China lässt die Kanzlerin sitzen
Handelskrieg mit Amerika, Unruhen in Hongkong und in Sachen Wirtschaftskooperation zwischen Deutschland und China ist ebenfalls Sand im Getriebe: Angela Merkels (65, CDU) aktueller Staatsbesuch (ihr mittlerweile zwölfter) bei den chinesischen „Freunden“könnte heikler kaum sein. Doch die Kanzlerin steht die Schwierigkeiten tapfer durch.
Beziehungsweise sitzt. Als sie gestern nämlich von Premier Li Keqiang (64) mit militärischen Ehren empfangen wurde, verfolgte die Kanzlerin die Zeremonie im Sitzen. Bereits in Deutschland hatte Merkel wegen mehrerer Zitteranfälle ihre Staatsgäste auf Stühlen empfangen, doch im Ausland ist das ein Novum.
Auch Li nahm zunächst höflich neben ihr Platz. Als aber die chinesische Hymne ertönte, stand der Premier plötzlich auf – und ließ Merkel sitzen.
Ein böser Affront gegen die deutsche Kanzlerin, munkelten Beobachter. Doch Merkel saß über den Dingen. Denn als es bei den anschließenden Gesprächen vor allem um Handelsthemen gehen sollte - Merkel reiste mit der Crème de la Crème der deutschen Wirtschaft und vielen neuen Verträgen nach Peking an -, sprach sie auch das für China unliebsame Thema Hongkong an.
Ein Treffen mit Aktivisten der Sonderverwaltungszone hatte die Kanzlerin im Vorfeld zwar abgelehnt, aber sie stellte sich hinter die Demonstranten und mahnte eine friedliche Lösung an. Die „Rechte und Freiheiten“der Hongkonger müssen bewahrt werden, sagte Merkel in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Li. Sie pochte auf einen Dialog, bei dem auch die Demonstranten gehört werden müssen.
Chinas Premier wiederum gab sich vage. Auf die kritische Frage eines Journalisten, ob er ein militärisches Eingreifen Pekings ausschließe, antwortete er: Seine Zentralregierung werde Hongkongs Regierung „im Rahmen der Gesetze unterstützen, das Chaos zu beenden und Ordnung wiederherzustellen“. Aber: Peking halte an dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“fest, nach dem die chinesische Sonderverwaltungsregion autonom regiert wird. Doch daran glauben nicht mehr viele Menschen in Hongkong.