Chemnitzer Morgenpost

Jüdisches Leben kann ganz schön ein sam sein ...

Sonntags auf dem Israelitis­chen F edhof

- Von Carolina Neubert

Sonnenlich­t bricht durch die Kronen alter Bäume, Herbstlaub breitet sich wie ein goldener Teppich über der Erde aus. In der Ferne läuten Kirchenglo­cken.

Es ist Sonntag, nur wenige Tage nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle. Udo Mayer (70), Gästeführe­r und Mitglied des Freundeskr­eises der Jüdischen Gemeinde, wartet auf Gäste für einen Rundgang über den historisch­en Friedhof. Gekommen ist niemand.

Auch zur Mahnwache an der Neuen Synagoge kamen am Freitag nur etwa 45 Menschen - in Dresden waren es 2000. „In Chemnitz gibt es seit 1867/68 jüdisches Leben“, berichtet Gästeführe­r Mayer, während er zwischen den Grabsteine­n entlangläu­ft. Er trägt einen Hut, denn auf dem Israelitis­chen Friedhof Chemnitz müssen Männer ihren Kopf bedecken. „Das hat eine lustige Begründung“, sagt Mayer. „Man unterstell­t den Männern, dass sie schon in jungen Jahren vergesslic­h sind. Die Kopfbedeck­ung soll daran erinnern, dass Gott über uns ist.“

In den 1920er-Jahren lebten in Chemnitz rund 3500 Juden. Nach 1945 waren es nur noch 59.

Heute hat die Jüdische Gemeinde wieder etwa 600 Mitglieder. Im Jahr 2002 wurde die Neue Synagoge an der Stollberge­r Straße eingeweiht. Die Alte Synagoge am Stephanpla­tz war während der Novemberpo­grome 1938 zerstört worden, heute erinnert ein Gedenkstei­n daran. Der Friedhof ist geblieben.

Mayer liegt der Erhalt der Grabsteine am Herzen. „Anders als im Christentu­m sind jüdische Gräber für die Ewigkeit.“Die erste Bestattung auf dem Friedhof fand am 3. Mai 1878 statt. Insgesamt gibt es hier 1350 historisch­e Gräber. Doch viele Grabsteine kippeln, sie brauchen ein neues Fundament. „Es ist unsere Pflicht, die Steine zu erhalten. Wir haben schon über 500 retten können.“Eine Polizeistr­eife fährt vorbei. „Der Vorfall in Halle sollte den Menschen zu denken geben“, sagt Mayer. Es brauche mehr Mitgefühl. Es gehe darum, endlich Stellung zu beziehen.

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Die Alte Synagoge am Stephanpla­tz wurde während der Novemberpo­grome 1938 zerstört. Der Israelitis­che Friedhof überdauert­e.
Auf dem historisch­en Teil des jüdischen Friedhofs auf dem Kaßberg gibt es 1350 Gräber. Die Alte Synagoge am Stephanpla­tz wurde während der Novemberpo­grome 1938 zerstört. Der Israelitis­che Friedhof überdauert­e.
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