Gefährlicher Nährboden
S eit drei Jahren, seit der 2015er-Flüchtlingswelle, spürt man die beginnende Spaltung der Gesellschaft, die Spaltung einer Stadt. Jetzt ist das Fass übergelaufen. A nfangs setzte Chemnitz noch auf dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen, Verbände wie die Caritas und die Arbeiterwohlfahrt kümmerten sich mit hohem Personalaufwand um die Neuankömmlinge. A ls die weiche Seite unseres Staates nicht dazu beitrug, die fast schon alltäglichen Zwischenfälle in den Griff zu bekommen, war man nicht in der Lage, konsequent die harte Seite zu zeigen. Der Stadtordnungsdienst ist nach wie vor unterbesetzt, die Polizei hat zu wenig Personal. Die Videoüberwachung kam nach langen Diskussionen - sie kam aber viel zu spät. T rauriger Höhepunkt: die Pressekonferenz am Sonntagabend. Bis das erste Mal auch nur ansatzweise ein Wort der Anteilnahme über die Lippen kam, dauerte es 18 Minuten und 20 Sekunden. Vorher wurde inbrünstig die inszenierte Lüge verteidigt, wonach man das Stadtfest aus „Pietätsgründen“abgebrochen habe. E rst gestern Mittag wurde seitens der OB ausdrücklich der Familie des Opfers die Anteilnahme ausgesprochen. Das ganze Auftreten zeugt von Ohnmacht. Es wird nur reagiert. Hinzu kommt: In hochsensiblen Zeiten in dieser Situation mit einer Lüge zu arbeiten, ist an Fahrlässigkeit nicht zu überbieten. Genau solche Vorgehensweisen sind der Nährboden für extreme Strömungen, reißen auch eher zurückhaltende Menschen mit. D as eh schon angekratzte Vertrauen - auch in die am Sonntag ebenfalls belogenen Medien - wird noch mehr beschädigt. Zurück bleiben Opfer. Eine zerstrittene Stadt. Unglaubwürdige Verantwortliche. Und das Schlimmste: ein toter Mensch, eine Witwe und ein Kind ohne Vater.