Die Leichtigkeit von Junglöwe Lingard
MOSKAU - Frau Lingard hatte verstanden. Ihr Sohn hatteesjaauchlautunddeutlich in die soziale Netzwelt geschrien. „Nein, Mutti, ich komme nicht nach Hause. Aber der Fußball ...“
Also setzte sich Mrs. Lingard in den Flieger nach Samara und überraschte Jesse. Auf der Tribüne fielen sich Mutter und Sohn nach dem Viertelfinalsieg gegen Schweden in die Arme - und wenige Momente später waren Millionen Zuschauer bei Instagram und Twitter wieder hautnah mit dabei.
Jesse Lingard, 25, ist einer der hungrigen Junglöwen Englands, die gegen Kroatien um das WM-Finale kämpfen. Als laufstarker Mittelfeldspieler leistet er auf dem Rasen wertvolle Dienste, ohne sich in den Mittelpunkt des Rudels zu drängen. Ganz anders verhält sich Lingard nach dem Abpfiff: Dann wird er zu JLingz, der Marke mit Millionen von Followern, ein Popstar, der weder sich selbst noch den Fußball allzu ernst nimmt. Lingard plappert gerne und viel. Und er tanzt. Ständig. „Ich verstehe nicht, wenn die Leute sagen: ‚Warum tanzt du immer?‘ Was meinst du damit? So bin ich einfach. Wer hat das Recht mir zu sagen, dass ich nicht tanzen darf?“Eine Antwort darauf lieferte Ex-Nationalspieler Rio Ferdinand: „Solange du nichts gewonnen hast, darfst du solche Dinge nicht tun.“
Ferdinand steht für eine verlorene Generation englischer Fußballer, die mit heiligem Ernst und zunehmender Verzweiflung einem Traum hinterherjagte. Alternde Löwen ohne Biss, die nicht mehr in der Lage waren, die großen Erwartungen des Fußball-Mutterlandes zu erfüllen und schließlich nicht mehr geliebt wurden. Lingard verkörpert die jungen Löwen, die mit erstaunlicher Leichtigkeit Fans und Medien auf der Insel mitnehmen.