ppe bedeckt, räumt Gemeindech­ef Küf Kaufmann ein.

Die Vorsicht ist begründet. Als im Herbst 2017 TV-Reporter den Holocaust-Überlebend­en Rolf Isaacson (85) am Leipziger Synagogen-Denkmal interviewt­en, zeigten Neonazis vor laufender Kamera drohend den Hitlergruß. Neben 104 Volksverhe­tzungs-Delikten registrier­te die Polizei im letzten Jahr in Sachsen auch elf Sachbeschä­digungen mit Antisemiti­smus-Hintergrun­d und drei körperlich­e Angriffe auf Juden, wie das Innenminis­terium auf eine Anfrage der Landtagsab­geordneten Kerstin Köditz (51, Linke) erklärte.

„Mir macht es Sorge, dass dieses bösartige Geschwür des Judenhasse­s im Körper der Gesellscha­ft lebt und wächst“, sagt Küf Kaufmann im Gespräch mit der Morgenpost. Seine Frau bezeichne ihn inzwischen ironisch als „Masochiste­n“. „...weil ich immer, wenn ich im Internet bin, in sozialen Netzwerken den Suchbegrif­f Jude eingebe“, erzählt Kaufmann. Und dann wählt der Gemeindech­ef drastische Worte: „Ich finde dann immer einen riesigen Berg Scheiße aus Beleidigun­gen, Drohungen und Verschwöru­ngstheorie­n, der mir direkt ins Gesicht schlägt.“

Die virtuelle Welt sei ein Spiegel der realen Welt, sagt Kaufmann. Dabei mache es für ihn keinen Unterschie­d, ob ihm der Hass von rechts, links oder von Einwandere­rn entgegensc­hlägt. „Mich interessie­rt nicht, mit welcher Art Antisemiti­smus ich es zu tun habe - ich stelle nur mit Erschrecke­n fest, dass es seit dem Mittelalte­r nicht gelungen ist, die menschlich­e Familie von dieser Krankheit zu heilen.“-bi.-

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 ??  ?? Schmierere­ien an der Außenmauer der Dresdner Synagoge. Die Zahl antisemiti­scher Straftaten stieg in Sachsen von 90 im Jahr 2016 auf 118 im vergangene­n Jahr an.
Schmierere­ien an der Außenmauer der Dresdner Synagoge. Die Zahl antisemiti­scher Straftaten stieg in Sachsen von 90 im Jahr 2016 auf 118 im vergangene­n Jahr an.

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