Keine Entwarnung
Seine Statistiker machten Dresden zur viertkriminellsten Großstadt Deutschlands: Bundesinnenminister Horst Seehofer (68, CSU).
Keine ernsthaft Verletzten, keine eingeworfenen Schaufenster, keine Brände - alle atmen auf, dass die befürchteten Krawalle zwischen Links- und Rechtsradikalen in Ostritz ausgeblieben sind. Doch zeigt es schon einen erschreckenden Gewöhnungseffekt, wenn man sich darüber freut, dass keiner zusammengeschlagen wurde. Eigentlich sollte das eine Selbstverständlichkeit sein. E rschreckend ist auch, dass über 1000 Polizisten in eine kleine Stadt einrücken müssen, weil sich dort Leute sammeln, denen jegliches Gefühl für ein friedliches Zusammenleben abhandengekommen scheint. Teilweise offen trafen sich am Hotel „Neißeblick“Neonazis aus dem Umfeld der Terrortruppe „Combat 18“, das ganze Festivalgelände war ausstaffiert mit dem Emblem einer berüchtigten SS-Einheit, und mehrere der Besucher haben Hafterfahrung wegen schwerster Gewaltdelikte. D er Hotelbesitzer machte deutlich, dass ihm das egal sei. Organisator Thorsten Heise (48, NPD) sprach bereits vom nächsten „Schild und Schwert“-Festival. So ist es nur eine Frage der Umstände und damit auch der Zeit, ab wann Menschen, die Gewalt wollen und sie auch schon angewandt haben, tatsächlich zuschlagen. E in Teil der Umstände ist ein konsequentes Eingreifen des Rechtsstaats: Das Beschlagnahmen verbotener T-Shirts und die Durchsetzung des Alkoholverbots waren erste Schritte, aber sie kamen zögerlich. Das SS-Logo ist bereits über Jahre bekannt und das Alkoholverbot galt trotz Urteils des Oberverwaltungsgerichts am ersten Festivaltag nicht auf dem gesamten Gelände. Solche Zurückhaltung reizt Neonazis dazu, ihre Grenzen noch weiter als bisher auszutesten. Dass es in Ostritz nicht zum Äußersten kam, ist erleichternd und auch eine lehrreiche Erfahrung, aber kein Grund zur Entwarnung.
Das wird den Dresdnern überhaupt nicht schmecken: Bundesinnenminister Horst Seehofer (68, CSU) macht Sachsens Landeshauptstadt zur deutschen Kriminalitätshochburg. In seiner gestern von der „Welt am Sonntag“(WamS) veröffentlichten Kriminalitätsstatistik 2017 ist die Elbmetropole plötzlich die viertkriminellste Großstadt Deutschlands - noch vor Leipzig! Der Schönheitsfehler heißt mal wieder Infinus ...
Offiziell wird Seehofer die Zahlen erst am 8. Mai verkünden. Doch die WamS gab gestern schon mal das Städte-Ranking bekannt. Demnach rangiert Dresden mit 14 330 Straftaten je 100 000 Einwohner hinter Frankfurt am Main, Hannover und Berlin auf Rang 4. Leipzig folgt mit 13 900 Taten auf Platz 5, Chemnitz mit 10 332 auf Rang 18.
Seinen Steilflug von Rang 26 im Jahr 2016 in die Top 5 verdankt Dresden dem Infinus-Skandal. Mit einem Schlag bescherte der Anlagebetrug der Landeshauptstadt 23 626 Straftaten zusätzlich, da die Kriminalitätsstatistiker jeden Betrugsfall einzeln aufführen. Hatte Dresdens Polizeipräsident Horst Kretzschmar diesen Packen bei der Präsentation seiner Zahlen im März noch trotzig weggelassen (MOPO berichtete), kennen Seehofers Bundesrechenkünstler keine Gnade.
Ohne Infinus wäre Dresden wieder im unteren Mittelfeld gelandet - weit hinter Leipzig. Denn nur bei der Drogenkriminalität liegt die Landeskapitale (2 827 Fälle/7 Tote) vor der Messestadt (2 598/5). In allen anderen Schlüsselkategorien ist Leipzig um Längen „krimineller“. -bi.-