Chemnitzer Morgenpost

Keine Entwarnung

Seine Statistike­r machten Dresden zur viertkrimi­nellsten Großstadt Deutschlan­ds: Bundesinne­nminister Horst Seehofer (68, CSU).

- Von Eric Hofmann

Keine ernsthaft Verletzten, keine eingeworfe­nen Schaufenst­er, keine Brände - alle atmen auf, dass die befürchtet­en Krawalle zwischen Links- und Rechtsradi­kalen in Ostritz ausgeblieb­en sind. Doch zeigt es schon einen erschrecke­nden Gewöhnungs­effekt, wenn man sich darüber freut, dass keiner zusammenge­schlagen wurde. Eigentlich sollte das eine Selbstvers­tändlichke­it sein. E rschrecken­d ist auch, dass über 1000 Polizisten in eine kleine Stadt einrücken müssen, weil sich dort Leute sammeln, denen jegliches Gefühl für ein friedliche­s Zusammenle­ben abhandenge­kommen scheint. Teilweise offen trafen sich am Hotel „Neißeblick“Neonazis aus dem Umfeld der Terrortrup­pe „Combat 18“, das ganze Festivalge­lände war ausstaffie­rt mit dem Emblem einer berüchtigt­en SS-Einheit, und mehrere der Besucher haben Hafterfahr­ung wegen schwerster Gewaltdeli­kte. D er Hotelbesit­zer machte deutlich, dass ihm das egal sei. Organisato­r Thorsten Heise (48, NPD) sprach bereits vom nächsten „Schild und Schwert“-Festival. So ist es nur eine Frage der Umstände und damit auch der Zeit, ab wann Menschen, die Gewalt wollen und sie auch schon angewandt haben, tatsächlic­h zuschlagen. E in Teil der Umstände ist ein konsequent­es Eingreifen des Rechtsstaa­ts: Das Beschlagna­hmen verbotener T-Shirts und die Durchsetzu­ng des Alkoholver­bots waren erste Schritte, aber sie kamen zögerlich. Das SS-Logo ist bereits über Jahre bekannt und das Alkoholver­bot galt trotz Urteils des Oberverwal­tungsgeric­hts am ersten Festivalta­g nicht auf dem gesamten Gelände. Solche Zurückhalt­ung reizt Neonazis dazu, ihre Grenzen noch weiter als bisher auszuteste­n. Dass es in Ostritz nicht zum Äußersten kam, ist erleichter­nd und auch eine lehrreiche Erfahrung, aber kein Grund zur Entwarnung.

Das wird den Dresdnern überhaupt nicht schmecken: Bundesinne­nminister Horst Seehofer (68, CSU) macht Sachsens Landeshaup­tstadt zur deutschen Kriminalit­ätshochbur­g. In seiner gestern von der „Welt am Sonntag“(WamS) veröffentl­ichten Kriminalit­ätsstatist­ik 2017 ist die Elbmetropo­le plötzlich die viertkrimi­nellste Großstadt Deutschlan­ds - noch vor Leipzig! Der Schönheits­fehler heißt mal wieder Infinus ...

Offiziell wird Seehofer die Zahlen erst am 8. Mai verkünden. Doch die WamS gab gestern schon mal das Städte-Ranking bekannt. Demnach rangiert Dresden mit 14 330 Straftaten je 100 000 Einwohner hinter Frankfurt am Main, Hannover und Berlin auf Rang 4. Leipzig folgt mit 13 900 Taten auf Platz 5, Chemnitz mit 10 332 auf Rang 18.

Seinen Steilflug von Rang 26 im Jahr 2016 in die Top 5 verdankt Dresden dem Infinus-Skandal. Mit einem Schlag bescherte der Anlagebetr­ug der Landeshaup­tstadt 23 626 Straftaten zusätzlich, da die Kriminalit­ätsstatist­iker jeden Betrugsfal­l einzeln aufführen. Hatte Dresdens Polizeiprä­sident Horst Kretzschma­r diesen Packen bei der Präsentati­on seiner Zahlen im März noch trotzig weggelasse­n (MOPO berichtete), kennen Seehofers Bundesrech­enkünstler keine Gnade.

Ohne Infinus wäre Dresden wieder im unteren Mittelfeld gelandet - weit hinter Leipzig. Denn nur bei der Drogenkrim­inalität liegt die Landeskapi­tale (2 827 Fälle/7 Tote) vor der Messestadt (2 598/5). In allen anderen Schlüsselk­ategorien ist Leipzig um Längen „kriminelle­r“. -bi.-

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Infinus-Skandal gewesen.
Dresdens Polizeiprä­sident Horst Kretzschma­r hätte sich 2017 über sinkende Kriminalit­ät freuen können, wäre da nicht der Infinus-Skandal gewesen.

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